27.04.2025
32. Spieltag 1. HNL
GNK Dinamo Zagreb - HNK Rijeka
Stadion Maksimir
Endergebnis: 1:0 (1:0)
Zuschauer: 15.711 (400 Gäste)
Ticket: 20€
Waren es die ersten Sonnenstrahlen seit vier Tagen, die mich am Sonntagmorgen mit einem breiten Grinsen im Gesicht aufwachen ließen? Ach was, lange brauch ich sowieso bei der obigen Spielpaarung nicht drum rum reden. Dinamo Zagreb gegen Rijeka. Ein waschechtes Derby in Kroatien, das zudem vorentscheidend für den Kampf um die Meisterschaft sein könnte. Die Vorfreude war kaum messbar. Der Tag bis zum Abendspiel musste jedoch auch noch irgendwie verbracht werden, wobei die letzten noch nicht erkundeten Ecken der Zagreber Innenstadt auf eine nette Runde einluden. Vom zentralen Platz ging es zum Nationaltheater, anschließend vorbei am Staatsarchiv bis zum Hauptbahnhof und dem gegenüberliegenden Park der nationalen Kunstgalerie. Viel Leben auf den Straßen, dazu bereits unzählige Trikots und T-Shirts in Dunkelblau, die uns immer mehr auf das fußballerische Highlight des gesamten Trips hinfiebern ließen.
Mittags gab’s noch eine gute Portion Ćevapi in der Altstadt, ehe wir uns anschließend in der Sonne auf einem Platz niederließen (zufälligerweise am Gründungslokal Dinamos) und uns mit einigen Kaltgetränken abkühlten. Unfassbar freundlich die Leute hier, die zudem durch die Bank und durch alle Altersklassen hinweg kein Problem damit hatten, Englisch zu sprechen. Zudem ein herrliches Wetter – warum eigentlich nicht immer so? Alles Faktoren, die uns äußerst positiv auf unseren sich langsam zu Ende neigenden Trip in die kroatische Hauptstadt blicken ließen. Lässt sich echt gut für ein paar Tage hier aushalten!
Nun war es aber endlich Zeit, das frohe Treiben der Innenstadt hinter uns zu lassen und die erstbeste Tramlinie gen Osten der Stadt zu besteigen. Die Linie, die wir in den fünf Tagen zuvor beinahe täglich nutzten und dabei jedes Mal einen guten Blick auf eine der einmaligen Buden Europas erhaschten, brachte uns nun an eben jenen Spielort: Zum Stadion Maksimir. Benannt nach dem Distrikt sowie dem benachbarten Park, mussten wir die Bude in Gänze auf uns wirken lassen und stiegen daher eine Station später, sprich am Zoo, erst aus der Bahn aus. Und wurden dafür nicht nur mit einem starken Blick auf unzählige Wandmalereien belohnt, sondern auch auf die wohl überlegte Architektur der Osttribüne, deren frei schwebenden Traversen als Dach für die Ränge des benachbarten Platzes dienen. In dieser Art ein echtes Novum für unsere Augen. Die Nord, also die Sjever, erinnerte durch das viele Glas eher an ein Geschäftszentrum, während die Zapad (West) einen wuchtigen Eindruck machte.

Lang die Schlangen derweilen am Tickethäuschen, um das wir zum Glück aufgrund der zwei Tage zuvor gekauften Karten einen Bogen machen konnten und stattdessen die kleine Fanzone besuchten. Neben Bier, Bier und nochmals Bier, dazu einer Bierpong-Station (für umme?!) wurden auch einige Spezialitäten vom Grill angeboten, während fliegende Händler auf aufgestellten Wäscheständern ein paar Fanartikel an Kiddies und Familien brachten. Der kleine Bereich füllte sich allerdings recht fix, sodass wir die Beschaffung der eigenen Verpflegung aufs Stadion verschoben und eben jenes am südlichen Fuße der Zapad betraten. Noch fix ein Treppenhaus ähnlich des Anstiegs in die 4er Blöcke von Lautern erklommen, standen wir auch schon im inneren Umlauf des Oberrangs. Ein Getränk im bedruckten Becher, dazu eine Debrecziner im langen Brötchen (frisch aus dem silbernen Öl-/Suppentopf) formten die als gut empfundene Auswahl, die für ungefähr die gleiche Preisstaffelung wie in der Heimat feil geboten wurde. Für hiesige Verhältnisse echt kein Schnapper, genau wie die Ticketpreise. Wobei der Zwanni in meinen Augen echt noch ging, da rufen andere Vereine nochmal mehr auf.
