K League Classic: Suwon Bluewings – Jeju United

20.09.2017
31. Spieltag K League Classic
Suwon Bluewings FC - Jeju United FC
Suwon World Cup Stadium
Endergebnis: 2:3 (1:2)
Zuschauer: 5.036 (ca. 100 Gäste)
Fotoalbum

Obwohl beim diesjährigen Trip nach Hong Kong vor allem der lokale Fussball im Vordergrund stand, schielte man dennoch auf den ein oder anderen zusätzlichen Länderpunkt, welchen man doch noch irgendwo und irgendwie hätte mitnehmen können. Eine freie Woche dafür war schnell gefunden und auch die regionale Billigairline offerierte gerade Tickets zu günstigen Preisen.

Man schränkte die Länderauswahl aufgrund möglicher Spiele, Hotels und nicht zuletzt aufgrund des schmalen Reisebudgets schnell auf die beiden Optionen Thailand und Taiwan ein und entschied sich letztendlich für… Südkorea. Genau die Option, die eigentlich schon am Anfang gestrichen wurde. Doch die zwei-für-eins Ticketoption von HK Express musste man eben für einen Flug nutzen, den man nicht sowieso mit ein paar Münzen aus der Hosentasche bezahlen könnte.

Somit gings für uns für vier Tage nach Seoul, der Hauptstadt Südkoreas. Traditionell stand an den ersten beiden Tagen gelassenes Sightseeing auf der Tagesordnung, ehe am dritten Tag unser leider einziges Spiel auf der Halbinsel anstand. Mehr war in unserer gewählten Reisewoche im Großraum Seoul einfach nicht drin und weitere Spiele aufgrund der Distanz einfach unmöglich.

Somit waren Gedanken und Vorfreude während des gesamten Mittwochs auf die eine Partie gerichtet, zu der wir vom zentral gelegenen Myeong-dong aus aufbrachen. Per Bus gings für wenig Geld durch den Feierabendverkehr über die Autobahn gen Süden. Dank eines erstaunlich gut funktionierenden Systems aus Busspuren erreichte man, trotz absolutem Dauerstaus, das Ziel in Suwon in gut einer Stunde.

Unweit der Spielstätte verließen wir unser Gefährt und legten die letzten Meter per Pedes zurück. Schon von weitem konnte man das große Stadion erkennen, was über allem anderen am Ende der Straße thronte und eine App zwecks Navigation überflüssig machte. Vorbei an großen Parkplätzen und grünen Wiesen erreichten wir den von außen schon schick wirkenden Bau in nur wenigen Minuten.

Das Umfeld schien noch recht ruhig, was bei unserem dann doch ungewöhnlich großen Zeitpuffer bis zum Anstoss nicht verwunderlich war. Zu spät kommen wollte man auf keinen Fall, weshalb man mit einer Ankunft von gut zwei Stunden vor Anpfiff plante. Dass man dann aber auch direkt den richtigen Bus findet und ohne Verzögerungen am Reiseziel ankommt, würde ich mal eher in die Schublade „glücklicher Zufall“ stecken. Manchmal klappt eben alles besser als geplant.

Da man absolut keine Vorstellung über den Zuschauerandrang in der koreanischen ersten Liga an einem Mittwochabend hatte, wollte man sich dennoch schonmal mit den Tickets für den gewünschten Block eindecken. Schaden kann dies ja nie, zumal man mit einigen Verständigungsproblemen beim Kauf rechnete. Koreaner und Englisch passen irgendwie nicht so gut zusammen und auch unsere Kenntnisse im Lesen und Verstehen der Hangul-Schriftzeichen halten sich arg in Grenzen (genauer gesagt: sind nicht vorhanden).

Als man sich am Schalter hinter einer Reisegruppe einreihte, die ihre Tickets auf feinstem Französisch bestellten, schien die Verkäuferin dann doch über uns beide Englischsprechenden erleichtert. Für jeweils 14.000 Won (etwa 10€) gabs das Ticket für den Unterrang der Osttribüne, genau genommen für Block Numero 6. Doch schon schnell stellte sich heraus, dass die genaue Blockwahl eigentlich egal war, da Nord- und Osttribüne zusammenhängen und mit den gleichen Tickets frei begehbar sind. Das erklärte im Übrigen dann auch das Fehlen der Reihen und Sitznummern auf dem Stück Papier.

