K League 1: FC Seoul – Suwon Bluewings FC

22.04.2023
8. Spieltag K League 1
FC Seoul - Suwon Bluewings FC
Seoul World Cup Stadium
Endergebnis: 3:1 (1:0)
Zuschauer: 30.186 (ca. 5.000 Gäste)
Ticket: 19.000₩
Fotoalbum

Fast vier Jahre zogen seit unserem letzten Besuch Asiens ins Land, stets in Begleitung eines niemals müde werdenden Fernwehs nach den tollen Landschaften und der kulinarischen Vielfalt der ach so geliebten Breitengrade. Doch die letzten Jahre hinterließen insbesondere in Ostasien bedeutend tiefere Spuren als in Europa, denn während die Reisefreiheit in der Heimat bereits seit Mitte 2021 kein Thema mehr darstellte, dauerten die Einschränkungen im fernen Osten gar bis Anfang 2023 an. Somit plante man einen erneuten Trip eigentlich erst für das kommende Jahr, und dennoch saß man an einem Donnerstagnachmittag Ende März vorm Bildschirm und durchstöberte ungläubig die bekannten Flugportale. Denn bei der besseren Hälfte stand plötzlich eine Dienstreise nach Seoul inklusive freiem Wochenende im Bereich des Möglichen, wenn auch mit vielen Konjunktiven versehen.

Ein Blick auf Verbindungen und Spielansetzungen kann ja nicht schaden, so die ersten Gedanken, und siehe da: Das Supermatch, also das größte Derby Südkoreas zwischen dem FC Seoul und dem Suwon Bluewings FC, sollte genau in diesem Zeitraum stattfinden. Stand ungelogen mindestens seit meinem letzten Besuch 2017 in Suwon hoch oben auf der Liste, hinterließ die Kurve doch selbst an einem kalten Mittwochabend einen bleibenden Eindruck. Wäre schön, aber wird sich wohl wie die letzten, angedeuteten Dienstreisen im Sand verlaufen… Denkste! Denn Freitagmittag ploppte plötzlich eine Nachricht auf meinem Bildschirm auf, die fast zu Schnappatmungen führte: Der Trip steht und ist, deutlich schneller als überhaupt erwartet, bereits in trockenen Tüchern. Da ging selbst die Nachricht des Spielausfalls der SVE in Duisburg, den man wenige Stunden zuvor plante, beinahe unter. Freud und Leid, immer nah beisammen!

Mit drei Wochen Vorlaufzeit galt es entsprechend einen sinnvollen Aufenthalt zu planen, wobei ich mich letztlich für einen Abflug am Donnerstag mit Ankunftszeit am Freitagmorgen in Seoul entschied. Zurück sollte es Montags gehen, macht inklusive des Anreisetages volle drei Tage Seoul. Zwar in absolut keinem Verhältnis zu Aufwand und Reiseweg, aber wann kommt man schon für einen Flugpreis von 2 für 1 dort rüber? Bei der Hotelbuchung konnte man sich ebenso anschließen, wodurch selbst der mehr als stolze Flugpreis, den der Frankfurter Kranich zur Beförderung aufrief, irgendwie gegen die eigene Vernunft verargumentiert werden konnte.

Noch immer ungläubig hieß es plötzlich Tage zählen und Mitte April schließlich: Endlich wieder raus aus Europa! Während die bessere Hälfte bereits am Donnerstag via Asiana die Reise antrat, ging es für mich am späten Donnerstagvormittag per S-Bahn zum Frankfurter Flughafen, dank Tunnelsperrung inklusive einer halben Stunde Wartezeit am Hauptbahnhof. Wäre auch nicht normal, wenn man einmal pünktlich ankäme. Am Terminal die letzte Currywurst für die nächsten Wochen verputzt, im Anschluss fix durch sämtliche Kontrollen und schließlich mit einem Bierchen die Wartezeit am Gate überbrückt. Insgeheim hoffte man auch auf die beruhigende Wirkung des Hopfens, denn Schlafen im Flieger wird wohl nie meine Stärke. Und so blieb es dann auch bei einer Stunde schummrigem Halbschlaf in der 747, der Königin der Lüfte, nachdem gar nicht mal so royales, aber dafür echtes, deutsches Kulturgut in Form von Ravioli und einer Dose Beck’s zum Abendessen serviert wurde. Man gönnt sich ja sonst nichts, vor allem bei den Flugpreisen…