Gesättigt enterten wir unseren Block etwas rechts der Mittellinie und suchten unsere nicht zusammenhängenden Plätze, was sich im Endeffekt aber als nicht problematisch herausstellte, da sowieso jeder da saß, wo er oder sie Bock drauf hatte. Im Licht der untergehenden Sonne lag es nun vor uns: Das ikonische und einmalige Stadion Maksimir, das in Teilen auch zurecht als eine der hässlicheren Spielstätten des Kontinents gilt. Was allerdings hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass von egal welchem Sitz mindestens eins der nachträglich errichteten Flutlichter die Hälfte einer Tribüne oder eben des Platzes verdeckt, in unserem Fall heute der Gästeblock. Ulkig zudem die Tatsache, dass der Mast im Nordwesten nur bis zur halben Höhe errichtet wurde und daher sogar tiefer sitzt als die hintersten Reihen der Tribünen.
Die Nord und die West sind doppelstöckig ausgebaut, während die seit dem Erdbeben 2020 einsturzgefährdete und daher gesperrte Osttribüne nur einen Rang abbekam. Die Jug, also die Süd, zeugt als einzige, echte Kurve noch ein wenig von der alten Zeit, als sich noch eine Laufbahn um den Rasen schlängelte, und ist zugleich die Tribüne mit der geringsten Höhe. Echt Wahnsinn, wie hoch dagegen die Wände der Nord bis zur ersten Reihe ragen… Insgesamt 35.123 Plätze fasst das in Teilen an Genua erinnernde Stadion (aufgrund der rotbraunen Gebäude in den Ecken der Nord), von denen derzeit allerdings nur knapp 25.000 nutzbar sind. Allerdings schwebt auch über dieser Bude das Beständige Wort Abriss und Neubau. Natürlich nicht erst seit Gestern, denn gewollt wird hier schon seit Ewigkeiten. Nun scheint man es aber tatsächlich ernst zu meinen und plant mit der Eröffnung im Jahr 2029, wobei in die Planung ebenso das Kapitel Stadion Kranjčevićeva reinspielt, in das Dinamo währenddessen umziehen soll. Schade um den geschichtsträchtigen Ort, aufgrund der aktuellen Schäden aber unumgänglich.

In der Historie war das Stadion Maksimir nicht nur Schauplatz unzähliger großartiger Partien, sondern auch von Tragödien und Ausschreitungen, wie die vom 13. Mai 1990, als im jugoslawischen Oberhaus die Partie zwischen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad stattfinden sollte. Die massiven Ausschreitungen in der Stadt und im Stadion, die den Anpfiff unmöglich machten und dabei live von den Kameras in die serbischen und kroatischen Wohnzimmer übertragen wurden, gelten nach verschiedenen Lesarten noch heute als einer der Auslöser für den wenige Monate später startenden Krieg auf dem Balkan.
An vorderster Front sowohl bei den Ausschreitungen als auch während der Kämpfe gegen Serbien: Die Bad Blue Boys, die 1986 gegründete, führende Gruppe Dinamos. Situiert auf der Nord, bildet der Name BBB noch heute den Zusammenschluss aller am Support (sowie der sportlichen Ertüchtigung) interessierten Anhänger Dinamos, der sich allerdings aus unzähligen Kleingruppen und Gangs aus Zagreb und vielen weiteren Städten Kroatiens (und darüber hinaus) zusammensetzt, die wiederum mit ihren Namen aber höchstens auf T-Shirts auftreten. Man verkauft allerdings recht viel Merch mit dem Namen BBB, sodass auch auf unserer Tribüne fast jeder mit Pulli, T-Shirt oder Mütze samt Schriftzug oder Logo (Bulldogge) herumlief.