Mit den Karten in der Hand hatte man immer noch massig Zeit auf der Uhr, weshalb man eine kurze Runde ums Stadion drehte. Die Arena liegt eingebettet in einem recht großen Sportzentrum, in dem auch die in Korea beliebte Sportart Baseball einen Spielort findet. Die Anlage wurde übrigens eigens für die WM 2002 errichtet und wirkt noch recht neu, auch wenn hier und da dann doch erkennbar ist, dass die Infrastruktur für den normalen Betrieb einfach überdimensioniert ist.

Mittlerweile machte sich auch der Magen bemerkbar, weshalb man an einer Hauptstraße am unteren Ende des Stadions in ein kleines Café einkehrte. Für wenig Geld gabs Getränke und was zu Beißen. Abgerundet wurde das Ganze durch den unverbaubaren Blick auf die Westtribüne des Worldcup-Stadions, welches durch die untergehende Sonne in einem orange-gelben Ton erstrahlte.

Einzig ein kurzer Gedanke trübte die Idylle, denn trotz der rigorosen Planung hat man einfach mal den Rückweg nach Seoul vergessen. Klar, Metro- und Busverbindungen hatte man sich notiert, doch irgendwie verpeilte man bei der Geschichte die Tatsache, dass die Partie erst um neun Uhr endete. Hätte man sich für die ursprüngliche Zugvariante entschieden, hätte dies einen gut einstündigen Fußmarsch durch Suwon bedeutet, denn Stadion und Bahnhof liegen leider an unterschiedlichen Enden der Stadt.

Nach einiger Recherche stießen wir aber wieder auf die Buslinie, mit der wir auch anreisten. Diese fuhr nach dem Spiel noch ein einziges Mal… nämlich um genau neun Uhr, also knapp fünfzehn Minuten nach Schlusspfiff. Doch glücklicherweise fanden wir heraus, dass neben der Haltestelle am oberen Ende des Parks auch noch eine weitere existiert: Nämlich genau vor dem Café, vor dem wir gerade saßen. Glück gehabt!

Nachdem der letzte Schluck Kaffee von der mittlerweile kühlen Abendbrise ablenkte, gings wieder hinauf zur Arena. Auf dem Weg stattete man noch einem der vielen Souvenirstände einen Besuch ab und schnappte sich einen Schal für happige 18€. Eigentlich Wahnsinn, was die Dinger momentan Kosten. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen man einen schicken Vereinsschal für nen Zehner abstauben konnte. Aber egal, wann kommt man schon wieder hier her?

Unterwegs fielen zudem eine Vielzahl an Werbebannern auf, die den Spielort als „Home of Football“ verkaufen wollten. Eine Begründung dafür konnte ich auch nach einiger Recherche nicht erkennen, aber immerhin sah zumindest das Umfeld einigermaßen nach Spieltag aus. Denn selbst direkt vor den Eingängen war eine Stunde vor Spielbeginn noch so wirklich gar nichts los und man hatte Angst, dass der Spielbesuch ein Reinfall wird. Dies bewahrheitete sich aber zum Glück nicht, dazu aber später mehr.

Die Taschen- und Körperkontrollen zogen sich etwas in die Länge, was vor allem daran lag, dass wirklich jeder irgendeinen Rucksack oder eine große Tasche dabei hatte. Nach überstandener Prozedur fiel auch schnell der Grund dafür auf: Nahezu jeder Besucher brachte sich sein Abendessen mit ins Stadion. Und das waren nicht einfach nur belegte Brötchen oder irgendwelche Snacks, sondern ganze Mahlzeiten, abgepackt in unzähligen Plastikboxen.

Dazu gabs überall die in Asien typischen Instantnudeln zu kaufen, für die passenderweise an den Stadioneingängen große Metallbehälter mit heißem Wasser standen. Ein skurriles Bild, wenn man an Stadien in der Heimat denkt. Was würde da wohl besser in einen Gästeblock passen als literweiße kochendes Wasser? Vorbei an einigen Koreanern, die gerade ihre Nudeln schlürften, gings für uns endlich ins Stadion. Und das Teil hatte es in sich!

Das Suwon-World-Cup Stadium ist ein rundherum doppelstöckig ausgebauter Neubau, der extra für die WM 2002 errichtet wurde. Ungewöhnlich dabei war die Finanzierung des Baus, da es großteilig mithilfe freiwilliger Spender errichtet werden konnte. Die Namen der Geldgeber zieren seither die Rückseiten der 43.959 Sitze, welche wiederum in vielen Farben das Stadion sehr bunt wirken lassen. Obwohl verschiedene Blautöne das große Rund dominieren, mischt sich auch ein wenig Gelb, Orange und Rot hinein, was anscheinend eine Art Sonnenaufgang darstellen soll.

