23.10.2021
12. Spieltag Prva Crnogorska Liga
FK Budućnost Podgorica - FK Iskra Danilovgrad
Stadion Pod Goricom
Endergebnis: 4:1 (1:1)
Zuschauer: 1.200
Fotoalbum
Nachdem in den Tagen zuvor bereits die unglaublichen Landschaften erkundet wurden, sollte am Samstag endlich der Länderpunkt Montenegro fallen. Am Ende leider unser erstes als auch letztes Spiel der Tour, hatte der Verband mit seinen Verlegungen weniger als 24 Stunden vor Anpfiff doch einiges gegen die geplante Zahl von zwei oder drei Partien. Aber was soll’s, bei so vielen Eindrücken, die man sich auch am kommenden Tag nicht entgehen lassen wollte, muss auch König Fussball ab und an hinten anstehen. Den Tag in Podgorica bekam man bei einem kurzen Stadtrundgang und leckerem Essen gut rum, sodass das eigentliche Highlight am späten Nachmittag langsam aber sicher vor uns stand. Strammen Schrittes ging es daher zum Nationalstadion, dessen Flutlichtmasten schon von weitem den Weg zum heiligen Rasen weisen.
Den Rundgang um die Bude absolvierte man schon am Vormittag dank des kostenlosen Parkplatzes direkt hinter der Osttribüne. Guter Tipp, falls ihr mal auf vier Rädern in den überquellenden Straßen der Hauptstadt unterwegs seid und einen matschigen Stellplatz für euer Gefährt sucht. Schon hier erschlugen uns die in sämtlichen Blautönen erstrahlenden Wandmalereien der Varvari, der führenden Gruppe von Budućnost, sowie der Huldigungen an Verein und verstorbene Mitglieder. Dieses Muster setzte sich nicht nur hinter der Tribuna Sever fort, sondern auch durch die gesamte Stadt. An jeder Ecke spürte man die Verbundenheit der Viertel und der gesamten Stadt mit dem Verein, an nahezu jedem Häuserblock prangte das Logo des Hauptstadtclubs. Eigentlich kaum in Worte zu fassen, welch hohe Aussagekraft diese detailverliebten Bilder versprühen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon richtig Bock auf das Spiel, gleichzeitig wohlwissend, dass der heutige Kick wohl kaum mit den alten Schlachten gegen die Belgrader Vereine oder heutige Europapokalauftritte vergleichbar sein wird. Aber wird schon werden. Mit wiedermaligem Erblicken des Stadions, welches durch seinen großen, vorgelagerten Platz samt Springbrunnen eher einen Eindruck von Zentrum machte als selbiges, drangen schon die ersten Töne der Musikbeschallung über die dröhnenden Straßen nach draußen. Etwas skurril wirkte das ganze schon, handelte es sich bei den Liedern komplett um Vereins- und Fanhymnen in Punk und Oi, während das Stadion von außen viel mehr den Eindruck einer Shoppingmall versprühte als dem eines Fussballtempels. Klar, was so zentral in der Stadt steht und lediglich alle zwei Wochen benutzt wird, soll auch anderweitig Verwendung finden. So siedelten sich unzählige Geschäfte, Büros und Cafés in die verschiedenen Tribünen ein und lassen uns mehr schlecht als recht nach dem Eingang suchen.
Fündig wir schließlich am südlichen Ende der Zapad. Nach kurzer Warterei wanderten zwei Papiertickets für die Haupttribüne für jeweils zwei Euro über den Tresen. Schnäppchen, sodass man auch gleich beim Seidenschal für ‘nen Zehner zuschlug. Mit den etwas billig gedruckten, dafür mit Tribüne, Gegner und Termin versehenen Karten ging es direkt auf den rechten Bereich der Zapad, an deren Eingang noch die geltende 3G-Regel kontrolliert wurden. Dank App aber kein wirkliches Hindernis, sodass wir fünfzehn Minuten vor Anpfiff am oberen Ende des Blocks 3 gute Plätze fanden. Die letztlich 1.200 Schaulustigen ließen dafür auch genügend freie Plätze übrig.
