Baltikum – Die Zweite!
Die Koffer für Tallinn noch nicht richtig gepackt, stand bereits die nächste Tourplanung in den Startlöchern. Mit der langsamen Wiedereröffnung Europas sowie den teils anlaufenden Ligen ergaben sich einige weitere Möglichkeiten, im beschissenen Jahr 2020 doch noch hier und da eine Tour oder gar einen neuen Länderpunkt abzugrasen. Zudem beschäftige uns stets die Frage, ob es das mit Corona nun gewesen war oder uns dann doch noch die ominöse zweite Welle einen Riegel vor den Beginn der neuen Saison schiebt. Da man irgendwie dem Braten noch nicht traute und letzterem Fall die höhere Wahrscheinlichkeit einräumte, nahm man sich für den Beginn des Augusts wieder ein paar Tage frei und peilte die möglichen Ziele aus.
Am Ende ging auch für die zweite Tour das Baltikum als Sieger hervor, zumal die Kapazitätsbeschränkungen in Sachen Fußballpublikum auf 1.000 eigentlich nicht als solche zu betrachten war. Da kommen eh nicht mehr. Also ran an den Speck und nur 18 Tage nach Rückankunft aus Tallinn den Trip nach Riga fix gemacht. Die Flüge gab’s inklusive flexibler Umbuchungsoption bei AirBaltic, während uns eine Marriott-Tochter für günstige 50 Taler pro Nacht (Frühstück inklusive) für die vier Nächte beherbergen durfte. Alles in allem wie auch in Tallinn nicht sonderlich billig, aber gespart hat man seit März bekanntlich genug.
Die Vorfreude auf den Trip wich nur kurz, als der lettische Fussballverband für kurze Zeit einen Rückzieher machte und die Zuschauerzahl auf 250 begrenzte, was allerdings wenige Tage vor Abflug wieder auf die ursprünglichen Tausend korrigiert wurde. Die Tickets für die geplanten zwei Erstligaspiele schnappte man sich via Bilesu Serviss, was im Endeffekt die gleiche Seite wie das estnische Pendant Piletilevi.ee ist. In Litauen gibt’s da auch eine von, sodass man sich nicht wirklich an die Clubs wenden muss. Die hässlichen e-Tickets wanderten dann samt ein paar Klamotten für die folgenden, heißen Tage ins Gepäck.
Im Vergleich zu Tallinn konnte am Abflugtag sogar fast ausgeschlafen werden, sprich der Wecker riss uns zur gewohnten Aufstehzeit unter der Woche aus den Träumen. Fix gepackt und ab in die S-Bahn, die uns gewohnt unpünktlich am Frankfurter Flughafen ausspuckte. Maske tragen inklusive, wie auch in den folgenden Stunden. Am lokalen Starbucks, dem gefühlt einzig geöffneten Futter-Laden, wanderte noch ein kleines Vermögen für ein Frühstück über die Theke. War auch ganz gut, aber mehr als ein Fünfer für nen Kaffee? Sorry, dann doch lieber ohne. Zumindest gesättigt ging’s zum Gate, wobei man mit dem C1 eines mit eigener Security, allerdings ohne Toiletten erwischte. Daher erst kurz vor knapp rein und wenig später mit hundert anderen Menschen ab in den neuen A220 von AirBaltic. Natürlich saß der lauteste Schreihals auf dem Sitz vor mir und natürlich juckte es die Eltern wenig, dass er die Frust über das Handy-Verbot mit wildem Hüpfen auf seinem Sitz auslebte. Aber auch der stärkste Akku gibt irgendwann nach, sodass zumindest der Großteil des Fluges in Ruhe beim Stöbern in den mitgebrachten Kurvenheften verbracht werden konnte.