Aufgrund der vogelähnlichen geschwungenen Dachkonstruktion der Haupttribüne trägt es zudem den Spitznamen „Big Bird“. Leider fand man recht schnell heraus, dass die Kapazität der Arena weit über den koreanischen Bedürfnissen lag: Nahezu der gesamte Oberrang wurde mit großen Werbebanden abgedeckt und auch im Verkauf gab es lediglich Tickets für den Unterrang. Eine halbe Stunde vor Anpfiff war zudem der Zuschauerandrang maximal mager und das weite Rund noch recht verweist. Erste Befürchtungen machten die Runde, dass der koreanische Fussball eher enttäuscht.

Und da hätte man wohl am ehesten dem Ligen- und Clubsystem die Schuld daran gegeben. Die höchste Liga Südkoreas trägt den eher ungewöhnlichen Namen „K League Classic“ und ähnelt ihrer Struktur her den amerikanischen Football und Eishockeyligen NFL oder NHL. Denn die Clubs sind keine eingetragenen Vereine oder AGs, wie es in Europa üblich ist, sondern so genannte „Franchise-Systeme“.

Im Klartext heißt das, dass die Mannschaften einen einzelnen Eigentümer, oftmals in Form eines großen Mischkonzerns besitzen, was auch die vielen Firmennamen in den Vereinsnamen erklärt. So zeigte sich der Sponsor und Eigentümer von Suwon, Samsung, nahezu omnipräsent: Jede noch so kleine Werbefläche wurde mit den Logos des Elektronikriesen zugepflastert und auch vor dem Vereinsnamen machte man nicht halt. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um die auch in Deutschland gängigen Werksclubs wie zum Beispiel Bayer oder Wolfsburg, sondern um konzerneigene Werbeplattformen, die standortungebunden irgendwo in Korea platziert wurden.

So war es nicht ungewöhnlich, dass Vereine mehrere Male binnen weniger Jahre ihren Standort wechselten, woran die Anhänger der Clubs natürlich nicht immer Gefallen fanden. Seit der WM 2002 im eigenen Land erfuhr dem Fussball jedoch ein wahrer Boom, der insbesondere an der eigenen Liga nicht spurlos vorbei ging. Viele Vereine änderten nun ihre Namen durch das Hinzufügen eines Ortsnamens, um die Identifikation der Fans mit dem Verein zu erhöhen. Und plötzlich repräsentierten die „Franchises“ nicht mehr nur ihre Firmen, sondern auch ihre Stadt, in der sie beheimatet sind. Obwohl sich mittlerweile schon gestandene Clubs bildeten, bleibt jedoch auch weiterhin ein Umzug oder eine Namensänderung im Bereich des Möglichen.

Das Heimteam des Tages, der Suwon Samsung Bluewings FC, gehörte von Beginn an zu den eher stationären Clubs. Der Verein mit dem Beinamen Tricolor (Anspielung auf die blau-weiß-roten Vereinsfarben) spielte schon seit seiner Gründung 1995 in der Vorstadt von Seoul und zählt zu den erfolgreichsten Vereinen des Landes. Seit dem Beitritt in die koreanische Profiliga 1996 wurde Suwon vier Mal Meister, vier Mal Pokalsieger und konnte zudem zwei Mal die asiatische Championsleague gewinnen.

Die orangenen Gäste hingegen blicken auf eine recht bewegte Vergangenheit zurück, wobei sich dies ausschließlich auf den Standortwechsel bezieht. Ursprünglich 1983 als Yukong Elephants gegründet und noch im Zentrum Seouls beheimatet, erfolgte 1995 die Verlegung nach Bucheon und 1997 die Umbenennung in Bucheon SK. Bis einschließlich 2000 spielte der Verein aber dennoch in Seoul, da die neu gewählte Stadt Bucheon gar kein Stadion hatte.

Nach sechs Jahren im neuen Stadion erfolgte schließlich 2006 der Umzug auf die Insel Jeju sowie die Umbenennung in Jeju United FC. Grund war schlicht und ergreifend das leerstehende WM Stadion, was langsam aber sicher vor sich hinrottete. Sportlich spielte dieses Wirrwarr an Namensänderungen selten eine große Rolle, lediglich 1989 durfte man eine Meisterschaft bejubeln. Aber so viel zur Geschichte. Denn meisten interessiert uns das Geschehen auf den Rängen. Und da gabs einiges zu sehen!

