Ligue 2: FC Annecy – AS Saint-Étienne

26.12.2022
16. Spieltag Ligue 2
FC Annecy - AS Saint-Étienne
Parc des Sports Annecy
Endergebnis: 2:1 (1:0)
Zuschauer: 12.180 (ca. 3.000 Gäste)
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Irgendwann im Spätsommer keimte in der Familie meiner besseren Hälfte die Idee, die Zeit zwischen den Feiertagen auf einer Skihütte in den Alpen zu verbringen. Schön gemütlich, mit Raclette, wahlweise Bier oder Wein und einigen Ausflügen in der Region. Auch wenn ich fürs Skifahren viel zu ungelenk bin, war ich bei der Idee von Beginn an voll dabei und freute mich insgeheim auf eine tagelange Bierverkostung vorm warmen Kaminfeuer in den eingeschneiten Bergen. Mit der Zeit wurde unser gemütliches Grüppchen jedoch immer größer und wuchs schließlich auf ganze 14 Leute an. Mit jeder Zusage sah ich die Kontrolle und Gemütlichkeit dahinschmelzen, weshalb wir uns irgendwann aus der Planung herauszogen und alles einfach abnickten. Kann ja nicht allzu viel schiefgehen.

Ein Chalet in Saint-Gervais-les-Bains, nur wenige Kilometer vom Mont Blanc entfernt, sollte uns am Ende für bis zu sieben Nächte beherbergen, während der zufälligen Durchforstung von Spielplänen absolute Freudensprünge folgten: Frankreich spielt, Wüsten-WM sei dank, am Boxing-Day! Zwar nur die zweite Liga, doch das sollte uns gar noch mehr gelegen sein, denn der nächstgelegene Club war der frisch aufgestiegene FC Annecy. Gegner kein geringerer als die AS Saint-Étienne, was für die Stephanois das nächstgelegene Auswärtsspiel markierte, volle Bude also garantiert. Mit nix gerechnet und dann so einen Hammer gezogen – manchmal kann man auch mal Glück haben!

Dank zu diesem Zeitpunkt noch unsicherer Ansetzung (zur Thematik Fussball in Frankreich an Weihnachten und Anstoßzeiten konnte man im Vorfeld nix finden, später erst gemerkt dass der 26. hier gar kein Feiertag ist) sattelte man von der geplanten Anreise per Zug auf das Auto um, was die Planungen um einiges vereinfachte. Auch hier wieder Glück gehabt, denn dank Bahnstreik rollte an unserem Anreisetag in Frankreich sowieso nix auf der Schiene. Der Dezember kam schließlich, der Drucker spuckte die Tickets der Begegnung aus und wir tourten für Heiligabend zunächst ins Saarland. Hier zwei gemütliche Abende verbracht und am Morgen des 25. schließlich gut acht Stunden südwärts. Zunächst über elsässische Landstraßen bis nach Strasbourg, dann über die A5 bis Basel, schließlich vorbei an Lausanne und Genf erreichten wir am späten Nachmittag unsere am Ende einer unbefestigten Straße gelegene Unterkunft für die nächsten Tage. Schickes Häuschen mit wunderbarer Aussicht auf die Alpen, beheiztem Pool und auch sonst allem drum und dran – kein Raum für Beschwerden! Als Nachzügler erlebten wir einen feuchtfröhlichen Abend mit den bereits anwesenden Leuten, lernten ein paar neue Gesichter kennen und fielen schließlich mit ordentlicher Schlagseite in die Federn.

Die Vorfreude auf den geplanten Tagestrip nach Annecy tröpfelte am nächsten Morgen allerdings genauso dahin wie der Regen vorm Fenster. Es goss wie aus Eimern, trotz eigentlich freundlicher Vorhersage. Doch bei dem Mistwetter war an die ursprüngliche Stadtrunde nicht zu denken. Schweren Herzens flog die Planung des frühen Aufbruchs über Bord und wir schlossen uns dem restlichen Tross fürs Mittagessen im nahen Megève an. Doch auch hier klappte nicht alles wie geplant, sodass wir lediglich eine kalte Käseplatte reindrücken konnten und mit ordentlich Verzug gen Annecy aufbrachen. Trotz ordentlich Verkehr erreichten wir die Stadtgrenze mit der erhofften Stunde Puffer bis Anpfiff, doch an der Mautstelle unserer Abfahrt verließ uns das Glück erneut. Im Rückspiegel erahnte ich bereits Blaulichter und erkannte die Umrisse eines Reisebusses, während es direkt vor uns ebenfalls hektisch wurde, einzelne Polizisten auf die Fahrspuren rannten und genau vor uns die Straße sperrten. Nun also mitten drin in den anreisenden Gästen, deren Anwesenheit trotz sportlich miserabler Situation somit zumindest bestätigt werden konnte.

