26.11.2022
18. Spieltag Regionalliga West
SG Wattenscheid - SC Preußen Münster
Lohrheidestadion
Endergebnis: 4:5 (1:4)
Zuschauer: 2.709 (1.600 Gäste)
Fotoalbum
Nach Durchforstung der Spielpläne stand man vor zwei Optionen für den Samstag: Entweder nach Augsburg um das altehrwürdige Rosenaustadion im zweiten Anlauf zu kreuzen, oder tief in den Westen an die Wattenscheider Lohrheide zum Knaller-Spiel gegen Münster. Eine ganze Zeit lag die Tendenz auf dem Kick in Schwaben, vor allem aufgrund der Gedanken an diesen einen verschneiten März-Nachmittag 2018, an dem so ziemlich alles schief lief, doch die Ankündigung des baldigen Starts der Umbauarbeiten in Wattenscheid verschob die Prioritäten in Richtung Ruhrgebiet. Somit mal wieder eine der letzten Chancen, die Bude im ursprünglichen Charme einer alten Bundesliga-Schüssel bei entsprechender Kulisse zu besuchen. Das Rosenau läuft aufgrund des Denkmalschutzes ja nicht weg.
Somit ging’s voller Vorfreude die gut drei Stunden hinauf ins Land der Zechen und Kumpelvereine, wo unweit eines alten Schachts das Gefährt einen Stellplatz fand. Per Pedes die kurze Strecke zur Lohrheide zurückgelegt, wo wir das Umfeld etwas über eine Stunde vor Anpfiff erreichten. Noch beherrschte die Ruhe die Umgebung, somit aber auch keine Schlangen am Einlass! Eine kurze Recherche im Vorfeld markierte die Haupttribüne als wohl besten Platz im Rund, weshalb wir hier 15 Taler pro Person durch die Luke schoben und uns am schicken Ticket erfreuten. Stellte sich nicht als die beste Idee heraus, dazu aber später mehr. Zunächst galt der Fokus den hungrigen Mägen, die am Verpflegungsstand optimal befüllt werden konnten. Die „wohl beste Stadionwurst Deutschlands“ kam auf dieser Tribüne leider nicht vom Grill, dafür saftige Frikadellen und wirklich schmackhafte Sucuk. Sehr lecker, Daumen hoch!
Danach ging’s hinein in die schöne Bude, die seit 1965 die SG Wattenscheid beheimatet und Platz für 16.223 Zuschauer bietet. Eine in Form gegossene Schönheit von Stadion, die man im Profifußball heutzutage schmerzlich vermisst. Vor allem die weiten Kurven müssen im gefüllten Zustand ordentlichen Eindruck gemacht haben, während die kleine Gegen- als auch die große Haupttribüne für den recht kleinen Anteil an Sitzplätzen sorgen. Reichte in früheren Jahren für etliche Spielzeiten im Unterhaus als auch für vier Jahren Bundesliga, als sich die SGW noch mit dem großen, blau-weißen Feind aus der eigenen Stadt messen durfte. Heute freut sich der chronisch klamme Club über den Wiederaufstieg in die Regionalliga West, in der man derzeit jedoch ein Dasein auf dem vorletzten Tabellenplatz fristet.
Der Gegner des Tages grüßt hingegen vom Platz an der Sonne, bei gleichzeitig großem Punktevorsprung. Somit war im Vorfeld auch mit einer ordentlichen Zahl Gästefans zu rechnen, auf die man sich selbstverständlich am meisten freute, war es doch mein erster Kontaktpunkt mit Preußen seit 2014 und somit das erste Spiel seit der neu aufgebauten, geschlossenen Fanszene. Blöd nur, dass einem langsam aber sicher klar wurde, dass sich der aktive Haufen ebenso auf der Haupttribüne einnistete. Dumm gelaufen für uns, da wir optisch somit maximal das Seitenprofil des Haufens zu Gesicht bekamen. Gibt schlimmeres, geärgert hat es mich trotzdem. Die Zaunbeflaggung blieb uns daher im Verborgenen, jedoch bekam man einen kleinen Einblick hinter die Kulissen und schaute sich insbesondere die Konstruktion der erhöht angebrachten Gruppenfahne an. Gerade bei Blöcken ohne echten Zaun ein einfallsreiches Mittel.