Wetter passte schonmal, kaum Wolken am Himmel und beim Anflug auf Riga strahlte von überall das saftige Grün. Urlaub, hier sind wir! Ein harter Aufschlag später, den manch Karre in der Intensität nicht überlebt hätte, dockten wir bereits am Gate an und schlenderten gen Ausgang. Auch hier wieder ein netter, neuer Flughafen, in dem man sich nicht wirklich verlaufen kann. Kontrollen gab’s dann letztlich keine, wobei lediglich eine große Europa-Karte mit grünen und roten Lichtern signalisierte, wer denn einreisen darf und wer in Quarantäne muss. Kontrolliert hat das aber keiner, entsprechend fix standen wir auch schon vor den Türen des Terminals. Nach kurzer Suche konnte ein kleiner Supermarkt ausfindig gemacht werden, wo die e-Tickets (eTalons) für den öffentlichen Nahverkehr eingesackt wurden. Für fünf Tage wurden hierbei 15€ pro Nase fällig, sprich gerade 3€ pro Tag. Kann man sich nicht beschweren.
Die kleinen Supermärkte, hier mit dem Namen „Narvesen“ versehen, findet man übrigens an jeder Ecke, ähnlich der 7 Eleven in Asien. Entsprechend breit ist auch das Sortiment, inklusive frischer Hot Dogs! Mit den Tickets ging’s nun mit der Buslinie 22 in Richtung City. Einmal musste man unterwegs umsteigen, lernte dabei allerdings direkt den Unterschied zwischen Bus und Minibus kennen. Letztere nutzen zwar auch die eTalons, allerdings gelten die Tagestickets hier nicht, sodass man zähneknirschend weitere zwei Euro pro Nase dem Fahrer in die Hand drücken musste. Der manövrierte seinen Sprinter allerdings zielsicher und fix über den ewigen Stau der Daugava-Brücke gen Zentrum.
Von der Endhaltestelle waren es nur noch wenige Meter zum Fuß bis zum AC Hotel. Schickes Teil in einer guten Gegend, keine Frage. Nach Renovierung auch erst 2019 eröffnet. Kann man nicht viel falsch machen. Beim Einchecken gab’s dann erfreulicherweise nochmal das komplette Corona-Info-Paket verbal geschnürt: In Lettland herrscht keinerlei Maskenpflicht, allerdings darf Essen nur bis 22 Uhr serviert werden und ab Mitternacht ist alles zu. Tangiert uns Ausschläfer generell wenig, passt also. Der Aufzug brachte uns anschließend in unser wirklich schickes Zimmer im neunten Stock, was nicht nur optisch echt was her machte, sondern auch mit einem Blick auf die Flutlichter des direkt hinter dem Hotel gelegenen Skonto stadions aufwartete.
Ein kleines bisschen Ruhe nach dem Rucksack-Weitwurf in die Ecke gönnte man sich noch, dann ging’s auch schon raus auf die erste Entdeckertour im Viertel. Weit musste man dafür nicht gehen, denn quasi eine Ecke weiter begann bereits die Alberta iela („Albertstraße“), das Herz des Diplomatenviertels und bekannt für ihre Vielzahl an Gebäuden im Jungendstil. Bei den teils aufwändig verzierten und frisch restaurierten Bauten fühlte man sich direkt an Prag oder diverse französische Städte erinnert. Dieser Gebäudestil zieht sich durch komplett Riga und verleiht der Stadt, zusammen mit dem stets präsenten Kopfsteinpflaster, ein leicht malerisches Flair. Manch Figur im Mauerwerk könnte aber auch aus dem letzten Transformers stammen.
Nach den ersten Metern und dem noch fehlenden Mittagessen kam der nächste Narvesen ganz gelegen, wobei man hier gleich bei den Hot Dogs zuschlug und tatsächlich gute Rindswürste in frisch aufgebackenen Brötchen bekam. Geschmacklich top und mit zwei Talern alles andere als teuer. Im Anschluss ging’s über die Straße in den Kronvalda parks, einem von vielen Parks, die sich entlang des Stadtkanals (Pilsētas kanāls) entlangziehen. Selbiger entstand aus den Überbleibseln der alten Stadtbefestigung und trennt die Altstadt vom Zentrum. Damals als Frisch- und Löschwasserspeicher erbaut, schippern heute viele kleine Touri-Schiffe durch das grüne Band der Stadt. Bei dem sonnigen Wetter von durchweg 25-27° bei strahlendem Sonnenschein ließ es sich im Schatten der Bäume auf jeden Fall aushalten.
