19.08.2021
Play-Off Europaleague
SK Rapid Wien - FK Zorya Lugansk
Weststadion
Endergebnis: 3:0 (1:0)
Zuschauer: 10.300 (ca. 20 Gäste)
Fotoalbum
Mit dem Wort „eigentlich“ beginnen viele Episoden des Jahres 2021, so auch diese. Eigentlich war für das Wochenende eine Tour nach Rotterdam geplant, unter anderem um De Kuip zu besuchen, bevor auch dieser Traum von Stadion einem Neubau weichen muss. Doch die wiedermalige Reduktion der Stadionkapazitäten in den Niederlanden machte den fast schon zur Perfektion ausgetüftelten Plan über Nacht zunichte. Danke dafür, also wieder an den Planungstisch.
Die Daten waren natürlich schon fest eingeplant, entsprechend galt es nach Alternativen am gleichen Wochenende zu suchen. Zudem sollte die Anfahrt mal wieder mit der Bahn erfolgen, zumal dank der Kurzfristigkeit viele Flüge schon weit außerhalb des angepeilten Budgets lagen. Nach einiger Zeit stach Österreich in den Fokus, genauer gesagt dessen Hauptstadt Wien. Während man andere Teile der Alpenrepublik schon das ein oder andere Mal besuchte, dabei bis dato allerdings noch keinen Kick mitnehmen konnte, blieb der Osten noch recht blass. Jaja, da merkte man mal wieder, dass man zahlenmäßig in dem geliebten Hobby doch noch recht am Anfang steht. Am ausgesuchten Wochenende sollte der First Vienna FC am Freitag den Anfang machen, ehe Rapid am Samstag gegen Ried ran musste und Sonntag war noch ein Ausflug nach Graz möglich. Klingt gut, wird gebucht!
Bahntickets entsprechend organisiert, mit etwas Vorlauf sollte die Anreise sogar schon am Donnerstag erfolgen und bei AirBnB nutzte man endlich den Storno-Gutschein aus dem verschobenen Estland-Trip des Vorjahres. Passt also alles. Statt Vorfreude war dann allerdings recht schnell wieder zittern angesagt. Zum einen flog Rapid in der Champions-League Quali gegen Sparta Prag raus und stieg somit in die Euroleague-Quali ab, was zu einer Verschiebung des Ried-Heimspiels auf Sonntag führte. Am Ende also Wien besuchen und weder Austria noch Rapid sehen? Auch blöd. Zum anderen beglückte uns der angekündigte Bahnstreik vollends. Passt also plötzlich alles nicht mehr.
Das Thema Rapid entwickelte sich allerdings in den Folgewochen zu einem Glücksgriff, zumal die Auslosung der Playoffs ein Heimspiel an genau dem Donnerstag der Anreise erbrachte. Entsprechend wurde bei den beiden Partien gegen Famagusta hart gezittert und umso mehr gefeiert, als die Partie gegen den ostukrainischen Vertreter Zorya Lugansk feststand. Und auch die Bahn sollte, entgegen alle Befürchtungen, zumindest auf der Hinfahrt mitspielen, sodass man sich am frühen Donnerstagmorgen lediglich mit zwei ausgefallenen S-Bahnen herumärgern musste. Zeit zum Frühstück am Frankfurter Hauptbahnhof blieb aber dennoch, sodass wenig später die gut 6,5 Stunden Fahrt, dank fehlender Sitzplatzreservierung teils stehend („Da ist eh genug Platz frei“ – Ich, Immer), locker abgespult wurden. Wobei, die Anstands-Halbe-Stunde Verspätung kam natürlich noch oben drauf. Man fährt ja schließlich Bahn.
Vor Ort zog man erstmal eine Wochenkarte für den ÖPNV und nahm zunächst die Fahrt zur gebuchten Bliebe per U-Bahn in Angriff. Nett, wenn auch klein, dafür direkt an der U-Bahnhaltestellte Johnstraße recht zentral und nicht weit ab vom Schuss gelegen. Für die paar Tage war’s definitiv ausreichend. Mit hungrigen Mägen ging’s fix in die Stadt, wo unweit des Stephansplatzes DAS typische Wiener Schnitzel mit ein paar gerstenhaltigen Kaltgetränken verdrückt wurde. Ein kurzer Verdauungsspaziergang war noch drin, dann ging’s auch schon per U-Bahn nach Hütteldorf. Länderpunkt Österreich mit Rapid an einem Donnerstagabend um 21.00 Uhr in einem so wichtigen Spiel um den Einzug in die Gruppenphase der Europaleague? Geht schlechter.