Der Heimanhang ließ sich zu unserer rechten im Unterrang hinter dem Tor nieder und schmückte die Zäune und Ränge mit einer Vielzahl an Vereins- und Gruppenfahnen. Bei näherer Betrachtung wurde man auf die Dopplung vieler Namen aufmerksam. So hingen viele Gruppen jeweils einen Lappen genau vor sich, während zwischen Ober- und Unterrang eine weitere Fahne mit dem gleichen Namen aufgehängt wurde.

Vieles lehnte sich dabei an Südamerika an, wie zum Beispiel die Namen der Gruppen „Frente Tricolor Irreducible“, „Azul Viento“ oder auch „Avalancha“, wobei sich letztgenannte als erste „Barra“ Koreas versteht. Die Jungs der „Frente Tricolor“ bildeten dabei anscheinend die führende Gruppe, da sich der einzig erkennbare Kern hinter selbiger, mittig hängender Fahne versammelte. Zudem zierte deren Logo, ein Wuselkopf mit Bandana, viele weitere Teile des Stadions.

Doch auch ein deutscher Einfluss ließ sich bei näherer Betrachtung nicht leugnen: So schwenken die „Blaues Herz-Ultras“ (keine Übersetzung, die nennen sich wirklich so) Fahnen mit deutschen Sätzen und Wörtern und bezeichnen ihrer Kurve als Nordkurve. Zudem fielen im kleinen Kern der Kurve viele selbstgemalte Doppelhalter mit Ultras-Bezug auf, die auch mit Parolen wie „Freiheit für Ultras“ und „Football Fans – Not Criminals“ bespickt waren. Fast schon asien-typisch wurden zudem große Fahnen am unteren Ende des Blocks geschwenkt, was trotz etlicher leerer Plätze recht gut aussah.

So wirklich überzeugen konnte das Ganze aber noch nicht, wobei zudem das fehlende Dach hinter den Toren an der zu erwarteten Lautstärke zweifeln ließ. Die folgende Präsentation der Mannschaftsaufstellung inklusive kurzen Einklatschen war dann trotz eher geringer Zahl auf der Tribüne nicht schlecht. Die Fans standen sehr verteilt, was den Block recht verweist aussehen ließ. Doch auf Kommando des Capos, der übrigens auf einer waghalsigen Leiterkonstruktion stand, machte tatsächlich jeder mit.

Und plötzlich startete die nun voller werdende Kurve in einen Support, der Gänsehaut verursachte. Man ging in die Partie, ohne sich jemals zuvor mit dem Supportstil der Koreaner auseinandergesetzt zu haben, hatte also keinerlei Schimmer, was einen erwarten würde. Und was bekam man? Eine astreine Kurve mit beständiger Mitmachquote jenseits der 80%, die einen geilen Gesang nach dem anderen raushaute. Stil? Südamerikanisch. Und zwar das volle Programm. Dumpfe Trommeln, Rasseln, Trompeten, Brasilien-Fahnen und sogar farblich passende Regenschirme ergaben ein Bild, was man zuvor nur von Videos aus Argentinien, Rio oder Sao Paulo kennt.

Die Gesänge gingen sofort ins Ohr und ließen die eigenen Füße aufgeregt mitwippen. Die Lautstärke, gerade am Anfang der Gesänge, haute einen regelrecht um. Hätte ich niemals erwartet, vor allem nicht von dem verstreut stehenden Haufen. Selbiger zeigte sich durchgängig in Bewegung: Sei es hüpfend oder klatschend, irgendwas bewegte sich immer und es gab immer was zu sehen.

Und um nochmals zu den Liedern zurückzukommen: Fast jede Melodie hörten wir zum ersten Mal und fast jedes Lied steckt selbst jetzt, Monate später, noch im Kopf. Sehr textlastig, immer laut und einfach ein Traum. Besonders der Gassenhauer „Suwon all the way“ sowie das erste Lied, was gut zwanzig Minuten geträllert wurde, erreichten enorme Lautstärken, während selbst der Stadionsprecher bei schwächeren Phasen die Zuschauer nochmals anspornte und zum Mitmachen bewegte.

