15.03.2022
38. Spieltag EFL Championship
Birmingham City FC - Middlesbrough FC
St. Andrew's Stadium
Endergebnis: 0:2 (0:1)
Zuschauer: 15.852 (ca. 2.800 Gäste)
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Wem die Zeit vor Corona noch ganz schwach leuchtend im Hinterkopf dimmert, wird sich eventuell an die politischen Unruhen in Hongkong erinnern, als bis zu zwei Millionen Menschen an einem Tag gegen die langsame Einverleibung der Stadt durch China demonstrierten. Die anfangs friedlichen Proteste mündeten in einen über Monate andauernden Straßenkrieg gegen Polizei und Militär, an dessen Ende sich der kommunistische Nachbar mit aller Härte durchsetzte. Der Widerstand war gebrochen, viele flüchteten ins Ausland. Als ehemalige Kolonialmacht trat England nun auf den Schirm und offerierte jedem, der noch zur Zeit der britischen Herrschaft in HK geboren wurde, mit einem einfachen Antrag das Bleiberecht auf der britischen Insel. Über hunderttausend Einwohner taten diesen Schritt und kehrten der einstigen asiatischen Weltstadt, die für Offenheit, Meinungsfreiheit und Toleranz gegenüber jedem stand, den Rücken auf der Suche nach Frieden.
Was dies alles mit obigem Spielbesuch zu tun hat, fragt ihr nun sicherlich? Nun, auch ein Teil meiner Familie, genauer gesagt der meiner besseren Hälfte, verbrachte die letzten Jahrzehnte in Hongkong und nahm sich nun diesem mutigen Schritt des Umzuges an. Lange war es bereits geplant, aber dann kam ja noch Corona mit all seinen Einschränkungen, die alleine den Gedanken eines Fluges von Asien nach Europa verbot. Doch all das Warten zahlte sich aus, der Umzug war nun plötzlich in greifbarer Nähe. Nachdem die Wohnungssuche aus der Ferne geklärt und das Einreisedatum feststand, war schnell klar, dass auch wir die Reise mit antreten werden. Sei es als Umzugsunterstützung, Hilfe beim Möbelkauf oder einfach nur, um sich nach über zwei Jahren abseits von Skype mal wieder zu sehen. Birmingham sollte der neue Lebensmittelpunkt werden, was auf allen Seiten für Vorfreude sorgte. Ist jetzt auch nicht DIE Stadt, die man sich für eine einwöchige Tour als Zentrum des Handelns aussucht.
Wir buchten uns derweilen für schlappe neun Taler die Nase via irischer Harfe in einen Bomber nach Stansted und orderten für den Preis einer zweiwöchigen Balkan-Tour einen Mietwagen, der groß genug für die bevorstehenden Aufgaben war. Der fußballerische Part fiel entsprechend in meine Verantwortung und sollte, ganz zur eigenen Überraschung, keinen unerheblichen Anteil der Woche darstellen. Bei Ankunft Montag und Rückreise am Samstagmittag blieben sowieso nur die Abende zur freien Verfügung, doch der englische Ansetzungsgott hatte sein Erbarmen mit uns. Die zweitklassige Championship hatte englische Woche (Wortwitz, hehe), woraus, wie sollte es auch anders sein, ein Besuch Birmingham Citys heraussprang. Mit 20 Pfund pro Nase auch nicht wirklich unbezahlbar. Mittwoch wartete das nahe Coventry auf uns und als man für das Nachholspiel von Everton zwei Restkarten für das nahezu ausverkaufte Duell gegen Newcastle im Goodison erwischte, hörte das vor Freude strahlen in den zwei Wochen bis zur Abreise gar nicht mehr auf. Übrigens bekamen wir von allen Vereinen die Tickets in der Folge zu uns nach Deutschland geschickt, und das gänzlich ohne Aufpreis! Da kann sich manch heimischer Verein, der ‘nen Fünfer für das Porto einstecken will, gerne mal was abschauen.