Viele Ordner waren nicht anwesend und die Absperrung zum Spielfeld vielleicht Hüfthoch, das kann also was werden, so die Gedanken schon weit vor Anpfiff. Dafür hielt die Bereitschaft per im Stadion geparktem Transporter mit der Kamera ständig drauf, während über die volle Zeit die entsprechenden Motoren brummten. Klimaschutz und so, aber vielleicht wollte man auch einfach nur die Stimmung für die Nachwelt aufzeichnen. Denn der Auftritt des großen Mobs war wirklich phantastisch! Viele Schwenkfahnen und Schals ständig in der Luft, dazu anfangs ein paar Blinker auf dem Boden und beständige Gesänge, die im gesamten Rund zu hören waren. Dabei setzt die Münsteraner Szene auf sehr melodisches Liedgut, wählt dabei aber eine sehr langsame Geschwindigkeit, die den Gesängen einen schweren und tiefen Stempel aufdrückt. Sonst wo überholt man sich beim immer schnelleren Singen ja regelmäßig, während hier die Zeilen nach nur einer Runde verstanden werden konnten. Gefiel mir richtig gut und das Dach tat sein Übriges.
Auf der Gegenseite war hingegen tote Hose angesagt, denn die Wattenscheider Szene zeigte weder optische noch akustische Präsenz. Grund dafür sind wohl Polizeimaßnahmen wie Hausdurchsuchungen bei einigen Mitgliedern der aktiven Szene, wozu im späteren Verlauf das Spruchband „Betroffene, bleibt stabil!“ Stellung bezog. Ganz stark: Auch die Gäste zeigten sich per Spruchband solidarisch! Somit blieb es auf der Heimseite bei sporadischen Schlachtrufen und zagen Anfeuerungs-Versuchen der Kutten und Normalos.
Und das Spiel? Wäre da nicht das Stadion und der Sahneauftritt der Münsteraner, der Nachmittag hätte trotzdem das Prädikat „Phänomenal“ erhalten. Was für ein Schlagabtausch! In der Partie, die aufgrund des Besucherandrangs 15 Minuten später begann, ging zunächst Münster durch einen Doppelschlag früh in Führung, ruhte sich darauf etwas aus und verwandelte in der 40. einen Elfmeter zum 3:0, ehe Wattenscheid ebenso per Elfmeter den Anschluss fand, bevor Münster im direkten Gegenzug die insgesamt fünfte Bude der Halbzeit erzielte. Da war erstmal Durchatmen angesagt, doch der zweite Durchgang setzte dem Gesehen noch einmal die Krone auf. Direkt nach Wiederanpfiff zeigte der alles in allem gute Unparteiische erneut auf den Punkt vor dem Preußen-Tor, was den Hausherren den Anschluss zum 2:4 brachte.
Wenig später sah ein Akteur der SGW die Ampelkarte, doch die Schwarz-Weißen blieben dran und erzielten in der 78. das 3:4. Jetzt war richtig Feuer angesagt, beide drückten nun auf die Entscheidung. Neunzig Minuten waren irgendwann durch und der vermeintlich letzte Angriff der Wattenscheider saß. 4:4 in der 92. Minute, die Lohrheide explodierte förmlich, selbst von der Haupttribüne segelten die Bierbecher gen Rasen. Ließ der Tabellenführer was beim Vorletzten liegen? Der Rest ist eine dieser Geschichten, wie sie nur der Fussball schreibt: Münster warf nochmal alles nach vorne – und traf in der 96. Minute zum unfassbaren 4:5. Ein unglaublicher Torjubel schallte aus dem Bereich der Gäste, die ihrerseits keinen Halt mehr fanden und den Rasen fluteten. Das sind Emotionen, das ist einfach all das, was diesen wunderschönen Sport so ausmacht! Der Schiedsrichter pfiff die Partie noch während der Jubelorgie ab und beendete somit eins der, aus neutraler Sicht, besten Spiele der laufenden Saison. Die Gästefans enterten wenig später wieder ihren Block und stimmten zur Feier des Auswärtssieges an, während das Heimpublikum wie versteinert die letzten Minuten zu verstehen versuchte. Surreal, für beide Seiten.
Auch wir mussten das Gesehen etwas verarbeiten, fanden schließlich aber den Weg nach Draußen und zurück zum Gefährt. Weitere drei Stunden Fahrt und einen Besuch eines schwedischen Möbelhauses später endete der erfolgreiche Tag auf dem heimischen Sofa. Erlebnisse, die einem so eine Kack-Veranstaltung im TV bei Weitem nicht bieten kann!