Heimseite also Top! Und die Gäste? Nun, eins vorweg: Wer aus Jeju kommt und ein Auswärtsspiel seines Clubs sehen will, muss zwangsweiße mit dem Flugzeug anreisen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf erwartete man zunächst gar keine Gäste, doch mit der Zeit machten sich gut 100 Anhänger der Orangenen im Süden hinter dem Tor breit. Sehr breit. Ernsthaft, Koreaner fühlen sich wohl ohne Zehn-Meter-Sicherheitsabstand zum Nebenmann unwohl. Im Gepäck hatten sie zwei große Zaunfahnen, eine davon mit dem Vereinsnamen, sowie eine Art Blockfahne, die über mehrere Sitzreihen gespannt wurden. Inhaltlich aufgrund fehlender Koreanisch-Kenntnisse leider nicht lesbar.

Bei Anpfiff wurden von einem kleinen Mob bestehend aus sechs Leuten zudem eine Trommel und ein Megaphon ausgepackt und erstere fast pausenlos malträtiert. Der kleine Haufen, der übrigens auch nicht weiter hätte auseinanderstehen können, gab einige „Jeju“-Rufe zum Besten, bevor die stark aufgelegte Heimkurve jegliche Stimmungsversuche verhinderte oder übertönte.

Und auf dem Rasen? Wenn man vor Anpfiff einen Blick auf die Tabelle der K League warf, handelte es sich bei der Partie durchaus um ein Spitzenspiel oder zumindest um ein wichtiges Duell um die internationalen Plätze. Und auch qualitativ überzeugte das Gesehene recht schnell, auch wenn sich die Gäste um einiges stärker als die Hausherren präsentierten. Durch einen katastrophalen Torwartfehler ging Jeju zunächst in der 10. Minute in Führung, bevor nur fünf Minuten später nach einer Flanke das 0:2 bejubelt werden durfte. Mehr Fans als zunächst gedacht „outeten“ sich nun als Anhänger der Gäste, während die Nordkurve im Support einfach noch eine Schippe drauflegte.

Kurz vor dem Pausentee erzielte Suwon den verdienten Anschlusstreffer und hielt somit die Spannung aufrecht. Einzig die wild flackernden Flutlichter beim Torjubel dürften wohl bei gefährdeten Personen einen epileptischen Anfall auslösen. Oder auch einfach nur Kopfweh, wie bei uns. Mit dem Halbzeitpfiff haderte ein Großteil der Heimfans noch mit dem Unparteiischen, der viele Situationen recht einseitig für die Gäste entschied.

Die fünfzehnminütige Pause verbrachte man mit einem schnellen Wechsel des Blocks, bevor die vor uns sitzenden, bei jeder Situation hysterisch kreischende Gruppe Frauen, uns auch noch den letzten Nerv raubten. Mit Wiederanpfiff zeigte die Heimkurve zunächst ein Banner gegen den eigenen Verband KFA „No Respect – Korea Football Mafia“, was auf die Vielzahl manipulierter Spiele im koreanischen Profifussball aufmerksam machen sollte. Bei der Schirileistung wäre es nicht verwunderlich gewesen, wenn das heutige Spiel auch darunter fiel.

Danach glaubte man zunächst den eigenen Ohren nicht, doch die Nordkurve begann einen Gesang auf die Melodie des mittlerweile verhassten Songs „Despacito“. Im ersten Moment reagierte man mit rollenden Augen, doch schon nach kurzer Zeit erwies sich die Geschichte als ziemlich geil. Anscheinend wird das Ganze von offizieller Seite her aufgezogen, denn die Liedzeilen wurden auch auf den großen Stadionleinwänden angezeigt. Oder auch einfach nur unterstützt, man weiß es nicht. So findet man zum Beispiel auch Logos der Fangruppen auf den großen Werbebanden im Oberrang, was entweder auf offizielle Fanclubs oder eben auf eine enge Verbindung zwischen Fans und Verein hindeuten könnte.