Gut zwanzig Minuten dauerte die Prozedur, dann ging es langsam im Anfahrtsstau vorwärts. Parkplätze im Stadionumfeld waren nun natürlich ebenso rar, wodurch auch hier einiges an Zeit drauf ging. In einem dunklen Wohngebiet fand das Gefährt schließlich einen Stellplatz vor einer Baustelle, ehe wir uns den Massen gen Stadion anschlossen. Wirklich gut was los hier, sogar mit rotem Rauch als Begleitung. Letztlich erreichten wir die langen Schlangen am Eingang der Westtribüne gut zwanzig Minuten vor Anpfiff, unsere Plätze in Block 5 unweit des Gästeblocks etwa drei Minuten vorher. Adrenalin, dessen Ausschüttung nicht unbedingt notwendig gewesen wäre. Aber was soll’s, denn wir haben’s schließlich geschafft! Luft holen, umschauen. Gewählte Plätze top, da alles im Blick und das Dach vor den Regenmassen tatsächlich schützte. Mit 19€ gut bezahlbar, allein das Bergpanorama hinter der Haupttribüne wäre es fast schon wert gewesen. Schade ums Tageslicht, dann hätte man hier eine wirklich tolle Szenerie erblicken können. Stadion soweit ein klassisches Leichtathletikstadion mit Laufbahn, zwei überdachten Tribünen und zwei bestuhlten Kurven. Kapazität genau 12.500, für hiesige Verhältnisse mehr als in Ordnung.

Zu gewöhnlichen Partien säumen etwa 4.000 Zuschauer die Traversen, um den frischen Aufsteiger in den Farben Rot und Weiß spielen zu sehen. Generell ein starkes Stück des FCA, der bis 2015 nur sechstklassig (!) unterwegs war. Doch heute war absolut kein normales Spiel, denn der Gegner war kein geringerer als der französische Rekordmeister. Entsprechend voll sämtliche Tribünen, entsprechend überlastet die Organisation. Der Anlass jedoch mehr als traurig, denn der Gigant von Traditionsverein spielt seit dieser Saison nur noch zweitklassig. Und auch hier torkeln die Grün-Weißen von Niederlage zu Niederlage und hielten zum Spieltag mit vielen Punkten Abstand die rote Laterne fest in beiden Händen. Umso wichtiger für die ASSE, beim nur knapp überm Strich situierten FC Annecy Punkte mitzunehmen. Zählen konnte der Club dabei auf seinen Anhang, der in wirklich großer Masse zum Kick an einem Montagnachmittag um 17.00 Uhr anreiste. Kein Feiertag wohlgemerkt, wenngleich die Ferien einiges vereinfachten.

Genau 700 Tickets wurden nach Saint-Étienne geschickt und in Windeseile abgesetzt, sodass sich die Gäste über den freien Verkauf auch in anderen Bereichen eindeckten. Ging auch ohne Probleme, denn bis auf den Namen musste man im Bestellprozess keine Angaben machen. Gut 3.000 Stephanois dürften es am Ende gewesen sein, mehrheitlich in der Kurve sowie an unserem Ende der Tribüne. Aber die klar erkennbaren, grünen Schals strahlten eigentlich aus sämtlichen Bereichen des weiten Runds. Die meisten Blicke zogen die beiden führenden Gruppen der Gäste, die Magic Fans 91 und die Green Angels 92, auf sich. Zunächst mit einer optischen Aktion aus vielen Schwenkfahnen, die die beiden Protestspruchbänder gegen TV und Führungsgremium des Clubs untermalten: „Le foot appartient aux supporters, pas aux diffuseurs. L’ASSE appartient à ses supporters, pas à ses actionnaires“ (Der Fußball gehört den Fans und nicht den Rundfunkanstalten. Die ASSE gehört ihren Fans, nicht ihren Aktionären.). Im Anschluss folgte noch das Protestspruchband gegen Montagsspiele („Non aux matches le lundi“), während zu Beginn des zweiten Durchgangs der Vereinsname per übergroßem Folien-Doppelhalterkonstruktion am Zaun prangte.

Generell machte man im Bereich der aktiven Gruppen einen Fahnen- und Doppelhaltereinsatz nahe am Optimum aus. Was hier im verhältnismäßig kleinen Block stets in der Luft wehte war schon Spitze. Auch das Zaunfahnenbild mit den alles überlagerten Lappen der beiden Gruppen der Nord und Süd passte zum einheitlichen Gesamtbild des Blocks, der abwechselnd von den beiden Vorsängern angestimmt wurde. Das melodische Liedgut wurde dabei nicht nur vom Mob, sondern weit darüber hinaus mitgetragen. In Frankreich nicht immer üblich, doch hier stimmte meist das Groß der Gäste in die eingängigen Gesänge und Schlachtrufe mit ein. Besonders auch die Hüpf- und Klatscheinlagen, die vor allem auf unserer Tribüne ordentlich schepperten.