Und schneller als erhofft war es dann auch soweit und wir schälten uns um drei Uhr morgens an einem Montag aus den Federn. Da steckte der Ausflug zur Eintracht am Vorabend noch tief in den Knochen. Fix die Taschen geschnappt und mit der S-Bahn zum Flughafen, erreichten wir irgendwann das T2, stopften noch fix was vom goldenen M in den Rachen und stolperten im Anschluss direkt in den Flieger. Recht eng der Zeitplan dieses Mal, aber vier Stunden Schlaf wollte ich dann doch haben. Denn eine gute Stunde später wartete, nachdem das Einreiseprozedere in Stansted erstaunlich gut klappte, die Abholung des Mietwagens auf uns.
Ich war ja schon vor den dortigen Europcar-Gaunern gewarnt und hab mich entsprechend gewappnet. Doch der anfangs überaus freundliche Vertreter dieses Abzocker-Vereins tat wirklich alles, um uns über den Tisch zu ziehen. In das Auto würden nicht alle Koffer für vier Leute reingehen, daher hätte er hier bereits einen anderen Schlüssel für ‘nen größeren Wagen für schmale 100 Pfund mehr. Brauchen wir nicht, passt schon. Dann meinte er plötzlich, dass wir keine Versicherung für den Wagen hätten und er uns eine günstige für gerade mal 200 Pfund für die paar Tage mitgeben kann. Sei echt ein Schnäppchen. Die buchte er dann auch gleich bei der Kautionsübergabe von der Kreditkarte ab, bevor ich da irgendwas unterschrieben hatte oder Nein sagen konnte. Wieder zurück, brauchen wir nicht. Dann lügt er uns eiskalt ins Gesicht und versucht uns zu erklären, dass wir durch unsere Vollkasko lediglich die Reifen versichert hätten, und nicht das ganze Auto. Wer hier mal lachen oder sich ein mahnendes Beispiel anschauen will, googelt mal nach Europcar im Rental Car Village am Stansted Airport. Die Bewertungen sagen alles.
Muss auch rückblickend einfach so sein, dass in spanischen Feriengebieten sowie in Ländern wie Bulgarien und Montenegro alles glatt läuft und es hier mit der Brechstange versucht wird. Wir schmetterten alles ab, ließen es uns am Ende schriftlich geben, dass keine weitere Zahlung abgebucht wird und hielten endlich die Schlüssel zu einem wuchtigen Peugeot SUV in der Hand. Da hätte ich auch zehn Koffer rein bekommen, soviel also dazu. Die Geschichte ging natürlich auch bei der Rückgabe weiter, dazu aber später mehr.
Nachdem sich der Puls wieder in angemessene Sphären einpendelte und die Konzentration aufgebaut wurde, ging’s für mich auf der falschen Straßenseite mit Handschaltung links (würg) auf die Autobahn gen London. Gewöhnt hatte ich mich allerdings schnell dran, ging in der Woche dann auch soweit alles gut. Nach gut neunzig Minuten erreichten wir Heathrow, luden dort voller gegenseitiger Freude die Familie ins Auto und tourten die anschließend zwei Stunden hinauf gen Birmingham. Bei 70mph Schneckengeschwindigeit definitiv nicht die leichteste Aufgabe, dabei nicht wegzunicken. Klappte dann aber gut und nachdem in einem Tesco auf dem Weg der erste Pie der Woche verspeist wurde, luden wir auch schon das Gepäck in die schöne neue Bleibe, aka unser zukünftig immer wiederkehrendes Wochenend-Domizil. Den Rest des Tages verbrachte man mit der stundenlangen Besichtigung eines schwedischen Möbelhauses sowie diversen Supermärkten, was sich auch am Dienstagvormittag fortsetzen sollte. Das Positive hierbei: Keine Maske! Was für ein herrliches Gefühl, einfach so ohne Gedanken überall reinlaufen zu können!
