Testspiel: SV Darmstadt – BSC Young Boys

17.12.2022
Testspiel
SV Darmstadt - BSC Young Boys
Stadion am Böllenfalltor
Endergebnis: 2:0 (2:0)
Zuschauer: 10.098
Fotoalbum

Mitte Dezember und Pflichtspiele weit und breit nicht in Sicht. Schon zum kotzen, dieser spezielle Winter in 2022. Doch Rettung nahte in Form der angekündigten Eröffnung des umgebauten Stadion am Böllenfalltor in Darmstadt, wofür ein waschechtes Freundschaftsspiel gegen die Young Boys aus Bern ausgemacht wurde. Besser kann ich mir persönlich einen solch wichtigen Termin auch nicht vorstellen. Somit Tickets für die Nordtribüne zu 19€ pro Nase geordert, die gleich als Fahrkarte in die südhessische Großstadt fungierten. Würde mich per S-Bahn fast genau den gleichen Betrag kosten, daher lohnte sich der Tagesausflug gleich doppelt.

Entsprechend etwas frühere Anreise und eine kleine Runde über den Darmstädter Weihnachtsmarkt, der schon zahlreich von schwarz-gelben Schweizern und blau-weißen Lilien bevölkert wurde. Wahrscheinlich auch mit nie gekannter Bewegungsfreiheit, denn mehr als die übliche Anzahl Schmier an einem Samstagmittag machte man nicht aus. Wir genehmigten uns im dichten Gedränge eine Runde heißen Äppler und kippten etwas Hochprozentigen nach – Minus sieben Grad lassen sich als nicht am Support Beteiligte auch nicht anders aushalten. Die folgende Tramfahrt zum Stadion spendete wenigstens etwas Wärme, ab dem Ausstieg am Stadion halfen nur noch warme Gedanken und die Vorfreude auf das folgende Match.

Durch den gerade ankommenden Fanmarsch schlängelten wir uns gen Eingang und machten von hier bereits die neue Westtribüne aus. Gemeinsam mit der Gegengerade die finale Ergänzung des nun runderneuerten Böllenfalltors. Bisschen wuchtig ausgefallen, wenn man mal den Abstand der obersten Reihe bis zum Dach betrachtet, doch allgemein blieb zumindest die Form der alten Haupttribüne erhalten. Ob die beiden Hintertortribünen irgendwann ihr Antlitz von Stahlrohr in grauen Beton ändern werden, hängt wohl primär vom sportlichen Weg der Lilien in den nächsten Jahren ab. Aktuell siehts ja gut aus und wünschenswert wäre es ebenso, denn dann wäre die Bude ein schöner, geschlossener Kasten. So dominiert auf der Nord weiterhin das Getrampel mit den Füßen als einziges Mittel zur Stimmungserzeugung.

Mehr als 10.000 Schaulustige bevölkerten in der Folge die vier Tribünen des Bölle und wurden bereits vor Anpfiff Zeuge einer wirklich atemberaubenden, optischen Aktion der beiden Fanszenen. Zwei Ultras der beiden Clubs erzählten die Geschichte der Freundschaft über die Stadionlautsprecher in Form einer Tramfahrt, die als Berner Modell bildlich vor der Südtribüne entlang fuhr. Dazu erblickten die Beiden „aus dem Fenster“ die Anfänge und Highlights der 15 jährigen Geschichte, die in Form von fünf großen, an Zugseilen befestigten Blockfahnen nacheinander in Richtung Dach hochgezogen und kommentiert wurden. Mit dabei natürlich die Touren am Anfang, die sportlich schwierige Situation der Darmstädter in der vierten Liga, dagegen das krasse Gegenteil mit Bern international zu fahren, die finanzielle Rettung des SVD sowie die Vorzüge der jeweiligen Stadien.

Die Berner Straßenbahn bog am Ende der Tribüne ab und machte Platz für das Darmstädter Model, welches nun entlang der Gegentribüne den Weg fortsetzte. Blaue und weiße Papptafeln auf beiden Rängen bildeten den Hintergrund der sich nun fortsetzenden Geschichte, die mit drei sich gegenseitig umarmenden Anhänger der beiden Teams ins hier und jetzt überführt wurde. Ebenso stieg das Konterfei der neuen Tribüne empor, was die Geschichte mit dem gemeinsamen Gang der beiden Ultras zum heutigen Spiel abschloss. Die nun auf allen Tribünen wehenden Freundschaftsfahnen beendeten die wirklich schöne und vor allem emotionale Aktion, die die langjährige Verbindung der Fanszenen auch den neutralen Zuschauern gegenüber mit Gänsehaut verdeutlichte. So viel Arbeit für ein Testspiel mag der eine meinen, doch für alle Beteiligten mit Sicherheit genau der richtige Rahmen für eine solche Feier.

Der Gästeblock blieb für diesen Tag selbstredend geschlossen, denn beide Lager bevölkerten die Südtribüne und koordinierten einen gemeinsamen Support. Dabei wechselten sich Darmstädter mit Berner Melodien immer wieder ab, während bei manch bekannten Liedern die Texte auf „Darmstadt & Bern“ abgeändert wurden. Alles ohne große Pausen und mit einer in vielen Ecken auszumachenden Freude und Leidenschaft für beide Farben. Zahlreiche Fackeln über die gesamten neunzig Minuten pushten den großen Haufen immer wieder und wurden großteils von offizieller Seite toleriert. Schön, dass sich der Club u.a. durch ein spezielles Stadionmagazin sowie durch den Auftritt Alberto Coluccis an der Aktion beteiligte.

In der Halbzeitpause folgte mit einer dichten Rauschshow in Blau und Gelb die zweite, koordinierte optische Aktion des Tages, die durch eine Reihe weißer Bengalos über die komplette Breite des Blocks abgerundet wurde. Auch hier ein sehr rundes Bild von der gegenüberliegenden Seite. Fussball wurde natürlich auch gespielt, doch das 2:0 für den SVD sei hier nur eine Randbemerkung. Denn die Augen hielt es nie wirklich lange bei den Akteuren auf dem Rasen, sondern vielmehr bei denen, die ihre Vereine und am heutigen Tag sich selbst lautstark feierten: Den Ultras aus Darmstadt und Bern.

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Standesgemäß feierte der Haufen nach Abpfiff mit beiden Mannschaften, doch während hier der Startschuss für eine wahrscheinlich sehr ausschweifende Feier ertönte, freuten wir uns auf die wohlig tuckernde Heizung der alten Tram, die uns zurück zum Bahnhof brachte. Auch ohne persönlichen Bezug zu beiden Vereinen ein wirklich toller Abend, der allein durch die emotionale Choreo zu den Highlights des Jahres zählen wird!