Wir stapften weiter entlang des Kanals bis zum erstbesten Eingang zur Altstadt, wobei uns auch gleich das gelbe Haus mit allen lettischen Stadt- und Landkreiswappen in der Smilšu iela vor die Linse lief. Direkt dahinter liegen die wenigen Reste der Stadtmauer, das etwas unscheinbar wirkende schwedische Tor als auch der massive Pulverturm. In den folgenden Stunden nahm man sich vor, die Altstadt mit ihren vielen Gassen einmal komplett abzulaufen, schaffte aber vielleicht gerade einmal die Hälfte davon. Besonders in Erinnerung blieben die beiden größten Sehenswürdigkeiten, namentlich das Schwarzhäupterhaus als auch die Petrikirche mit ihrem markanten, hölzernen Turm. Ebenso fand man gefallen an den unzähligen Restaurants und Kneipen, die so gut wie jede Straße und jeden größeren Platz komplett für sich beanspruchten. Klar, auch viele offensichtliche Touri-fallen dabei, aber die allgemeine Stimmung in der überhaupt nicht überlaufenen Stadt gefiel uns schonmal sehr.
Am Freiheitsdenkmal, welches die Souveränität und Unabhängigkeit Lettlands datierend aus den Jahren 1931 – 1935 symbolisiert und durch drei Sterne die historischen Regionen des Landes darstellt (Kurzeme, Vidzeme, Latgale), endete unser erster Rundgang durch die Stadt mit hungrigen Mägen. Ein paar aufgestellte Buchstaben, die mit Hilfe einer Person als „I“ das Wort Riga formen sollen, sorgte durch eine Gruppe Engländerinnen dann noch für Erheiterung – Welcome to Roga! Zwecks Abendessen suchte man sich im Vorfeld natürlich schon ein paar Top-Adressen in Sachen Craftbeer heraus, denn dafür ist der Norden Europas sicherlich am besten geeignet. Das erste Etablissement lag im Zentrum, was man in der Folge auch gut zu Fuß erreichen konnte. Unterwegs machte man noch an der Geburtskathedrale (Rīgas Kristus Piedzimšanas pareizticīgo katedrāle), der größten orthodoxen Kirche des Baltikums, halt und bewunderte die gold-glänzenden Kuppeln sowie die aufwändig bemalten Wände im Inneren.
Quasi eine Querstraße weiter erreichte man mit dem Alķīmiķis in der Lāčplēša iela die vorher auserwählte Lokalität des Abends. Eine gute Auswahl aus elf im Gebäude gebrauten Bieren stieß da schonmal auf Gefallen, die nette Speisekarte mit annehmbaren Preisen ebenfalls. So schlemmten wir ein lokales Graupengericht, Hühnerbrust und sonstige Leckereien und verköstigten zugleich einen Großteil des Bierangebotes. Empfehlenswert allemal! Gesättigt ging’s auf den kurzen Rückweg zum Hotel, nicht aber ohne im direkt gegenüberliegenden Beer Museum Halt zu machen. Hier erwartete uns eine neue, sehr stylische Bar mit einer unermesslichen Auswahl an Bieren. Leider ausschließlich Belgische, was per se nicht schlecht ist, aber dafür fahr ich ehrlich gesagt nach Belgien. Allgemein den ganzen Tag in der Innenstadt schon beobachtbar, diese lettische Liebe für belgisches Bier. Im Endeffekt entschieden wir uns auch hier für die helle als auch dunkle hausgebraute Variante und begossen den ersten Abend in Riga standesgemäß.
Ein bisschen Bewegung musste dann aber doch noch sein, weshalb wir fix die paar Meter zum Skonto Stadion liefen und dort schonmal die Lage für den nächsten Tag abcheckten. Gute Entscheidung, fanden wir so bereits den etwas versteckt liegenden Eingang zur Haupttribüne. Am Ende des langen Tages freute man sich aber über die weiche Matratze am allermeisten.