Ein paar Minuten später stand man endlich da, direkt vor den großen Eingängen und dem gigantischen Rapid-Logo des Weststadions. Klar, eine neue Bude rundum, aber dennoch irgendwie ikonisch und einzigartig, zumindest wirkte es so in diesem Moment. Tickets gab’s natürlich zu genüge, wenn auch personalisiert. Dazu musste zunächst ein Wisch ausgefüllt werden, den die Damen am Schalter händisch in ihren Computer abtippen mussten und an so manch Hieroglyphen scheiterten. Klappte aber, sodass man wenig später für 26€ die Nase schicke Karten für den Sektor 4 der Nordtribüne in Händen hielt. Nieder mit den e-Tickets! Eine kurze Runde durch den Fanshop durfte auch nicht fehlen, man verlässt einen fantechnisch so wichtigen und historischen Ort natürlich nicht ohne Andenken in Form eines Schals, versteht sich. Danach durfte es noch ein Blick ins angrenzende Viertel sein, was in allererster Linie mit Sozialbauten glänzte. Aber aus solchen Gegenden stammen bekanntlich die größten und erfolgreichsten Vereine!
Vor Eintritt auf die Nord mussten noch Ausweis und eines der drei G vorgezeigt werden. Letzteres wird uns wohl noch ein paar Monate begleiten, das Thema Personalisierung hingegen nicht mehr verschwinden, so zumindest meine Meinung… Gemächlichen Schrittes ging es anschließend die wenigen Stufen hinauf auf unsere Tribüne und hinein ins Stadion. Man erwartete ehrlich gesagt einen sterilen Neubau, bekam aber eine wirklich runde Sache. Klar, die Bude wirkte wie aus einem Guss, aber das muss ja nicht wirklich was schlechtes sein. Hier waren es vor allem die Vereinsfarben, die dem Weststadion einen ganz eigenen Charakter verliehen. Nicht zu groß, nicht zu klein, enge Bauweise und dadurch atmosphärisch gut aufgestellt. Es ist eben immer die Gretchenfrage ob Neu oder Alt, mir gefiel der Neubau allerdings sehr gut. Wenn auch heute komplett bestuhlt, immerhin war es ein europäischer Abend.
Auf der gegenüberliegenden Westtribüne (auch wenn sie beim Neubau im Süden liegt, wurde der traditionelle Name beibehalten) waren bereits die ersten Gruppen an einer Choreo am Werkeln, was die Vorfreude auf den baldigen Ankick nochmals steigerte. Auch so ein Traum von mir gewesen, eines Tages mal hier zu stehen. Da denkt man gerne an die eigenen Anfänge des Interesses an Fanszenen zurück, als auf Youtube diese damals typischen Diashows mit guter Musikuntermalung hoch und runterliefen. Wie oft da Rapid dabei war, schien mir für damalige Verhältnisse einfach nur unbegreiflich. Entsprechend groß war die innere Euphorie, als zum ersten Mal die Zaunfahnen der legendären Ultras Rapid, Lords oder Tornados mit eigenen Augen erblickt wurden. Solch große Namen, darunter mit den UR die älteste Gruppe des Landes und eine Kurve, die zu wirklich jedem Spiel eine Choreo zeigt. Für jemanden, der bereits bei mehreren solcher Werke selbst Hand an Planung, Ausarbeitung und Durchführung legte, ist es einfach nur unbegreiflich, welch Aufwand dahinersteckt. Und das Woche für Woche!
Aber auch der Verein ist geschichtlich kein unbeschriebenes Blatt. Noch immer Rekordmeister Österreichs mit 32 Titeln, auch wenn irgendwelche schmierigen Konzerne aus anderen Landesteilen dies gerne ändern möchten. Dazu gewann man 1941 sowie 1938 die deutsche Meisterschaft, respektive den deutschen Pokal, und spielt seit 1911 (!) ununterbrochen erstklassig. Viel Historie also, wobei an dieser Stelle auch ein kurzer Blick auf den Gast des Tages gelegt werden sollte. Denn dieser blickt zwar als einer von nur drei ukrainischen Vereinen auf einen Meistertitel in der UdSSR zurück, spielt allerdings seit der Saison 2014/15 mit Beginn des Ostukraine-Krieges fernab der eigentlichen Heimat in Zaporizhya und teilt dieses Schicksal mit dem benachbarten Donetsk. Viele Jahre fernab des eigenen Stadions, fernab des eigenen Anhangs. Keine leichte Zeit für Zorya, wenn auch weiter Fussball gespielt wird. Und das nicht minder erfolgreich, was die heutige Teilnahme an den Playoffs beweist.
