Europaleague: FC Progrès Niederkorn – Rangers FC

04.07.2017
1. Qualifikationsrunde Europaleague
FC Progrès Niederkorn - Rangers FC
Stade Josy Barthel
Endergebnis: 2:0 (0:0)
Zuschauer: 5.534 (ca. 1.500 Gäste)
Hier findet ihr mehr Fotos vom Spiel!

Lange herbeigesehnt, war am Dienstag endlich der Tag der Tage: Die Glasgow Rangers gaben sich gegen den luxembourgerischen Verein Progrès Niederkorn die Ehre. Das Aufeinandertreffen war eines der interessantesten Duelle der ersten Qualifikationsrunde zur diesjährigen Europaleague und warf schon kurz nach der Auslosung seine Schatten voraus. Viele lokale Schotten oder Anhänger der Rangers freuten sich auf das Spiel, Progrès baute kurzerhand eine komplette Website auf und für alle Fußballinteressierten war das Spiel sowieso ein Pflichttermin.

Im Hinspiel im schottischen Glasgow ließ sich der Vierte der luxembourger Liga gegen alle Erwartungen nicht abschießen, sondern verlor die Partie knapp mit 0:1, weshalb für das Rückspiel noch genügend Spannung geboten war. Besonders freuten wir uns dabei auf die Schottischen Fans, die sich in großer Zahl für den Dienstagabend ankündigten.

Eine Woche vor dem Spiel besorgten wir uns schon die Tickets für die Begegnung, die ins Nationalstadion in die Hauptstadt verlegt wurde, da das heimische Grün bei weitem nicht den Anforderungen der UEFA standhielt. Die Karten für den Wunschblock gabs für die (für das Stadion) üblichen 20€, der kleine Club aus Niederkorn will ja schließlich auch etwas dabei verdienen, da natürlich niemand mit dem weiterkommen der Schwarz-Gelben rechnete.

Denn der Club aus dem Vorort von Differdange spielte zwar schon einige Male international, bewies dabei aber selten eine gute Figur: Zwischen 1977 und 1983 absolvierte Progrès 10 Spiele und verlor ganze 9 davon. Ein Unentschieden und ein einziges geschossenes Tor sprechen Bände, was die damalige Qualität der Luxembourger Teams im europäischen Vergleich angeht. Das nächste Mal international gelang 2015, als im Hinspiel gegen die irischen Schamrock Rovers das zweite Unentschieden gelang, man sich aber im Rückspiel deutlich geschlagen geben musste. Wie hoch die Quoten auf ein weiterkommen der Niederkorner nach der Niederlage im Hinspiel und der bescheidenen Vereinsbilanz stehen musste, kann sich denke ich jeder ausrechnen.

Trotzdem war die Euphorie groß, sodass im Vorverkauf schon über 5.000 Tickets über den Tresen gingen. Für das kleine Land eine schier unglaubliche Anzahl, die sonst nur bei Länderspielen gegen die Nachbarn aus Frankreich oder der Niederlande erreicht werden.

Mit der Vorfreude auf ein wahrscheinlich volles Haus vergingen die Tage wie im Flug, sodass wir uns plötzlich schon im Auto auf dem Weg zur Grenze wiederfanden. Um die Staus im Feierabendverkehr zu vermeiden, entschieden wir uns für eine relativ frühe anreise, wodurch wir das Parkhaus gegenüber des Stadions auch ohne große Probleme erreichten.

Die zwei Stunden vor Anpfiff verbrachten wir mit einer kleinen Runde um das große Rund und dem verspeisen der Mitgebrachten Snacks (aus den Fehlern des Fola-Spiels konnte man also lernen). Im Umfeld der Arena traf man schon früh auf unzählige blaue und blau gekleidete Schotten, während sich ein paar Heimfans vor den Stadiontoren mit drei Trommeln einsangen. Gelegentlich erregte ein Helikopter unsere Aufmerksamkeit, der bis kurz vor dem Spiel über Stadion und Stadt seine Kreise zog und das Schauspiel aus der Luft zu filmen schien.

Neunzig Minuten vor Anpfiff öffnete das Stadion seine Tore, sodass wir das Gelände betreten konnten. Karten kauften wir für den Block L, der, so die anfängliche Vermutung, hauptsächlich von neutralen Zuschauern aufgrund der guten Sicht besetzt sei. Leider stellten wir relativ schnell fest, dass sich die Anhänger der Heimmannschaft in genau diesem Sektor niederließen und schon fleißig an einer Choreo werkelten. Mist, da will man natürlich nicht hin.

Also schnell mal beim Ordner an einem Zwischentor zum nächsten Block gefragt, ob wir denn mal kurz durch könnten. Dieser verwies auf seine mangelnde Deutsch- und Englischkenntnisse und wies uns ab. Mit dem Kassenhäuschen wurde der nächste Anlaufpunkt schnell gefunden, wo man sich kurzerhand als Fans der Gäste ausgab, die im falschen Block landeten. Nach kurzer Erläuterung des Problems wurde der Kassierer einsichtig und besorgte uns zwei kostenlose Tickets für den M-Block hinter dem Tor, man hat ja immerhin schon vorher bezahlt.