Doppler am Freitag
Die Sonne des Freitags schien früh durch den verbliebenen Schlitz zwischen den Vorhängen. Norden eben. Sollte uns allerdings nichts anhaben, denn das wirklich bequeme Schlafgemach hielt uns lange in seinen Fängen. Ausgeschlafen stapfte man hinunter in die Lobby zum Frühstücksraum, wo uns erstmal zweierlei Überraschungen begrüßten. Zum einen das komplette Team des Riga FC, das sich im Stadionnahen Hotel für den gesamten Tag einnistete. Zum anderen das Frühstück selbst: Buffet ja, aber alles war portionsgerecht in Frischhaltefolie eingepackt. Wirklich alles. Jede einzelne Scheibe Brot, immer 2-3 Scheiben Wurst oder Käse auf einem kleinen Unterteller. Dazu gab’s die Marmelade in kleinen Gläschen und auch hier wieder in abgespeckter Auswahl. Insgesamt war das Essen aber auf einem deutlich höheren Level als noch in Tallinn.
Gesättigt stand nun die nächste Stadtrunde an, die wir im nahen Esplanāde starteten. Zu sehen gab’s hier ein paar Gebäude der Universität sowie einige Monumente wichtiger Dichter- und Denker. Wetter passte auch mal wieder, entsprechend genossen wir die Sonnenstrahlen im schattigen Park. Weiter in der Altstadt wollte nun der am Vortag nicht geschaffte Rest erkundet werden, namentlich der gesamte Nordwesten. Hier gab’s die St.-Jakobs-Kathedrale sowie den Dom mit ihren jeweiligen, großen Vorplätzen zu Gesicht, während das Schloss am äußeren Ende der Altstadt nicht wirklich halten konnte, was man sich davon versprach. Da sah nichts nach einem Schloss aus, wird zurzeit aber auch von Seiten der Regierung genutzt, was die paar Wachen in Uniform zumindest optisch bestätigten.
Mit der nächstbesten Tram ging’s fix in den Südosten zum Zentralmarkt. Hatte uns in Tallinn ja bereits gut gefallen, doch das Gelände in Riga sprengte förmlich alle Erwartungen. Tausende Menschen wuselten sich nicht nur durch die ausufernden Stände im Außenbereich, sondern auch durch die vier großen und thematisch sortierten Hallen. Hier sollte es wirklich alles geben, was das Herz begehrt. Von Früchten über Gemüse bis hin zur Fleisch- und Fischhalle, dazu frisch hergestellte Käse und verschiedene Süßspeisen. Ein wahrliches Paradies, was sich einzig durch unsere nicht vorhandenen Mitbringmöglichkeiten schmälerte. Ganz in der Nähe steht mit der Akademie der Wissenschaften ein ebenso beeindruckendes Gebäude, was in seiner Außenform zum einen irgendwie an das New Yorker Empire State Building in klein erinnerte, zum anderen aber auch einen klaren sowjetischen Baustil zeigte. Direkt dahinter erstreckt sich auch schon der Hauptbahnhof, der uns für kurze Zeit den gesuchten Schatten spendete.
Die grummelten Mägen wurden wenig später zurück in der Altstadt in einem kleinen Café in einer Shopping-Mall mit feinem lettischen Schokokuchen gestillt, ehe die Füße noch ein letztes Mal in den Genuss der Kopfsteinpflaster-Massage kamen. Ich sag euch, da fühlt sich irgendwann jeder gelaufene Kilometer wie fünf an. Auch irgendwie ungesund für die große Zahl an Autos, die mit hörbarem Rasseln der gebrochenen Aufhängung durch die Straßen heizen. Mit ordentlich Zeit auf der Uhr und müden Beinen ließen wir uns im Anschluss im „Rockabilly“ nieder, einem der unzähligen Lokale mit Außenterasse. Bequeme Sofas und ein Sonnenschirm waren letztlich die passenden Argumente, die uns in den offensichtlichen Touri-Schuppen lockten. Aber was soll’s, wir sind eben im Urlaub. Die üblichen, mit Knoblauch gebratenen Roggenbrot-Chips waren auch hier der Knaller und perfekter Begleiter für ein paar frischgezapfte Blonde. Entspannung pur und gleichzeitige Vorfreude auf die beiden Spiele, die am späten Nachmittag und Abend noch folgen sollten!