Die etwas über elf Stunden konnten auch durch die Bordunterhaltung sowie mit einigen mitgebrachten Fanzines (wann kommt man schon sonst dazu?) überbrückt werden, ehe der Flieger sanft auf der Piste des Flughafens Incheon aufsetzte. Der Rücken freute sich über die nun aufrechte Position, während zwischen mir und dem Ausgang des Terminals lediglich drei Kontrollstellen lagen, für die jeweils ein eigener Wisch bezüglich Krankheitssymptome, Einreiseanmeldung und Zolldeklaration ausgefüllt werden musste. Nachdem der offizielle Teil erledigt war, konnten noch die letzten drei Dinge innerhalb der Ankunftshalle besorgt werden: Bargeld am Automaten, eine T-Money-Card für Busse und U-Bahn sowie ein sogenanntes Wifi-Egg, das uns überall im Land mit unbegrenztem Datenvolumen versorgte. Kostet keine drei Euro pro Tag Miete und kann direkt über die Website der koreanischen Telekom gebucht werden. Billiger als jegliche Optionen vom heimischen Betreiber allemal!

Mit der Metro ging es schließlich ein gutes Stück gen Seoul, denn der Flughafen liegt locker 60 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Frankfurt-Hahn lässt grüßen. An der Hongik Uni die Linie gewechselt, erreichte ich nach fast zwei Stunden schließlich die Bleibe auf der Hauptstraße in Gangnam. Dort im 20. Stock des L7 Hotels schließlich den Rucksack abgestellt und erstmal durchgeschnauft. Überraschenderweise machten sich die lediglich 60 Minuten Schlaf auf der Anreise weniger bemerkbar als befürchtet, sodass es zur Mittagszeit mit grummelndem Magen wieder nach draußen ging. Die bessere Hälfte war noch auf der Arbeit, also besorgte man sich erstmal selbst einen Kaffee (Iced Americano, lecker!) und erfreute sich am 23 Grad warmen T-Shirt-Wetter. Damit war man fast alleine, gilt doch in Korea eigentlich nur weiße Haut als Schönheitsideal, weshalb sich der Großteil der Passanten entweder im Schatten oder unter einem mitgebrachten Schirm verkroch. Jeder so wie er will…

In der Folge ging es eine gute Runde per Pedes durch die angrenzenden Viertel, denn Bewegung ist mehr als wichtig bei dem kulinarischen Verpflegungsangebot hier. In einem 7-Eleven schnappte man sich eine Rolle Gimbap und lief in der Sonne bis zum Hangang, dem größten Fluss der Hauptstadt, der Selbige in zwei große Hälften teilt. Aufgrund der genau am Ufer platzierten Autobahn blieb ein Blick auf die gegenüberliegende Seite leider verwehrt, aber auch so erfreute man sich am Gang durch die engen und hügeligen Gassen der südlichen Innenstadt. Immerhin eine Gegend der 26 Millionen Menschen und damit die Hälfte der südkoreanischen Bevölkerung umfassenden Metropole, die man vorher noch nicht erkunden konnte. Mitsamt Rückweg waren es gut drei Stunden Fußweg, ehe es zwecks Abendbeschäftigung nach Yeoksam-Dong, einem Ausgehviertel Gangnams, ging. Dort fürstlich an koreanischem BBQ gelabt und im Seven Bricks eine Runde lokales Craft Beer einverleibt, ehe dann doch gar nicht mal so spät die Segel gestrichen wurden.

Der Samstagmorgen startete mit der Frühstücksbeschaffung im eigenen Viertel, wofür letztlich eine kleine Bäckerei herhielt, da der zuvor auserkorene Laden wegen Renovierung verschlossen blieb. Ein Schicksal, das uns leider im Verlauf des Wochenendes noch öfter widerfahren sollte. Mit vollem Magen ging es anschließend los in Richtung Spielort des ersten Kicks, bzw. zunächst in die ungefähre Region. Umsteigen mussten wir an der Hongik Universität sowieso, also nutzten wir die Gelegenheit und schauten und im Bereich der Hongdae Street nochmal ein wenig um. Noch immer strotzt hier das Leben aus allen Ecken, sodass wir uns schließlich für den Fußweg in Richtung Stadion, genauer gesagt nach Mapo-Gu, entschieden.

Dort schlenderten wir durch die zentrale Straße, schauten an den unzähligen Streetfood-Ständen vorbei und langten schließlich an einem solchen innerhalb einer typischen Markthalle zu. Unfassbar gut ist immer wieder Odeng am Spieß, frei übersetzt in etwa Fisch-Kuchen, in der Substanz allerdings Bissfest am Stück und etwas süßlich. Warm, saftig und eine gute Mahlzeit vorm Spiel! In Mapo deuteten derweil viele Fußball-Bezüge auf das nahe Stadion hin oder waren schlichtweg gut erhaltene Überbleibsel von der WM 2002, bei der in der heutigen Spielstätte das Eröffnungsspiel ausgetragen wurde.