Dankbar für die freundliche Hilfe und glücklich über die Situation gings in die große Kurve, in der wir uns erstmal ein Bild vom Stadion machten. Das Spiel stellte schon meinen dritten Besuch in diesem Stadion dar, doch an diesem Tag sollte es die Partie mit dem höchsten Zuschauerandrang werden. Schon früh enterten viele blaue Gäste den großen Gästeblock (in etwa das halbe Stadion) und hängten unzählige britische Fahnen auf. Im Block der „Union Bears“, den Ultras der Rangers, sah man schon eine Stunde vor dem Spiel viel nackte Haut und ausgelassene Stimmung. Kein Wunder, ist das Aufeinandertreffen mit den Luxemburgern auch das erste internationale Spiel seit langem.

Der immer noch erfolgreichste Club der Welt (54 Meistertitel, 33 Pokalsiege und Titelträger des Europapokals der Pokalsieger 1972) musste mit der Insolvenz der Betreibergesellschaft 2012 den bitteren Gang in die vierte Liga antreten. Davor waren Spitzenplatzierungen im lokalen Wettbewerb sowie internationale Auftritte in ganz Europa mehr oder weniger an der Tagesordnung. Nach den schnellen Aufstiegen aus der Vierten und Dritten Liga sowie einer kurzen Ehrenrunde in der zweithöchsten Spielklasse meldeten sich die Rangers in der abgelaufenen Saison wieder zurück und erreichten als Aufsteiger mit einem starken dritten Platz die Qualifikation zur Europaleague.

Nachdem das Hinspiel gegen Niederkorn mit 1:0 gewonnen werden konnte, stellten sich viele der angereisten Fans schon auf eine lange Party während und nach dem Spiel einstellten. Unterstützt wurden die etwa 1.500 Anhänger der Schotten von einigen befreundeten HSVlern, die auch mit ein paar Fahnen anwesend waren. Kurz vor Anpfiff waren die komplette Gegengerade sowie die Kurve hinterm Tor mit Union-Jacks der Gästebeflaggt, was ein ausgesprochen gutes Bild abgab.

Das Stadion an sich war für luxembourger Verhältnisse ordentlich gefüllt, wobei man eigentlich mit ein paar mehr Gästen gerechnet hatte. Zur Belustigung der Schotten spielte noch ein Dudelsack-Quartett zwei bekannte Hymnen auf dem Platz, wofür sich aber kaum jemand interessierte.

Denn die Gäste sangen sich immer lauter ein, während die Heimfans im Eckblock die Choreo probten, die mit dem Einlaufen der Mannschaften hochgehalten wurde. Die simple optische Aktion bestehend aus den beiden Vereinsinitialen „PN“ sowie vieler schwarzer und gelber Zettel im Hintergrund machte einen guten Eindruck und war definitiv nicht zu erwarten. Gehalten wurde das Ganze für etwa drei Minuten, in denen Zettel und Buchstaben immer wieder hochgehalten und abgelegt wurden.

Der danach folgende Spielsupport war zunächst wieder typisch Niederkorn: Drei unterschiedlich große Trommeln gaben den Takt an, während ein (!) älterer Fan per Megafon vor sich hin sang. Genauso erlebte man das auch beim letzten Spielbesuch der Schwarz-Gelben zu Beginn des Jahres im Derby gegen Differdange. Nach einigen Minuten bestieg aber ein Fan den Zaun, der wohl an diesem Tag oberkörperfrei den Capo darstellte. Es folgten kurze und teils laute Schlachtrufe sowie Klatscheinlagen, bei denen schonmal gut 50-60 Leute mitmachten. Leider schwankte der Support in Hälfte Eins extrem, sodass sich im Schnitt in etwa fünf bis zehn Personen inklusive vieler Kinder am Support beteiligten.

Auf der gegenüberliegenden Seite startete der kompakte Gästeblock gut und laut ins Spiel und war so gut wie ständig in Bewegung. Ungewöhnlich war dabei die Auswahl des Liedgutes, erwarteten wir doch eher den britischen Stil. Was man bekam, war dabei ein „Best of“ aus allen europäischen Stadien, mit einem starken Hang zu Frankreich. Das führte dann aber auch dazu, dass sich die meisten Bemühungen auf den Block der Ultras beschränkten, während die Gegengerade eigentlich nie in die Lieder miteinstieg. Lag vielleicht auch an der schon erwähnten hohen Zahl an Umlandfans, aber auch allgemein rissen die Gäste nicht wirklich Bäume aus. Im Laufe der ersten Halbzeit versandete das Ganze dann immer weiter, sodass beide Fanseiten die letzten fünfzehn Minuten schweigend das Spiel betrachteten.

Und auch das hatte einige Überraschungen parat: So gut wie jeder im Stadion rechnete wohl mit einem dominanten Auftreten der Gäste, unsere Nebenmänner berieten schon vor dem Spiel über die Höhe der Klatsche für Niederkorn. Doch Progrès hielt von Beginn an gut dagegen und präsentierte sich den übermächtigen Schotten ebenbürtig. Immerhin standen die Chancen nicht so schlecht auf ein Weiterkommen, da schon ein Treffer das Hinspielergebnis egalisieren würde.