Denn da hatten wir ein klares Glückslos gezogen. Sowohl der FK Metta als auch der Riga FC kickten zu Hause, was uns die beiden wichtigsten und größten Buden Lettlands nicht nur an einem Wochenende, sondern sogar nahezu überschneidungsfrei an einem Tag bescherte. Per Bus ging’s, den vorher online beschafften Tickets sei Dank, sehr entspannt in Richtung Daugavas stadions, dem damaligen und, nach erfolgtem Umbau, auch heutigen Nationalstadion des Landes. Ein wirklich ansehnlicher Bau mit zwei neuen Kurven und einer kultigen, doppelstöckigen Haupttribüne in buntem Sonnenuntergangs-Look. Dazu vier Flutlichter, deren Größe wohl nur ganz schwer zu überbieten ist. Eine wirklich eindrucksvolle Anlage! Die gut 400 Zuschauer, wovon sich etwa zehn der kontinuierlichen und teils guten akustischen Unterstützung der Mannschaft verantwortlich zeigten, bekamen leider nur mäßige Fussballkost vorgesetzt, wobei das 1:4 Endergebnis absolut nicht die Spielqualität wiederspiegelte. Aber wir waren sowieso viel zu beschäftige, die Augen durch das weite Rund gleiten zu lassen. Länderpunkt eingetütet, und das im geilsten Stadion des Landes! Mehr zum Spiel findet ihr hier.
Mit Schlusspfiff galt es die Beine in die Hand zu nehmen, denn bis zum in zehn Minuten folgenden Anstoß des nächsten Kicks galt es noch die Anfahrt von dreieinhalb Kilometern zurückzulegen. Sich über die App ein Uber (oder eben Bolt) zu rufen wäre ja zu einfach gewesen, weshalb man sein Glück an der Hauptstraße versuchte. Taxis fand man keine, allerdings konnte zumindest ein Bus ausfindig gemacht werden, der uns in die Nähe des nächsten Spielortes brachte. Die letzten paar Meter im Stechschritt und schon standen wir vorm Skonto stadions, benannt nach dem Ex-Eigentümer Skonto FC. Nach dessen Pleite übernahm der Riga FC die Rolle des Ligakrösus und streicht Titel um Titel ein, was sich auch am Zuschauerandrang wiederspiegelte. Genau 800 Schaulustige bedeuteten an diesem Abend nahezu ausverkauft, den geltenden Maßnahmen sei Dank. Auch hier orderten wir die Karten vorab und konnten uns daher entspannt auf die ausgesuchten Plätze niederlassen. Den ersten Treffer der Hausherren verpassten wir zwar, doch zwei weitere sollten im Schatten des engen Stadions, was auf zweieinhalb Seiten ausgebaut ist, noch folgen. Deutlich besserer Kick und auch nochmal mehr Stimmung auf den Rängen, wobei uns der akustische Part im ersten Spiel mehr zusagte. Mehr zum Spiel findet ihr hier.
Mit Schlusspfiff griff man noch am Verpflegungsstand zu und orderte sich eine labbrige Pizza to go. Warum? Der Kick endete um kurz vor zehn, sprich wenige Minuten vor der dann geltenden Restaurant- und Supermarkt-Sperrstunde. Daher hieß es sich mit dem lauwarmen Teil zu begnügen und letztlich die paar Meter zum Hotel zurückzulegen. Länderpunkt Lettland check, Zeit die Segel zu streichen.