Zurück im hier und jetzt galt die eigene Aufmerksamkeit allerdings mit dem voller werdenden Stadion dem Block West, der bereits mit einer dichten Schalparade zum Vereinslied glänzte, ehe wenig später das optische Highlight mit dem Einlaufen der Teams erfolgte. Von oben wurden grüne, weiße und dunkelgrüne Stoffbahnen nach unten durchgegeben und so fest zusammen gehalten, dass daraus eine dichte, große Blockfahne wurde. Davor prangte der Spruch „Mit den schönsten Farben durch Europa – Gebt alles für Grün-Weiss!“ samt Gruppenlogo der Urheber, den Tornados. Ein schönes Bild, welches auch recht lange gehalten wurde.
Mit Beendigung kamen auch endlich die wichtigen Gruppenfahnen am vorderen Zaun zur Geltung, während in der Kurve ein große Zahl Schwenkfahnen in die Höhe schnellten – und das ganze Spiel über in der Luft kreisten. Selten so eine Durchhaltekraft der Schwenker gesehen, für gewöhnlich geht in den meisten Kurven gut 50% des Tifo nach den ersten fünf Minuten wieder nach unten. Bezüglich des akustischen Supports war man natürlich sehr gespannt, wusste die Wichtigkeit des Spiels allerdings nicht unbedingt gegenüber dem Ligaalltag aufzuhängen. In manchen Ländern wird der internationale Wettbewerb ja gerne mal als nettes Beiwerk angesehen, hier wurde er, zumindest innerhalb des Block West, hochleben gelassen. Eine unglaubliche Mitmachquote, die nahezu die komplette Kurve miteinschloss, sorgte für teils heftige Gesangsorkane zu Beginn.
Unglaublich, mit welcher Wucht uns die Gesänge am anderen Ende des Stadions erreichten. Und ebenso unglaublich die Disziplin, die der Anhang seinen Capos auf den drei Podesten entgegenbringt. Auf Ansagen und Pushen sang sich die Meute immer wieder in einen Rausch, während die Gesänge gerne mal 7-8 Minuten oder länger gehalten wurden. Bezüglich der Liedauswahl kann man getrost sagen, dass man auch daran die tiefe Freundschaft nach Nürnberg zu spüren bekommt. Insgesamt Bockstark und besser als vorher ausgemalt, und das bereits in der ersten Spielhälfte.
Die Ukrainer hatten dem zumindest auf den Tribünen natürlich nichts entgegenzusetzen. Etwa 20 Leute versammelten sich verstreut außerhalb des geschlossenen Gästeblocks und gaben ab und an in Gesangspausen der West ein paar „Zorya“-Rufe zum Besten. Anders sah es da auf dem Rasen aus, denn Lugansk machte in der Anfangsphase den deutlich besseren Eindruck und kam zu mehreren guten Abschlüssen. Doch mitten in diese Drangphase drückte Rapid die Kugel über die Linie und brachte das Stadion zum ersten Mal zum Beben. Und auch im zweiten Durchgang waren die Ukrainer das bestimmendere Team, einzig das Tor wollte nicht fallen. Zur Rapidviertelstunde (alte Tradition seit etwa 1919, in der alle im Stadion aufstehen und rhythmisch klatschen, da Rapid in den letzten 15 Minuten schon viele wichtige Spiele entscheiden konnte) gaben die Grün-Weißen dann nochmals Gas und stellten mit dem 2:0 nach 78 Minuten den Spielverlauf vollends auf den Kopf.
Als dann sieben Minuten später auch noch die dritte Bude fiel, explodierte das Stadion vollends. Eine ganze Kurve sang sich oberkörperfrei in einen unglaublichen Rausch. Gänsehaut! Ausschweifend natürlich auch die Feier mit der Mannschaft, um das berühmte eine Bein in der Gruppenphase zu besingen. Wobei, diese war ja schon sicher, fragte sich nur ob Europaleague oder Conference-League.
Vollends zufrieden mit dem Gesehen bauten sich bei uns so langsam die Endorphine ab und überließen unsere Körper der aufsteigenden Müdigkeit. Immerhin steckten mehr als acht Stunden in verschiedenen Bahnen in den Knochen, und überhaupt ist so eine Anstoßzeit um 21 Uhr nicht wirklich meins. Entsprechend fix ging’s letztlich mit einer Tram gen Bleibe, zufrieden mit dem Erlebten und voller Vorfreude auf die kommenden Tage.