Championship: Millwall FC – Bolton Wanderers

12.08.2017
2. Spieltag Football League Championship
Millwall FC - Bolton Wanderers
The Den
Endergebnis: 1:1 (0:0)
Zuschauer: 12.238 (ca. 1.200 Gäste)
Fotoalbum

Mit dem geplanten Wochenende in London eröffnete sich mir endlich die längst überfällige Möglichkeit, den Länderpunkt England einzutüten. Für das Mutterland des Fussballs sollte es schon eine gute, erste Partie werden, weshalb man zunächst den Fokus bei der Suche auf das Oberhaus der Liga legte. Viele der großen Londoner Clubs hatten Heimspiele, sodass man sich schon viele Konstellationen möglicher Spielbesuche zurechtlegte.

Unser allgemeines Ansetzungspech machte uns aber einen weiteren Strich durch die ach so schöne Rechnung, legte doch der Verband sämtliche Spiele des Wochenendes auf Samstagmittag, 15 Uhr. Auch bei der Ticketbeschaffung gabs die befürchteten Probleme, da, auch über einige Kontakte, zu keinem der großen Clubs bezahlbare Tickets beschafft werden konnten.

Man hatte zwar im Vorfeld schon oft von überteuerten Ticketpreisen der Insel gehört und war dementsprechend mit einem dickeren Budget bewaffnet, doch teilweise 60 bis 80 Euronen pro Nase sind mir 90 Minuten Gekicke einfach nicht wert. Auch soll man teilweise mehr als 40 Euro für eine Viertligapartie bezahlen, für die sich kein Schwein interessiert. Somit war die Anzahl möglicher Partien im Vorhinein auf die Zahl eins limitiert, was im Allgemeinen aber auch nicht weiter störte.

Denn der ohnehin schon knapp bemessene Zeitplan für die Stadtbesichtigung und Treffen mit Bekannten ließ sehr wenig Spielraum. Im Endeffekt fiel die Wahl dann auf die Zweitligapartie Millwall gegen Bolton, was mit Sicherheit nicht die schlechteste Wahl des Wochenendes darstellte. Insgeheim schielte man sowieso schon auf selbiges Spiel, ist doch der Millwall FC einer der unbeliebtesten und, nicht zuletzt nach den beiden Filmen „Green Street Hooligans“ und „The Football Factory“, einer der bekanntesten Clubs Englands.

1885 von schottischen Arbeitern gegründet, spielten die „Lions“ über mehr als ein Jahrhundert nur in unteren Ligen. Erst 1987 konnte sich der Club sportlich einen Namen machen, als der Aufstieg in die damalige erste Liga gelang, die aber nach nur zwei Saisons wieder verlassen werden musste. Seitdem pendeln die Blau-Weißen zwischen zweiter und dritter Liga, mit einem kurzen europäischen Intermezzo, das nach der FA-Cup-Finalteilnahme 2004 ermöglicht wurde. Nach dem Aufstieg im Sommer spielt Millwall momentan wieder zweitklassig.

Sein Image hat der Club nicht zuletzt aufgrund seiner Fans, die vornehmlich aus dem eher ärmlichen Südosten Londons stammen. Doch die großen Eskapaden, vor allem gegen den Erzfeind aus West Ham, sind alle schon ein paar Jahre her. Trotzdem merkte man schon bei der Anreise, dass nicht unbedingt die High-Class Londons die Spiele der Lions schaut. Durch viele Straßen mit typischen Backsteinhäusern und unter einigen Bahnunterführungen hindurch erreichten wir das Stadion, welches auf den Namen „The Den“ hört. Seit 1993 ziert der schicke, zweistöckige Kasten an der Zampa Road den Stadtteil Bermondsey und bietet bis zu 20.146 Zuschauern Platz, was jedoch mehr ist, als momentan von Nöten wäre.

Nach ein paar Fotos von außen kauften wir uns für schlappe 29 Pfund pro Nase (also etwa 33€) unsere Tickets für den Oberrang des Dockers Stand. Der ursprünglich geplante Block 15 war schon voll, weshalb man kurzerhand auf Block 19 umstieg. Da nur noch zwanzig Minuten auf der Uhr waren, gings ohne Umwege sofort in die Kontrollschlange und danach auf unsere Plätze. Bereit für ein paar Fotos zückte man schon die Kamera und ging auf die Suche nach dem Heimmob, doch seltsamerweise wurde man auf der eigentlichen Fantribüne nicht fündig.

Wie sich kurz vor Anpfiff herausstellen sollte, erwischten wir, entgegen aller vorheriger Bilder und Informationen, genau den Block der aktiven Fanszene von Millwall. Aufgrund der knappen Zeit und der peniblen englischen Vorschriften war an einen Block- oder gar Tribünenwechsel nicht zu denken. Ein bisschen mulmig war mir dann schon, doch im Endeffekt blieb man vollkommen unbemerkt und wurde von keiner Seite auch nur einmal schräg angeschaut. Mit der Zeit erfreute man sich sogar am Standort, konnte man so die Gesänge und Rufe ein gutes Stück besser verstehen.