Bier vor Vier
Auch der Samstag wollte locker angegangen werden, sprich die leider lichtdurchlässigen Vorhänge feste zuziehen und nochmal umdrehen. Zum Frühstück gesellte sich heute an Stelle der Hauptstadtkicker das finnische Frauen-Basketballteam in die Hotelhallen, Giraffen-Sightseeing zwischen Kaffee und Brötchen somit inklusive. In Sachen Tagesprogramm nahm man sich für den Vormittag zunächst einen Trip an den Fluss Daugava (deutsch Düna) vor, der den interessanten Osten der lettischen Hauptstadt (Zentrum und Altstadt) vom eher uninteressanten Westen, sprich den Wohngebieten, trennt. Dazu ging’s per Bus und Tram auf eine Halbinsel (markiert durch eine große Fahne, „Latvijas karogs“) unweit der Nationalbibliothek, die in der Folge abgelaufen wurde. Kaum Wind und die stechende Sonne waren dabei unsere ständigen Begleiter, allerdings Preis genug für die tolle Aussicht auf die Altstadt mit ihren unzähligen Kirchtürmen. Ebenso konnte man von hier die langen Brücken, das Bankenzentrum und den entfernten Fernsehturm erspähen. Nette Aussicht, die man im Schatten gerne etwas länger genoss. Gleich tat uns dies die rauchende Besatzung eines Streifenwagens, der hier mitten im Nirgendwo bestimmt für Sicherheit sorgte. Können ja zur Not in den Fluss fahren und ein Bott anhalten.
Fix noch ein kühlendes Getränk am nahen Narvesen gezogen, brachte uns ein Bus ins eigentliche Zentrum Rigas, nordöstlich der Altstadt. Durch die am Wochenende abgesperrte Tērbatas iela flanierte man ein wenig an den einheimischen Geschäften vorbei uns bestaunte weiterhin die eindrucksvolle und gar nicht so recht an Osteuropa erinnernde Architektur der Straßen. Man könnte meinen, eine Straße weiter beginne die Champs-Élysées. Weiter nach Norden, erreichten wir nun die Miera iela mit ihrem nächtlichen Ausgehviertel.
Auch hier lokalisierten wir im Vorfeld eine geile Craftbeer-Bude, wenn nicht sogar das Aushängeschild des Landes: Alus darbnīca Labietis. Bei absoluten günstigen Preisen wurde sich hier einmal durch die Karte probiert, einen feinen Porter mit 11% inklusive. Dazu gabs selbstgemachten Räucherkäse und Beef Jerky vom Hirsch. Voll war der Laden zur Mittagszeit zwar nicht, was wiederum durch uns sowas von ausgeglichen wurde. Empfehlung geht raus! Irgendwann konnte aber auch das größte Loch im Magen nicht mehr ignoriert werden, was uns letztlich in einen benachbarten Asia-Schuppen wanken ließ. Den Geschmacksknospen war bereits alles egal, Hauptsache Nahrung. Generell stehen die Letten wohl auf Sushi, anders kann ich mir das überproportionale Angebot japanischer Restaurants an jeder Ecke nicht erklären. Ein Reisgericht später mussten wir auch schon wieder los, rief doch schon wieder König Fussball von der anderen Seite des Flusses.
Also ab gen RTU stadions, einem schnöden Kunstrasen direkt neben einer vierspurigen Hauptstraße. Im Winter gerne Mal als Ausweichstätte des Riga FC bespielt, entsprechend wohl von vielen bereits gekreuzt. Eine kleine Stahltribüne bot den dann doch 150 Leidensgenossen Platz. Dinamo Riga gegen Saldus SS / Leevon, eine Kellerpartie der zweiten Liga. Und genau danach sah’s auch aus. Mehr Mitleid als mit meinen eigenen Augen hatte ich nur noch mit dem Illertissen-Typ der Hausherren, der in Vollmontur und Trommel neunzig Minuten den Alleinunterhalter mimte. Harte Kost. Mehr zum Spiel findet ihr hier.
Da während der Partie genug Gelegenheiten zum Abschweifen bestanden, machte man bereits das abendliche Etablissement in direkter Hotelnähe klar. Toll, wenn das kulinarische Angebot direkt vor der Zimmertür bereits begeistern kann. Hängen blieben wir am Zivju lete, dem, laut Internet, besten Fischrestaurants in ganz Riga. Kann man in Meeresnähe mal mitnehmen. Der georderte Fischburger sowie das Lachsfilet schmeckten auch ganz ordentlich, aber „best of the best“ war das jetzt nich. Dennoch sättigend und in Verbindung mit der Auswahl diverser georgischer (!) Getränke auch mal was Neues.