Damit war der 15.200 Zuschauer fassende All-Seater kaum ausgelastet, wobei die Bude an sich schon für gehörige Begeisterung sorgte. Während die Haupttribüne mit einem Rang und modernem Dach eher überall stehen könnte, waren es vor allem die Jug und Sever, die es uns antaten. Mit jeweils acht bzw. zehn Reihen doppelstöckig ausgebaut, wirkten die beiden Hintertortribünen eng und groß zugleich. Dazu noch das Wellenförmige Dach, welches ein bisschen an die typische Bauweise von Hauptbahnhofdächern erinnerte. Mit den Bergen im Hintergrund ein Traum und in der Stadionlandschaft auch wirklich einzigartig! Einzig bei der Gegengerade war wohl irgendwann das Geld aufgebraucht, besteht diese doch lediglich aus einem, unüberdachten Rang.
Auf der Sever kam kurz vor Anpfiff erstmals Leben in die Bude. Immer mehr in Schwarz gekleidete Gestalten enterten den Bereich und flaggten die ersten Fetzen an den Zaun. Aus wahrscheinlich in den derzeitigen Gegebenheiten vorzufindenden Gründen fanden allerdings lediglich die kleinen Auswärtsfahnen der Varvari den Weg in die Kurve und auch der Standort des Anhangs ist ein anderer. Peitscht die Kurve die Blau-Weißen für gewöhnlich vom Oberrang aus an, versammelte sich der aktive Haufen im nun zweiten besuchten Heimspiel seit über 18 Monaten im Unterrang direkt hinterm Tor. Im kleineren Bereich stellte sich der Haufen recht breit auf, was optisch den Anschein einer wirklich guten Masse erzeugte. War es wahrscheinlich auch, wenn man die Bilder im Nachhinein so betrachtet. Schätzungsweiße 150 – 200 Mannen scherbelten mit Anpfiff die ersten balkan-typisch, tiefen Gesänge ins weite Rund und hinterließen bereits eine erste Visitenkarte für den heutigen Abend. Hoffnungen auf weitere Aktion hatte man zu genüge, zumal die Gruppe in Ihrer Geschichte nicht unbedingt für ihre friedfertige Seite bekannt ist.
Mit Gründung im Jahre 1987 gehören die Varvari (auf Deutsch: Barbaren) zu den ältesten Ultra-Gruppen des Balkans, stellen die uneinholbare Monopolstellung in Montenegro und erarbeiteten sich selbst in Jugoslawien den Ruf einer gestandenen Szene. Nun kommen die Gegner schon lange nicht mehr aus Sarajevo, Zagreb oder Belgrad, dennoch besteht die Szene in großer Zahl weiterhin und repräsentiert den Verein sowohl in der heimischen Liga als auch international. Gegen die graue Maus aus Danilovgrad (wobei der Ausdruck auf gut 90% der hiesigen Vereine zutrifft) rafften sich die Jungs zur zehnten Minute dennoch auf und präsentierten eine schnörkellose Zettelchoreo bestehend aus blauen und weißen Folien. Kurze Zeit später loderte der erste rote Schein zwischen der Masse hervor, was sich über den gesamten Block vorsetzte. Zahllose Fackeln und Blinker erhellten den dunklen Nachthimmel und tauchten den Unterrang in die bekannten, roten Farben.
Da hier die Fackeln allerdings recht schnell den Weg auf den Boden finden, rollte eine davon fast wie erwartet gegen einen Plastiksitz. Der folgende schwarze Qualm gehörte entsprechend nicht zur geplanten optischen Aktion, und als ein Ordner deswegen durch eines der über die ganze Partie(!) geöffneten Fluchttore in den Block trat, gab’s zur Begrüßung handfeste Auseinandersetzungen. Eine ganze Traube stürmte nun gen Tor und verteidigte den Block gegen Eindringlinge, was Sekunden später die Cops auf den Plan rief. Die kamen zu siebt und positionierten sich vor dem Tor, was die Situation wohl entspannte. Was die insgesamt ein dutzend Ordnungskräfte aber hier ausrichten würden, wenn es mal richtig knallt, bleibt nur deren Geheimnis.