Mit Spielbeginn startete Millwall zunächst mit einer Art Schlachtruf, bei dem alle einfach nur laut „öööhhh“ rufen. Absolut simpel und ungewohnt, doch wenn sich auf einmal das ganze Stadion einschaltet, auch extrem laut. Danach folgten ein paar sehr laute Gesänge vom Oberrang, deren Varietätsgrad jedoch die Zahl drei nicht überstieg und meistens nur eine Runde lang gesungen wurde. Ins Ohr ging natürlich der Schlachtruf „No one likes us, no one likes us, no one likes us, we don’t care. We are Millwall, super Millwall, we are Millwall from The Den”, der auf Rod Stewarts „Sailing“ ertönte.

Wenn mal nicht für den eigenen Verein gesungen wurde, pöbelten die umstehenden Millwallfans zumeist gegen die Gäste aus Bolton, was wohl einen Grund für den Standort direkt neben dem Gästeblock gewesen sein dürfte. Egal ob jung oder alt, jeder zeigte in regelmäßigen Abständen seine Mittelfinger oder andere Körperteile in Richtung Wanderers. Selbst auf jeden aufkommenden Gesang der Gästefans folgte sofort ein „Who the fuck are you?“ der Heimfans. Ob sich die Anhänger beider Vereine aus einem bestimmten Grund nicht leiden können, ist mir unbekannt.

Der Support beider Seiten erfolgte sehr stark spielbezogen. Ab der 20. Minute ertönte nur noch bei Großchancen der ein oder andere Gesang, im Großen und Ganzen war es ab dann recht still im weiten Rund. Für das deutsche Auge ebenfalls recht ungewohnt ist die vollständige Abstinenz von Fahnen und Vereinsklamotten. So gut wie jeder Fan im Stadion läuft im Casual-Stil umher, sodass man sich mit T-Shirt und Jeans schon fast wie im falschen Film vorkam. Hat aber auch was, wenn selbst die siebzigjährigen mit schicken Stone Island Jacken herumlaufen.

Auch auf dem Spielfeld war man zunächst vom Auftreten der Lions überrascht, starteten sie auf dem Papier doch als Außenseiter gegen Bolton ins Spiel. Doch die Rolle der hoffnungslos unterlegenen Mannschaft wurde schon nach wenigen Minuten pulverisiert. Aggressiv und mit schönem Angriffsfussball stellten die Hausherren die Hintermannschaft der Wanderers vor immer größere Probleme, lediglich beim Abschluss war regelmäßig Pech im Spiel. Die Gäste bemühten sich um Ballbesitz und zogen, bei selbigem, ihr eher langweiliges Spiel auf, was zu keiner Torchance in der ersten Hälfte führte.

Kurz nach Wiederanpfiff gelang Millwall nach einer sehr schönen Kombination der verdiente Führungstreffer, der das Stadion zum Toben brachte. Doch die Freude und Gesänge der Lions waren nur von kurzer Dauer, denn ein direkter Freistoss aus 20 Metern brachte den Ausgleich für Bolton. Nun war der Gästeblock am Ausrasten mit einer Mitmachquote von teilweise 90% und mehr.

Nun war es endlich da: Das Feeling von einem Spiel in England, was man sich sehnlichst erwünscht, aber bei weitem nicht erwartet hätte. Auf dem Rasen ging es hochspannend weiter, während beide Fanlager immer lauter gegeneinander ansangen. Dabei wurden so viele Grüße und Verabredungen zum Tanz gerufen, dass man schon fast dachte, hier geht gleich die Post ab. Bis zur letzten Sekunde warfen beide Teams alles nach vorne, doch es sollte beim 1:1 Unentschieden bleiben. Für Millwall auf dem Papier definitiv kein schlechtes Ergebnis, jedoch nach dem gesehenen Spiel eher zwei verschenkte Punkte.

Nach Abpfiff wartete man noch ein wenig im Block, um die euphorisch feiernden Gästefans zu beobachten, bevor es wieder nach draußen ging. Vorbei an Bahngleißen und Unterführungen, die direkt aus manchen Filmen stammen könnten, erreichten wir wieder die Bahnstation, von wo aus es in Richtung Übernachtungsmöglichkeit ging.

Hier gibts mehr Fotos

Allgemein kann ich jedem Interessierten einen Besuch der Lions nur ans Herz legen. Für gerade noch normale Ticketpreise sieht man hier nicht nur guten Fussball, sondern auch eine starke Fanszene im Stadion, was alleine schon im heutigen, vom Geld zerfressenen Fussball-England, eine Seltenheit darstellt.