Die Lieder waren für uns ein guter Mix aus eigenen Kreationen, die insbesondere aus der kreativen Feder der Stephanois stammen, als auch einigen französischen Klassikern, die im schnellen Tempo vorgetragen wurden. Absolut aus den Sitzen riss es uns allerdings nicht, dafür fehlte es in vielen Momenten schlicht an Lautstärke. Doch für die Gegebenheiten des offenen Blocks bei strömendem Regen sowie der sportlichen Situation ging der Auftritt meiner Meinung nach vollkommen in Ordnung. Befremdlich hingegen, dass selbst die Normalos im Heimbereich Szeneschals- und Klamotten trugen. Da läuft jeder Hanswurst mit „Magic Fans“ Schal durch die Gegend, den er zu Zeiten der großen Offenheit der Gruppen einfach kaufen konnte. Mittlerweile sind die Gruppen zwar deutlich geschlossener, doch einsammeln kann man das Material auch wieder nicht.

Die Heimszene war in Form der „Raiders 74“ am Rande der Osttribüne vertreten und machte mit einigen Schwenkern auf sich aufmerksam, konnte sich allerdings in den gesamten 90 Minuten nicht einmal Gehör bei uns verschaffen. Selbst in stillen Momenten der Gäste kam nichts vom etwa 50er Mob bei uns an. Wie man die einordnen kann weiß ich jetzt aber auch nicht so recht, so startete der Haufen unter anderem eine Lichtershow mit den Smartphones. Generell aber auch ein wirklich passives Publikum hier, was sich selbst durch das Spiel Null mitreißen lies.

Gründe hätte es eigentlich genug gegeben, denn der FCA netzte bereits nach zwei Minuten zur frühen Führung. Santé blieb zwar auf dem Feld in der Folge dran, doch die fehlende Qualität machte sich in vielen Angriffen und im Stellungsspiel durch die Bank bemerkbar. Und das gegen einen ebenfalls im Keller stehenden Aufsteiger, wohl gemerkt. Somit kamen die Hausherren zu Beginn des zweiten Durchgangs zum verdienten zweiten Tor, ehe sich die ASSE gegen Ende noch einmal aufbäumte. Der Anschlusstreffer zum 1:2 in der 75. war ein Treffer des absoluten Willens, der im Gästeblock einen absolut kranken Torjubel auslöste. Alle rennen nach vorne zum Zaun, aus 25 Stufen voller Leute werden vielleicht 5. Die Kurve peitschte die eigene Mannschaft mit allem nach vorne, doch das Ergebnis blieb am Ende bestehen.

Somit wenig Versöhnung auf Seiten der Grünen, die mit ausgestreckten Mittelfinger die Mannschaft weit weg von sich hielt. Unfassbar, welch große Namen derzeit im französischen Fussball zu Grunde gehen. Ich hoffe wirklich, dass der Club noch einmal die Kurve kriegt, denn nach Abstieg in die Drittklassigkeit geht’s für viele hier meist noch tiefer, wenn nicht sogar in den Bankrott. Während von draußen bereit das Scheppern der ersten fliegenden Böller die Straßen erfüllten, machten wir uns im Sturzregen auf den Rückweg zum Auto. Termine und so, denn in der Bleibe wartete die Meute zum Abendessen. Entsprechend fix ging’s mit dem Auto zurück an den Esstisch, wo wiederum ein top Abend verbracht wurde.

Hier gibt’s weitere Bilder!

Die restlichen Tage kann man eigentlich mit drei Worten zusammenfassen: Berge, Bier und Käse. Wirklich top war unser Ausflug an den größten Gletscher Frankreichs „Mer de Glace“ am Fuße des Mont Blanc, dem zunächst eine Zugfahrt aus Chamonix auf 2.000 Meter vorausging, ehe es wiederum per Seilbahn und 520 Treppenstufen hinunter zu einer Eishöhle ging. Beeindruckende Landschaft, deren Tage allerdings gezählt sind. Was hier in wenigen Jahren an Eis geschmolzen ist, wie viele hundert Meter an Höhe allein fehlen, konnte man am eigenen Leib verspüren. Den Nachmittag verbrachte man schließlich in Chamonix selbst, einer Kleinstadt, die schlichtweg nur vom Skitourismus lebt. Entsprechend bestimmen Sportausrüster das Stadtbild, allerdings erspähte man auch einige gemütliche Ecken mit Cafés und Bars. Eine der Letzteren ist die der Big Mountain Brewing Co., einer lokalen und wirklich empfehlenswerten Brauerei, die qualitativ so einiges aus dem Zapfhahn zu bieten hat. Dazu Pizza und der Abend war perfekt. Sonst war auch viel Entspannung angesagt, ehe es zum letzten Tag des Jahres wieder zurück in heimische Gefilde ging.