Aber zurück zu Despacito, denn mittlerweile riss uns der Gesang förmlich mit. Die Nordkurve steigerte sich immer weiter rein und auch umliegende Blöcke sangen lauthals mit. Selbst das zwischenzeitliche 3:1 für Jeju in der 51. Minute hatte keinerlei Einfluss auf die Sangeskraft der Anhänger der Tricolor. Sie feierten einfach unbeirrt weiter. Nach einer guten Viertelstunde war man sich sicher, dass man einen neuen Lieblingsgesang im Stadion gefunden hatte. Zumindest in diesem Jahr. Wers nicht glaubt, kann sich gerne im folgenden Video davon überzeugen:

[Quelle: ekdmz: 2017.06.25 Suwon vs. Gangwon – Frente Tricolor Tema Nuevo „Despacito“]

Das Video wurde in einem Spiel einige Wochen zuvor aufgenommen und fängt die Stimmung wunderbar ein. Leider war es aus unserer Position kaum möglich, was anständiges abzufilmen beziehungsweise die gemachten Videos sind schlichtweg unbrauchbar. Für alle die, die sich jetzt noch fragen, was die denn da singen, haben wir eine kleine englische Übersetzung parat:

“You are the only one that makes our heart proud
We, FRENTE TRICOLOR, are now here
Let’s get into the rhythm with running heart
Bluewings, Suwon, We, You and me 

Fight and go towards our dream
I feel free in my blue heart
And we’ll make our love and dreams come true

We’ll walk this road in storm
For our waiting dreams
Full with songs of you and me

We are TRICOLOR with our friends, our songs, our stories
Bluewings, we are here with our love, our songs and our tears”

Während man sich immer noch an der Heimkurve erfreute, spielte Jeju immer mehr in Richtung Entscheidung. Ein Pfostentreffer verhinderte zwischenzeitlich das 4:1, was nun Auswirkungen auf die Stimmung der Heimfans hatte. Quote und Lautstärke gingen in den letzten zwanzig Minuten zurück, Pausen schlichen sich ein und es wurde vermehrt auf kurze Schlachtrufe zurückgegriffen.

Im weiteren Verlauf musste man leider erfahren, dass der Video-Beweis auch in Korea einen Platz im Fussball hat. Nachdem Suwon etwas besser ins Spiel fand, unterbrach der Referee die Partie, lief zu seinem Bildschirm, pfiff danach einen Verteidiger der Hausherren zu sich und stellte ihn mit glatt Rot vom Platz. Eine Wiederholung der Aktion auf dem Bildschirm gabs nicht. Wahrscheinlich auch deshalb, weil absolut nichts passierte.

Trotz der skurrilen Aktion wurden die Hausherren nun immer stärker. In der 83. Minute zimmerte ein Akteur der Tricolor den Ball unhaltbar zum 2:3 in die Maschen, was den Schlussminuten nochmals ordentlich Schwung gab und die Nordkurve euphorisch jubeln ließ (und uns zudem nochmals blitzdingste). Doch es sollte am Ende nicht mehr reichen. Jeju entschied das Spiel nicht unverdient für sich, musste sich aber dennoch großzügig beim Schiedsrichter bedanken.

Die Spieler der Orangenen liefen daraufhin zu ihren mitgereisten Anhängern und feierten, während sich die Akteure der Blauen von ihrer Kurve Applaus abholten. So wirklich viel Zeit hatten wir nicht mehr, sodass wir gut fünf Minuten nach Spielende die Segel streichen mussten und uns in Richtung Ausgang bewegten. Eine halbe Runde ums Stadion später sah man auch schon den Bus an der Haltestelle stehen, der nach einem kurzen Sprint auch noch erreicht wurde. Glück gehabt, denn es war der letzte des Tages. Mit selbigem gings zurück nach Seoul, wo man wenig später, geschafft vom langen und vollen Tag, genügsam ins Bett fiel.

Was bleibt am Ende? Man ging ohne Erwartungen und Vorstellungen zu einem Spiel und wurde völlig überrascht. Überrascht von der Art des Supports sowie von der Lautstärke, die man von einem solch vergleichsweise kleinen Haufen nicht erwartet hätte. Südkorea war sicherlich nicht die erste Adresse, die man sich für Fussball in Asien aussuchte. Doch man hätte einen großen Fehler gemacht, wenn man diese Chance nicht genutzt hätte. Gerade der Gesang auf Despacito steckt eben fast ein halbes Jahr nach dem Spielbesuch noch genauso im Kopf wie direkt nach dem Spiel.

Hier gibts mehr Fotos!

Will man also nochmal hin? Definitiv, doch wahrscheinlich nicht in naher Zukunft. Immerhin ist die eigene Liste, gerade in Asien, zum Bersten gefüllt mit anderen Ländern, die man möglichst bald bereisen möchte. Dennoch darf ich jedem einfach nur empfehlen, ein Spiel im Süden der koreanischen Halbinsel mitzunehmen.