Heute war es jedoch kein Länderspiel dass die Massen anzog, sondern das so genannte „Supermatch“ zwischen dem FC Seoul und den Suwon Bluewings. Erst seit 1996 wird das Derby im noch jüngeren Fußball-Land Korea ausgetragen, zieht allerdings dennoch die Massen in die Haupt- bzw. südliche Vorstadt. Oft liefen schon Videos auf dem heimischen Flimmerkasten, insbesondere von den imposanten Auftritten der blauen Gäste. Die Vorfreude beim Anblick des Stadions stieg somit unaufhörlich, wenn auch vereinzelte Vorboten die Erwartungshaltung etwas dämpften. Denn Suwon startete alles andere als rosig in die Saison, zählte zu diesem Zeitpunkt gerade einmal zwei Punkte und grüßte vom letzten Tabellenplatz. Beim letzten Heimspiel hingen die Fahnen bereits auf dem Kopf, somit war auch große Ungewissheit der Begleiter auf den letzten Metern bis zu den Toren.

Dort galt es zunächst Karten für den richtigen Block zu besorgen. Mehr als überraschend stellten wir dabei fest, dass im Gegensatz zu vorherigen Duellen auch der Oberrang geöffnet war, weshalb wir hier in Block N der Osttribüne zuschlugen. Je 19.000 Won, also etwa 12.80€, wanderten über den Tresen, ehe wir die bereits von außen beeindruckend wirkende Schüssel betreten durften. Die Plätze erwiesen sich als ideal um sämtliche Bereiche des großen Kastens zu bestaunen, in dem sich Deutschland im Halbfinale der WM 2002 knapp gegen den hiesigen Gastgeber durchsetzen konnte. Doch außerhalb von Länderspielen bleiben ein Großteil der exakt 66.704 Sitze des zweitgrößten Stadions des Landes leer, was den tollen Anblick des doppelstöckigen Ausbaus aber nicht schmälerte. Geile Hütte, insbesondere mit Blick auf die frei schwebende Dachkonstruktion.

Während sich die Ränge so langsam füllten, ging es für uns noch fix zwecks Bierversorgung in einen der zahlreichen Supermärkte, die hier im Inneren der Bude die Verpflegung gewährleisten. Große Auswahl inklusive, bei der die lokale Kundschaft zuschlug und tütenweise Essen gen Sitzplätze karrten. Wir begnügten uns allerdings mit einem kühlen Blonden aus der Dose für umgerechnet weniger als zwei Euro. Damit ließ sich auch die Derby-Show aus Cheerleader-Tanz und einer Live-Band irgendwie aushalten, während aus der Gästekurve die ersten Gesänge ertönten.

Etwa 5.000 Anhänger des Suwon Bluewings FC stellten an diesem Nachmittag einen ordentlichen Teil der für koreanische Verhältnisse starken Kulisse und präsentierten mit Spielbeginn zahlreiche Protest-Spruchbänder gegen die Clubführung als auch den Hauptsponsor Samsung, dessen Engagement an einigen Ecken kritisch hinterfragt wurde. Allerdings eher im Sinne von zu wenig bereitgestellten Mitteln für eine gute Mannschaft. Neben den umgedrehten Zaunfahnen und der nicht gerade großen Zahl an Schwenkfahnen deutete allerdings wenig auf einen Boykott hin, sodass man sich insgeheim auf ein Heimspiel für die Anhänger der Tricolor freute.

Und der vom auf einer Leiter positionierten Capo angeführte Support wusste richtig zu gefallen! Die im zentralen Bereich gut verteilten Gruppen um die „North Front Ultras Suwon“, „Frente Tricolor“ und weitere Gruppierungen intonierten beständig ihre südamerikanische Melodien, bei denen nicht nur die Füße beständig mit wippten, sondern auch ein Großteil des Anhangs mitzog. Bei Schlachtrufen und Klatscheinlagen war die hohe Mitmachquote ebenso stets auszumachen, was den Gästen zumindest bis in die Schlussphase die Stimmhoheit im Stadion verschaffte. Leider lief es sportlich alles andere als rosig für die Gäste, die mit einer Sonnen-Schirm Aktion zu Beginn des zweiten Durchgangs wiedermal die Blicke auf sich zogen. Ich mag die Kurve einfach, auch wenn man in Sachen Lautstärke sicherlich keine europäischen oder gar südamerikanischen Verhältnisse erwarten darf.