So starteten beide Mannschaften gleichstark in die Partie, was aber auch leider in einem eher chancenarmen Kick in der ersten Halbzeit mündete. In der 30. Minute musste der Keeper der Luxembourger verletzt herausgetragen werden, was zu einer längeren Spielunterbrechung führte. Ansonsten endete eine eher öde erste Halbzeit ohne große Höhepunkte.

In der Pause drehte der Gästeblock plötzlich wieder auf und feierte ein paar Songs des Stadionradios, bevor mit Wiederanpfiff alle Stimmungsversuche wieder eingestellt wurden. Unterm Strich war der Auftritt der Gäste eher enttäuschend, da der Block vor dem Spiel und in der Halbzeitpause deutlich aktiver war als während der Partie.

Auch im Heimblock regte sich mit dem Start in Hälfte Zwei zunächst nichts. Der Capo war verschwunden und nur ein paar Kinder sangen das immer gleiche Lied zu einem konstanten Trommeln. Dafür wusste das Geschehen auf dem Platz immer mehr zu Begeistern. Wohl mit einer deutlichen Ansage im Rücken startete Glasgow deutlich offensiver und kam zu immer mehr Chancen, die die gut stehende Hintermannschaft der Luxembourger gut zu verteidigen wussten. Aber auch das Glück war auf der Seite von Niederkorn, da ein Kopfball eines Rangers-Spielers zuerst die Latte traf und dann auf der Linie aufschlug.

Mit der ersten echten Torannäherung der Hausherren in der 65. Minute zappelte plötzlich der Ball in den Maschen: Ein Eckball konnte von der Defensive der Schotten nicht richtig geklärt werden, sodass ein zweiter Ball in den Strafraum gebracht werden konnte, den ein Spieler von Progrès aus kurzer Distanz nur noch einnicken musste. Tor für die Luxembourger, und plötzlich stand das Stadion Kopf! Mit dem Treffer bestieg der Capo wieder den Zaun und feuerte den Eckblock an, während die Gäste eher ungläubig auf die feiernden Spieler blickten.

Im Anschluss ging Glasgow in die absolute Offensive, denn ein einziges Tor würde dem Team ja schon genügen. Doch in der 74. Minute verwandelte Niederkorn einen Freistoss direkt zum 2:0. Der Heimblock rastete komplett aus und begann mit einem richtig lauten Gesang, in den sogar die Kurve hinter dem Tor miteinstieg. Dass man sowas einmal in Luxembourg erlebt, hätte ich niemals zuvor gedacht…

Doch noch war das Spiel nicht vorbei, obwohl die Sensation greifbar nahe war. Die Rangers spielten nun mit elf Mann nach vorne, während Niederkorn mit der gleichen Anzahl auf der Linie verteidigte. Und wieder hatten die Hausherren unglaubliches Glück: Ein Abschluss aus kurzer Distanz traf wieder die Querlatte, der Ball tropfte Zentimeter vor der Linie auf, bevor er von einem Verteidiger per Fallrückzieher geklärt werden konnte.

Die letzten zehn Minuten waren unglaublich spannend, doch Progrès hielt der Belagerung stand und zitterte sich zum nicht unverdienten Sieg über die Glasgow Rangers. Die Sensation war somit perfekt. Der erste Sieg in einem europäischen Spiel überhaupt, dazu die Tore Zwei und Drei im internationalen Wettbewerb. Die Freude beim Heimanhang kannte keine Grenzen, die Fans jubelten minutenlang auf den Rängen, der Eckblock wurde sogar von vielen Rauchtöpfen in ein einheitliches Gelb getaucht.

Spieler und Betreuer lagen sich in den Armen und konnten es genauso wenig fassen wir die vielen Fans der Rangers. Hat man da den vierten der Luxembourger Liga komplett unterschätzt? Oder ist es ein Zeichen dafür, auch wenn viel Glück mit im Spiel war, dass sich die Liga im europäischen Vergleich verbessert hat? Dass werden wohl die folgenden Wochen zeigen, wenn es in die zweite Runde der Qualifikationen geht. Für Progrès geht es dann aller Voraussicht nach gegen den zypriotischen Vertreter AEL Limassol, der sein Hinspiel deutlich mit 4:0 gewinnen konnte. Irgendwie würde es uns freuen, wenn man im Nachbarland in Zukunft ein paar mehr europäische Spiele verfolgen könnte.

Nachdem die Fans und Spieler die Feier im Stadion beendeten, gings für uns raus aus dem Stadion und wieder auf die andere Straßenseite zum Parkhaus. Da es nur zwei Parkautomaten gibt, musste man sich in eine der beiden langen Schlangen anstellen, bevor man den günstigen Euro für fast fünf Stunden parken bezahlen durfte. Auf dem Weg zurück nach Deutschland verlängerte noch eine voll gesperrte Autobahn die Heimreise, weshalb wir uns die kleinen Landstraßen nach Trier mit vielen LKWs teilen durften, bevor man um kurz nach Elf das wohlig warme Sofa erreichte.