Wie schon beim vorherigen Kick erwähnt, versteht man sich in der Kurve als klar nationalistisch und zeigt dies auch gerne mit ausgestreckten, rechten Armen, solidarisiert sich aber gleichermaßen auf Tribüne und im Stadtbild mit der Ukraine. Nicht zuletzt aufgrund des großen Feindbildes Serbien, das bis heute existiert. Eng verbunden sind die Auftritte und Eskapaden der Gruppe aber auch mit Dinamo Zagreb selbst und mit all den Problemen, die den sportlich erfolgreichen Verein prägten und prägen. Das fängt alleine schon beim Streit über das Gründungsdatum an. Der eigene Anhang sieht die Wurzeln in der Neugründung durch die kommunistische Regierung 1945, andere wiederum beim 1. HŠK Građanski, der bereits 1911 an den Start ging. Einig ist man sich immerhin darüber, einer der erfolgreichsten Vereine auf dem Balkan überhaupt zu sein. Vier Mal wurde der jugoslawische Meistertitel errungen, während der Pokal gar sieben Mal in die Höhe gestemmt werden durfte. 1967 konnte zudem mit dem Messepokal ein internationaler Titel gewonnen werden.

Noch besser sieht es seit der Unabhängigkeit Kroatiens aus: Ganze 25 Meisterschaften und 17 Pokalsiege machen Dinamo zum mit weitem Abstand erfolgreichsten Verein des Landes. Allerdings konnten die vielen Erfolge der Schmiede etlicher Talente von internationalem Top-Niveau nicht über die ebenso zahlreichen Nebenkriegsschauplätze hinwegtäuschen, die alleine ganze Bücher füllen. Wie die Änderung des Vereinsnamens in „Croatia Zagreb“ aufgrund des Krieges, der von den eigenen Fans stets abgelehnt wurde. Oder eben auch das Kapitel Zdravko Mamic. Der Präsident, Lenker und beinahe Diktator Dinamos, der zwischen 2003 und 2016 die Geschicke des Vereins lenkte, dabei aber hauptsächlich an seinem eigenen Wohlstand interessiert war und durch etliche Eskapaden in Ungnade viel.
Nicht nur beim Staat, der Mamic aufgrund von Korruption und Veruntreuung verurteilte, sondern auch bei den Bad Blue Boys, denen er etliche Steine in den Weg legte. Es folgten jahrelange Boykotte auf den Rängen, die sogar in eine von Außen herbeigeführte (man munkelt durch gekaufte Leute) Spaltung der Fanszene in Pro und Contra Mamic führte. Heftige Auseinandersetzungen innerhalb der eigenen Kurve waren die Folge. Nicht nur in Zagreb, sondern auch bei Auswärtsspielen. Wie im Juli 2015, als Dinamo in Luxembourg bei Fola Esch gastierte. Auch ich fuhr damals zu jenem Kick, wusste natürlich von gar nichts und wunderte mich, warum die eine 9er Besatzung aus Kroatien die andere attackierte. Nur zwei Jahre später entging Mamic nur knapp einem Attentat auf einem Friedhof in Bosnien, seiner aktuellen Wahlheimat, in der er sich noch heute von der kroatischen Justiz versteckt. Immerhin Dinamo konnte aus seinem Griff befreit werden, was auch die am Boden liegende Szene rund um die Bad Blue Boys vor allem in den letzten Jahren wieder stark wachsen ließ.
Damit allerdings auch das sowieso schon hohe Gewaltpotenzial, das am 7. August 2023 seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. In der 3. Quali-Runde zur Europa League traf Dinamo Zagreb auf AEK Athen. Soweit so gewöhnlich, doch aufgrund der Verbindung zwischen den Bad Blue Boys und Gate 13 von Panathinaikos, dem größten Feind von AEK, sprachen UEFA und Behörden fix ein beidseitiges Gästeverbot aus. Dass sich die Bad Blue Boys an solche Verbote ungern halten und dennoch zum Spielort anreisen bewiesen sie schon zu Zeiten der Repression von Mamic, was die kroatischen Behörden dazu veranlasste, in Griechenland sämtliche Alarmglocken zu läuten. Und tatsächlich machten sich in der Nacht vor dem Spiel 21 Fahrzeuge mit insgesamt 120 Hooligans über den Landweg auf den Weg nach Griechenland. Sowohl an den Grenzen zu Montenegro als auch zu Albanien und Griechenland blieb der Haufen nicht unbemerkt.