Die Kurve des FC Seoul war hingegen neu für mich, gleiches gilt auch für den Verein. Mit den Hauptstädtern hatte man es nämlich mit dem derzeit größten Verein des Landes zu tun, der, durch die Franchise-Struktur, auf eine, vor allem in Sachen Spielstätten, bewegte Vergangenheit blicken kann. 1983 als LG Hwangso gegründet, folgte 1990 der Umzug nach Seoul und die Umbenennung zu LG Cheetahs, ehe wenige Jahre später ein erneuter Umzug samt Umbenennung in die südliche Vorstadt Anyang erfolgte. Aus dieser Zeit entstand die Rivalität zu den Suwon Bluewings, die auch seit dem, durch heftige Proteste des Anhangs begleiteten, erneuten Umzug nach Seoul 2004 und Umbenennung zum FC Seoul weiter besteht. Sechs Mal konnte währenddessen die Meisterschaft gewonnen werden, was die Hauptstädter zum dritterfolgreichsten Verein des Landes kürt.

Trotz der vielen Umzüge entstand eine große Fanbase, die derzeit zu den Größten des Landes zählt. Die Hauptgruppe nennt sich „Suhoshin“ (Wächter der Gottheit) und ist ein Zusammenschluss mehrerer Ultra-Gruppierungen, welche seit 2004 existiert. Unter anderem sind die Gruppen West Story und Seoulobba in der Suhoshin organisiert, während die Lappen der „Gruppo Thanatos 2008“, „Leader Crown 2017“, „Rapier“ und „Ultras Gritar 2017“ den restlichen Zaunbereich auffüllen. Auffällig hierbei ist, dass so ziemlich jede der Gruppen mindestens zwei bis drei Fetzen an die Balustrade des Unterrangs der Nordkurve hängt. Optisch machte der zentral positionierte Haufen insbesondere durch ein dichtes Meer großer Schwenkfahnen auf sich aufmerksam, was etwas an die Kurven in Japan erinnert.

Akustisch orientiert man sich hier, im Gegensatz zu den Gästen, deutlich mehr an Europa. So gab’s einen guten Mix aus Deutschland und Italien auf die Ohren, wobei einfache Schlachtrufe die Mehrheit des Supports prägten. Befremdlich wirkt allerdings das aufploppen der Liedtexte samt Klatschrhythmus auf den Anzeigetafeln, kurz nachdem die Kurve die Gesänge angestimmt hat. In Sachen Beteiligung zogen die Gruppen zwar oft die gesamte Kurve bei Klatscheinlagen mit, allerdings kam trotz der Masse recht wenig bei uns an. Auch fanden vor allem im ersten Durchgang viele Pausen Einzug, die teils bis zu zwei Minuten andauerten. In Sachen Akustik und Kreativität gingen die Punkte somit nach Suwon, während Seoul die optisch ansprechendere Kurve stellte. Kleine Details bei den Hausherren: Neben schwarzen T-Shirts mit durchgestrichenem Wappen der Gäste fiel vor allem der etwas rundlichere Capo auf, auf dessen Rücken Seoul auf einer Karte Koreas mit zugehörigem Spruch „Capitol Ultras“ abgebildet war. Die Umrisse zeigten jedoch nicht nur Süd-, sondern das gesamte Korea ohne Grenze.

Auf dem Rasen setzte sich die Misere der Gäste durch die Führung der Hausherren fort, wobei der nervige Stadionsprecher wirklich alles dafür tat, uns so richtig auf den Sack zu gehen. Jeder Zweikampf, jedes Foul und auch sonst jede Aktion wurde lautstark kommentiert und der Name des Spielers skandiert. Bisschen weniger ist eben oftmals mehr. Immerhin Feuerwerk zum Anstoß und zu den Toren gab’s, wenn auch von Vereinsseite aus abgefeuert. Nach der Pause machten die Hausherren mit dem zweiten und dritten Treffer schließlich den Derbysieg perfekt, während der Anschluss von Suwon deutlich zu spät fiel. Bereits direkt nach dem 3:0 erschienen im Heimbereich unzählige gesprühte Schmäh-Spruchbänder gegen die Gäste und die Kurve setzte zur dann doch lauten Siegesfeier an.

Hier gibt’s weitere Bilder!

Nach neunzig gespielten Minuten war pünktlich Schluss und das Kapitel Supermatch konnte von der eigenen Wunschliste gestrichen werden. Als Fazit bleiben zwei sehr unterschiedliche Kurven in Erinnerung sowie die Tatsache, dass Fußball in Korea dann doch nochmal deutlich mehr Event darstellt als vorher ausgemalt. Familienorientiert und auf Konsum ausgerichtet, wenn sich auch ein kleiner Teil mit Leidenschaft und Kreativität in den Kurven etablieren konnte. Die leeren Bierdosen flogen in der Folge brav in die Mülltonnen, denn den Müll nimmt man hier bekanntlich immer mit. Negativ auffallen will man ja auch nicht. Die Abreise per U-Bahn hätte auch sonst wo auf der Welt stattfinden können, denn die Schlangen an den Türen sind dann doch überall gleich…