Dienstagmittag war das Gröbste erledigt und wir machten uns per Bus auf den Weg in die Innenstadt. Eine recht kurze Tour, liegt die Wohnung doch sehr günstig. Dort drehten wir eine erste Runde um die St. Philip’s Cathedral sowie der Fußgängerzone und kamen schnell zum Schluss, dass die mit 1,14 Millionen Einwohner zweitgrößte Stadt nicht unbedingt mit den touristischen Sehenswürdigkeiten von London oder Liverpool mithalten kann. Denn die ehemalige Industriestadt wandelte und wandelt sich in ein modernes Zentrum voller Wohnhochhäusern und Einkaufsmeilen. Viel Glanz auf der einen Seite, aber auch viel Dreck in den Nebenstraßen. Schöne Ecken gibt’s natürlich ebenso reichlich, wobei insbesondere der alte Kanal Erwähnung finden soll, welcher sich durch weite Teile der Stadt erstreckt. An beiden Ufern findet man zahlreiche kleine Kneipen und Lokale, die gerade bei dem vorherrschend schönen Wetter definitiv zum Verweilen einluden. Ein ander Mal lassen wir uns sicher hier nieder!
Das Chinese Quarter hatte es uns dann aber so richtig angetan, was hauptsächlich auf die hohe Zahl Hongkong-stämmiger Einwohner zurückzuführen ist. Nahezu sämtliche Leckereien der kantonesischen Küche sind hier originalgetreu vorzufinden, was in den kommenden Tagen natürlich ausgiebig getestet wurde. Klare Empfehlung an alle, hier mal vorbeizuschauen! Wir blieben an diesem Nachmittag lediglich in der Bäckerei zwecks Wegzehrung und machten uns langsam auf den Weg gen Osten der Stadt. Entschieden hatten wir uns im Vorfeld für die Partie zwischen City und Middlesbrough, auch Boro genannt, und damit gegen die sportlich sicherlich attraktivere Begegnung von West Bromwich und Fulham. Allerdings hat Fulham jetzt nicht unbedingt den Ruf die besten und meisten Fans zu stellen, während Boro Woche für Woche mit Massen an Anhängern die Stadien der Insel bevölkert. Auf diese Meute freuten wir uns bereits beim finalen Fußmarsch zum Stadion, was erhaben auf einem Hügel aus der Dunkelheit aufleuchtete.
Eine Runde durften wir drehen, dabei natürlich auch am Fanshop haltmachen und wenig später die Rückseite dieser affengeilen Haupttribüne erblicken. Ein Traum aus Backsteinen und Wellblech tat sich vor uns auf, der ebenso diese Mini-Schlitze als Tribüneneingänge besitzt. Da geht jedem Stadionromantiker das Herz auf. Für hiesige Verhältnisse recht früh enterten wir durch Eingang D unseren Block MS1, der mit bestem Blick auf das Stadion samt Gil Merrick Stand aufwartete. Auf Letzterem befindet sich am östlichen Ende der Gästeblock, während sich der aktive Haufen Citys am westlichen Ende niederlässt. Auch so eine Eigenheit der Insel, immer so nah wie möglich bei den Gästen sein zu wollen. Und auch von Innen gefiel die Haupttribüne mit ihrem altbackenen Charme und dem ansatzweise überstrichenen Gammel. Blanke Stahlgerüste tragen das Dach, während überall alte Hinweisschilder vor obszönen Ausdrücken und Gesten warnen. Guter Witz! Das restliche Stadion ist hingegen etwas neuer, allerdings komplett doppelstöckig ausgebaut. Insgesamt finden hier genau 30.009 Schaulustige im All-Seater platz, macht also schon einiges her die Bude!
Aufgrund des eher geringen Zuschauerzuspruchs der Blauen bleibt zudem im normalen Ligabetrieb der Unterrang, abseits der Tribüne der aktiveren Fans, geschlossen. Schade, bei der aktuellen sportlichen Situation aber auch nicht verwunderlich, schrammt der Club aktuell nur wenige Punkte an der Abstiegszone vorbei. Das größte Aushängeschild der Stadt Birmingham ist man aber sowieso nicht, den Rang hat Aston Villa Inne. Generell glänzt im Trophäenschrank der Blues aber auch recht wenig: Zwei Mal konnte der eher unbedeutende League-Cup erkämpft werden (1963 und 2011), während die Premier League lediglich vor 1986 sowie, sogar nach Jahren der Drittklassigkeit, zwischen 2002 und 2011 regelmäßig besucht werden durfte. Seitdem ist der Fahrstuhlclub durchgängig in der Championship anzutreffen, bildet dabei aber immer wieder starke Spieler aus. Jüngster Exportschlager ist der aktuelle Dortmunder Jude Bellingham, welcher seit der Jugend ganze 10 Jahre für die Blues aktiv war, ehe er nach Deutschland wechselte.