Mittlerweile berichteten gar das Fernsehen mit Bildern über den auf Athen zurollenden Konvoi, der bei der dortigen Staatsmacht aber kein allzu großes Interesse am Handeln auslöste. Nach der langen Fahrt würden sich die Kroaten wohl erstmal in ihren Hotels schlafen legen, sodass von Seiten der Polizei lediglich ein paar Hotels, die kroatische Gäste erwarteten, abtelefoniert und vorgewarnt wurden. Ein fataler Fehler. Der Konvoi teilte sich kurz vor Athen auf, steuerte aber dennoch zielstrebig eine Metrostation an, von wo aus der durch Panathinaikos verstärkte Mob gen Nea Filadelfia, dem Standort des neuen Stadions von AEK, aufbrach. Auf Seiten des Anhangs von AEK, organisiert durch Original 21, war man sich der Gefahr dagegen durchaus bewusst und mobilisierte kräftig. Unter dem Vorwand des Verkaufs von Dauerkarten wurden etliche Schwarz-Gelbe zum Stadion gelockt, während der Haufen der Bad Blue Boys, mittlerweile schwer bewaffnet, sich auf das Stadion zubewegte.
Das Ende der Ausschreitungen mit mehr als 300 Beteiligten ist bekannt wie tragisch: Der 29-jährige AEK-Fan Michalis Katsouris ließ in dieser Nacht sein Leben. Ermordet durch einen Messerstich in den Arm. Mehr als 100 Anhänger beider Lager wurden in der Folge festgenommen (teils bei Fluchtversuchen via Fähre nach Italien), während einige weitere mit schweren Stichverletzungen in Krankenhäusern behandelt wurden. Der öffentliche Zorn richtete sich in Griechenland gegen die Kroaten als auch gegen die eigene Staatsmacht gleichermaßen, wobei vor allem Letztere viele Versäumnisse einräumen musste. Teils wurden Tipps zu Treffpunkten und sogar notierte Kennzeichen nicht ernst genommen. Auch während der Attacke selbst dauerte es ewig, bis mehr als lediglich 7 Polizisten eintrafen, die sich zudem nur im Hintergrund aufhielten. Geklärt ist der Fall allerdings bis heute nicht. Am 22. Dezember 2023 wurde der letzte Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen – und der Fall zu den Akten gelegt. Das Spiel fand übrigens an jenem Abend nicht mehr statt – wäre der UEFA aber auch zuzutrauen gewesen, die Vereine dennoch zur Austragung zu zwingen. Ich weiß, harte Kost, allerdings eine von vielen Geschichten, die die Bad Blue Boys prägen und daher erzählt werden müssen, wenn man sich mit der Gruppe beschäftigt.
Davon losgelöst waren wir allerdings auch erwartungsvoll, was die Performance der Kurve zum heutigen Derby anbelangte, war doch der Unterrang der Sjever und damit der Standort der Szene restlos ausverkauft. Und zumindest optisch bekamen wir mit dem Hauptbanner der BBB gleich ein optisches Highlight serviert, dürfte diese Fahne nicht nur die größte ihrer Art in Europa, sondern vielleicht sogar weltweit sein. Über 50 Mann waren parallel von Nöten, um dieses gigantische Stück Stoff zu befestigen. Dahinter zierten einige weitere Fetzen den Zaun vor der ersten Reihe des Unterrangs, wie u.a. die bereits am Mittwoch erblickten „Blue Madness“ und „Blue Hooligans“, aber auch Symbole wie das gerne verwendete, griechische Omega. Auch im Oberrang hing eine Fahne mit der Aufschrift „Dinamo Zagreb über allen“. Bis zum Einlaufen der Mannschaften blieb die Kurve still und protestierte auch währenddessen gegen die in ihren Augen mangelhafte Leistung der eigenen Kicker mittels Spruchband „Igra li vam se danas ili opet šetnja?“ (in etwa: Habt ihr heute Lust zu spielen oder wollt ihr nochmal spazieren zu gehen?).