Da der Abend noch jung war, ging’s doch glatt wieder per Bus zum Alus darbnīca Labietis, um sich die Gegend auch mal bei Nacht etwas näher anzuschauen. Und tatsächlich war nun deutlich mehr los, feiernde Kids in Clubs inklusive. Zwei Runden gingen noch, dann schlug die Müdigkeit aber irgendwann zu. Mit einem der letzten O-Busse ging’s durch die erstaunlich dunklen Straßen teils ohne Beleuchtung wieder zurück in die Kiste.
Sommer – Sonne – Sandstrand
Der Sonntagmorgen begann zunächst mit einem Umwerfen der ursprünglich gemachten Planung. Eigentlich stand noch ein vierter Kick im weit entfernten Jūrmala an, doch die späte Anstoßzeit in Verbindung mit dem frühen Aufstehen am Montag und der sowieso herrschenden Unsicherheit, wie man denn zurück nach Riga käme (Uber, Minubus…) waren letztlich ein paar Ecken zu viel. Das alles für einen Kick in der vierten Liga? Naja, da war der Besuch Dinamos am Vortag Abschreckung genug. Und Urlaub will man ja auch irgendwie noch haben.
Also umgesattelt auf Majori, zwar immer noch Teil der Strandstadt Jūrmala, aber deutlich verkehrsgünstiger gelegen. Morgens also fix das Frühstück reingedrückt und ab zum Hauptbahnhof. Wetter wie jeden Tag Bombe, 25° und keine Wolken. Perfekt für einen Ausflug an den Strand! Am Bahnhof galt es noch die Tickets am Schalter zu kaufen, was auf Englisch auch gut klappte. 1,50€ wanderte pro Person über die Theke. Dafür gab’s die Tickets für die einfache Fahrt mit der Tukumus-Line bis nach Majori. Laut Aushang wären für eine gesamte Durchquerung des Landes auch nur etwas über neun Taler fällig. Zugfahren ist in Lettland daher recht empfehlenswert.
Für die etwa 45 Minuten Fahrt stand ein kultiger Diesel-Zug bereit, der selbstverständlich ganz ohne modernen Schnick-Schnack wie Klimaanlagen oder genügend Sitzabstand auskommt. Warum auch vier Sitze pro Reihe wenn sechs reinpassen? Immerhin die Fenster gingen auf, was die Fahrt im recht vollen Zug gen Ozean doch deutlich entspannter machte. Vorbei an grauen Wohnblocks und grünen Sumpflandschaften erreichten wir schließlich Majori, das touristische Zentrum Jūrmalas. Ein heute wie damals vor allem bei Russen beliebter Urlaubsort, wie man sich sagen ließ. Hauptattraktion ist dabei die Jomas iela mit ihren zahlreichen Restaurants und Bars sowie der bunten orthodoxen Kirche (Jūrmalas Kazaņas Dievmātes pareizticīgo baznīca) an deren Ende.
Im Gegensatz zu manchen Teilen Rigas war hier die Hölle los, was sich später am Strand noch einmal verzehnfachte. Zehntausende Menschen gönnten sich hier am wohl letzten Sommerwochenende Nordeuropas ein paar Sonnenstrahlen oder feierten in Strandbars. Man musste sich selbst immer wieder erinnern, mit welchen Einschränkungen in der Heimat jeden Tag um sich geworfen wurde. Corona in Lettland? Kein oder kaum ein Thema. Am breiten Sandstrand fanden wir, nach kurzer Wanderung, schließlich ein schattiges Plätzchen zum Entspannen. Bei 26 Kilometern Gesamtlänge auch nicht die größte Herausforderung. Die Füße im warmen Wasser, die Sonne im Rücken und sorgenfrei. Hatte was von Strandurlaub in der Kindheit. Hätte ich auch mal wieder Bock drauf, einfach so ein paar Tage am Meer gammeln… vielleicht aber auch nur, weil mir gerade im kalten September daheim fast die Beine abfrieren.