Auf den Rängen war auf der Heimseite hingegen gar nichts los. Kein Plan, ob es an der erwähnten erfolglosen Saison liegt oder hier generell nichts geht. Selbst der kleine Haufen augenscheinlich junger Fans, die am oberen Ende der Heimtribüne standen und sich gekonnt im Provozieren des zahlenmäßig hundertfach überlegenen Gästemobs übten, bekamen über das Spiel verteilt vielleicht ein Mal die Zähne auseinander. Äußerst schwach und hätte ich so nicht erwartet. Dem gegenüber standen mit den knapp 3.000 motivierten Gästen, die den dreistündigen Trip aus Middlesbrough an einem Dienstag auf sich nahmen, unser eigentlicher Hauptgrund des Spielbesuchs. Und wir wurden nicht enttäuscht! Im typisch englischen Stil wurden immer wieder Gesänge aus der Masse heraus angestimmt, ein bis zwei Runden getragen, ehe die Lautstärke genauso fix wieder abebbte. Dabei gab’s so ziemlich die üblichen Standardmelodien der Insel, aber dafür war man ja auch hier. Ansprechender Auftritt allemal!
Auch sportlich stellte sich schnell das qualitative Übergewicht der an den Playoffs schnüffelten Rot-Weißen heraus und der erste Treffer ließ nicht allzu lange auf sich warten. Starker Jubel der Gäste im Folgenden, bei dem auch eine größere Portion roter Rauch den Block einnebelte. Ein zweiter Treffer kurz vor der Pause wurde nach einigem hin und her aufgrund einer Abseitsposition wieder zurückgenommen. Die Halbzeit nutzten wir selbstverständlich zur Verköstigung des lokalen Verpflegungsangebots. Natürlich durfte das einzig wahre, von einem bekannten Groundhopping-Instagram-Hashtag beworbene, Gericht nicht fehlen: Der Balti Chicken Pie! Ist im Endeffekt ein Hähnchen-Curry in Blätterteig, mundete gemeinsam mit einem frisch gezapften Amstel an diesem Abend aber hervorragend. Meine Begleitungen labten sich eher an der heißen Schokolade und waren damit ebenso ganz zufrieden.
Fix ausgetrunken, weil Alkohol mit auf die Ränge nehmen ist nicht (und die beiden Schränke von Ordner meinen es auch ernst) und schon ging es in den zweiten Durchgang, der erstmal mit einem Paukenschlag startete: Elfmeter für Boro, die Masse macht sich über Minuten bereit zum Jubel – aber der Torhüter von City hält. Erstmals war hier sowas wie Stimmung und Ekstase zu vernehmen, erstmals schwappten laute Gesänge durch die Bude. Das wars dann aber auch schon wieder, denn Boro legte recht fix die zweite Bude nach und besiegelte damit den Endstand, den die Hausherren nur noch zu Zehnt erlebten. Ausgelassene Feier also auf der einen Seite, während gut zwei Minuten vor Schlusspfiff das restliche Rund quasi bereits verwaist war. Diese Effektivität der Stadionleerung sieht man aber echt nur in England und Frankreich.
Wenige Augenblicke nach Schlusspfiff waren wir nahezu die letzten verbliebenen Seelen auf der Haupttribüne und stapften alsbald nach Draußen. Dort warteten wir gemeinsam mit einigen zwielichtigen Vorstadtgestalten einige Minuten auf den Bus, der uns nach kurzem Umstieg wieder in die Bleibe brachte. Netter Auftakt in den fußballerischen Teil der Tour, der in den nächsten beiden Tagen seine verdiente Fortsetzung fand. Zur Stadt sei nur gesagt, dass wir beileibe noch nicht jede Ecke erkunden konnten, dafür fehlte einfach die Zeit. Das Ganze nachzuholen wird die Aufgabe, der wir uns im Laufe des Jahres widmen werden!