Über das restliche Spiel konzentrierte sich die Meute allerdings auf den eigenen Auftritt, der mit seinen teilweise lauten und starken Gesängen sehr zu gefallen wusste. Für uns war viel neues Liedgut dabei oder eben solches, welches man immer mal wieder im Netz findet. Jetzt zwar nicht mit hundert Oktaven vorgetragen wie in Italien, durch den einzigartigen Stil aber doch mit eigenem Charme. Dazu wurden über die vollen neunzig Minuten immer wieder Fackeln und Blinker angerissen, was den Haufen weiter motivierte. Der zweite Durchgang wurde mit lediglich 4-5 Liedern durchgesungen und selbst die Halbzeitpause über war man nicht still. Starker Auftritt, der unglaublich neugierig auf die großen Spiele hier macht.
Heute war es zwar fantechnisch kein interessanter Gegner, doch in der Tabelle spielte der Dritte gegen den Zweiten. Vorne wird wohl der Erzrivale aus Nikšić uneinholbar davonziehen, doch für den großen FK Budućnost sollte der Anspruch definitiv die Quali-Spiele für den internationalen Wettbewerb sein. Während man in der jugoslawischen Liga lediglich zwei Teilnahmen im Pokalfinale verbuchen konnte und sonst eher im Schatten der großen Vereine im Mittelfeld der Tabelle landete, stehen seit der Gründung der Prva Crnogorska Liga im Jahr 2006 immerhin fünf Meistertitel zu buche, was den Hauptstadtverein nominell zum erfolgreichsten Club des noch jungen Landes macht. Dabei sprangen natürlich mit den wenigen Partien im internationalen Wettbewerb auch die Sahnestücke der Saison heraus. So gab man sich in den vergangenen Jahren in Podgorica unter anderem die Klinke mit dem FK Sarajevo, Partizan Belgrad oder auch Slask Wroclaw. Starke Dinger, die wohl auch jeden Besuch lohnen!
Auf dem Rasen untermauerte Budućnost seinen Anspruch trotz schwachem Saisonstart mit einem flotten Kick und der schnellen Führung nach einer Viertelstunde. Der Ausgleich wenige Minuten später war Slapstick vom feinsten, da einfach alle Spieler samt Torwart einen Kullerball aus zwanzig Metern verpassten. Sonst passierte nicht mehr arg viel, erwähnenswert war aber das aufziehende Gewitter über der Stadt. Nicht nur öffnete der Himmel sämtliche Schleusen, auch die in direkter Nachbarschaft heruntergehenden Blitze ließen einige der Anwesenden zusammenzucken. Einer schlug so nah ein, dass das sowieso schon flackernde Flutlicht prompt für mehrere Sekunden ausfiel. Die Horrorvorstellung eines Spielabbruchs konnte mit dem direkten Wiederanknipsen der Masten allerdings schnell ad acta gelegt werden. Dennoch kreisten die Gedanken in der Halbzeitpause, in der dieselben drei Werbesports in Dauerschleife hintereinander liefen und uns beinahe zum Wahnsinn trieben, über die wiedermal lockere Einstellung dem Wetter gegenüber. Bei uns wär der Kick schon drei Mal abgesagt worden, hier schaut noch nicht mal irgendwer so aus, als wäre er besorgt über die Bedingungen.
Uns sollte es recht sein, denn das Spiel wurde im zweiten Durchgang nochmal besser. Podgorica spielte nun stark auf und netzte drei weitere Male, was jedes Mal zu wilden Jubelorgien bei den Varvari führte. Diese feierten den Sieg und damit das Erreichen des zweiten Tabellenplatzes nach Spielende lautstark mit der Mannschaft, wobei sich zu dem Zeitpunkt eher eine große Gruppe Kinder den Pokal Schreihälse des Tages sicherten. Was da ein Gekreische stattfand… Junge, junge, da waren wir froh, dass es alsbald wieder nach draußen ging.
Wie bestellt ließ nun auch der Regen nach, sodass wir zumindest oberhalb der Knie trocken den Parkplatz und unser Gefährt erreichten. Bei den nun entstandenen Pfützen auf dem Waldparkplatz galt es noch etwas zu zirkeln, um nicht irgendeinen Hang herunter zu schwimmen, dann waren wir auch wieder auf den wuseligen Straßen der Innenstadt und machten und auf den Rückweg nach Budva. Länderpunkt Montenegro damit eingetütet und endlich wieder diese wundervolle Balkanatmosphäre aufgesaugt!