In die Idylle grätschte dann irgendwann der Hunger, was für uns das Zeichen des Aufbruchs darstellte. Zurück auf dem Boulevard entschieden wir uns für den Besuch einer Rooftop Bar (hieß auch genauso) und schlemmten zu Mittag ausnahmsweise spanische Kost à la gegrillter Chorizo. Im Anschluss sollte es wieder zurück in die Hauptstadt gehen, sprich zum Bahnhof Majoris gedackelt, zwei Tickets gezogen und ab.
Zurück in Riga wollten noch ein paar Mitbringsel besorgt werden, die in der Folge im Hotelzimmer abgeladen wurden. Für das letzte Abendessen wollte noch die original lettische Küche getestet werden, wofür wir das Province in der Altstadt ausspähten. Im Endeffekt ein Touri-Schuppen mit gesalzenen Preisen und wenig gesalzenem Essen. War aber ok, wobei am meisten die Menüs in deutscher Sprache sowie das schale Bier störten. Satt machte das Beef Stroganoff sowie ein Fleisch-Kartoffel Eintopf dennoch. Den restlichen Abend verbrachte man mit Kofferpacken und dem frühen Gang in die Kojen, mussten wir doch am nächsten Morgen bereits vor sechs Uhr auschecken.
Und schon wieder vorbei
Entsprechend wenig Erbarmen hatte der Wecker mit uns. Aber um fünf Uhr konnte zumindest der Sonnenaufgang über den Flutlichtern des Skonto stadions bestaunt werden. Groggy zog man die Koffer hinter sich bis zur Rezeption und bekam dort noch die bestellten Doggy-Packs in die Hand gedrückt. Paar Bananen und Äpfel, Jogurt, zwei Kaffeestücken, abgepacktes Toast und zwei Flaschen Wasser. Genug, musste aber noch vor Abflug irgendwie runtergespült werden. Mit dem Bus, inklusive Umstieg an der Haltestelle, an der am Anreisetag noch der falsche Bus Lehrgeld kostete, erreichten wir nach einer guten halben Stunde bereits das Terminal des lidosta Riga und hauten uns in den Wartehallen erstmal das Futter zwischen die Zähne. Die zwei Liter Wasser bekamen wir beim besten Willen nicht mehr runter, wäre auch tödlich bei einem Flieger mit zwei Toiletten auf über hundert Leute.
Warten mussten wir nicht mehr lange, dafür war der Flieger in den Landesfarben Litauens (vielleicht ein Fingerzeig für das nächste Reiseziel?) aber ausgebucht. Den ruhigen Flug störte da nur das Ausfüllen des nächsten Wischs, der zwecks Wiedereinreise nach Deutschland von Air Baltic benötigt wurde. Um kurz nach neun Uhr Ortszeit setzten wir auch schon in Frankfurt auf. Müde, aber zumindest noch mit einem ganzen Urlaubstag in den eigenen vier Wänden.
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Was bleibt von Riga hängen? Tatsächlich startete man ohne große Erwartungen in diesen Trip. Während man satte fünf Monate Vorfreude mit nach Tallinn trug, buchte man sich nach Riga fast schon beiläufig knapp drei Wochen vor Abflug ein. Dafür wusste die vielfältige Stadt aber an vielen Ecken zu gefallen. Sei es der dann doch sehr westeuropäisch anmutende Stil der Altstadt, die so schon fast irgendwo in Deutschland stehen könnte, oder aber das eigentliche Zentrum mit seinem wieder eigenen Flair. Es gefiel einfach. Die Leute waren zwar nordöstlich kühl und distanziert, aber dennoch freundlich unterwegs. Dazu wissen die Letten wie man gutes Bier braut und anständige Stadien hochzieht. Am Ende viele positive Überraschungen, die uns zufrieden auf die Tour zurückblicken lassen.