Erst nach dem Anstoß erhoben sich die Arme zu ersten Klatscheinlagen und Schlachtrufen, die mitsamt des dahinterliegenden Bergpanoramas einen unfassbar starken Eindruck machten. Beteiligung 100% im Unterrang, während auch der Oberrang sowie einige auf der West hier und da mitzogen. Das war schon Klasse zu Beginn. Doch die Begeisterung sollte, wie schon einige Tage zuvor, nicht lange halten. Aufgrund des Vereinsgeburtstags wehte lediglich ein etwas zu klein geratener Schwenker mitsamt des alten Logos (das entfernt an ŁKS Łódź erinnerte) eine Halbzeit lang in einer Kurve, die in Sachen Lautstärke abermals weit hinter unseren Erwartungen blieb. Für die Masse an Schränken, die sich hier augenscheinlich am Liedgut beteiligte, fast schon unterirdisch. Nur selten zog mal ein Gesang so richtig, dann aber auch nur für eine oder höchstens zwei Runden mit akzeptabler Lautstärke. Gut waren aber weiterhin die Wechselgesänge als auch die inbrünstig vorgetragenen Schlachtrufe.
Immerhin die Pyromanen waren zu genüge aktiv und zündeten viele Fackeln und den für Heimspiele charakteristischen, orangenen Rauch. Da verging eigentlich kaum eine Minute im ersten Durchgang, ohne das es irgendwo brannte. Fast genauso aktiv waren augenscheinlich die Machtkämpfe im Block. Mindestens drei Mal wurde sich in verschiedenen Bereichen derbe auf die Mappe gehauen, mitsamt anschließender Flucht einzelner Kleingruppen. Ob hier weiterhin Jagd auf (ehemalige) Mamic-Boys gemacht wird oder andere Grabenkämpfe stattfinden, war und ist uns an der Stelle aber nicht bekannt. So richtig interessiert hatten die Kloppereien außer den Beteiligten nämlich niemanden, da parallel der Support einfach weiterlief.
Gespannt waren wir derweilen auch auf die Gäste von der nördlichen Küste, gilt doch Rijeka als kreatives Zentrum der kroatischen Ultra-Bewegung. Allerdings mussten wir erst eine ganze Weile warten, bis die Szene rund um die Armada kurz vor knapp den Gästeblock betrat und Fetzen um Fetzen anflaggte. Selbstverständlich verdeckte ein Flutlicht unsere Sicht auf den Haufen, der zudem bis zur 15. Spielminute brauchte, um alle Schwenker aufzuziehen. Danach machten die gut 400 Gäste allerdings einen absolut geschlossenen Eindruck. Beinahe Komplettbeteiligung bei Klatscheinlagen, dazu ein schickes Fahnenbild und viel Bewegung im Mob. Ohne Dach über der Jug und bei der Entfernung zum Spielfeld dürfte auf der Gegenseite wahrscheinlich kein Ton angekommen sein, allerdings schafften es einige der melodischen Gesänge bis hinauf zu unseren Plätzen (u.a. ein Lied auf das recht bekannte „Ohhh San Lorenzo“ aus Argentinien). Alles in allem für die Masse echt ok.

Auf dem Rasen war der Kick womöglich vorentscheidend für die Meisterschaft. Rijeka ging als Tabellenführer in den Spieltag, während Dinamo als Verfolger einen Sieg brauchte, um bis auf einen Punkt auf die Gäste aufzuschließen. Und tatsächlich kickte Dinamo heute etwas besser und ging früh mit 1:0 in Führung. Der Vorsprung hielt auch bis zur Pause, in der wir uns bereits mit einem leicht enttäuschenden Derby auf den Rängen abgefunden hatten. Bis der zweite Durchgang startete – und alles auf den Kopf stellte. Plötzlich erstrahlte die Sjever in einem schicken Fahnenmeer, die Lautstärke zog kräftig an und auch der Gästeblock kitzelte nochmal einen Ticken mehr aus seinem Haufen raus.
Und dann wurde es tatsächlich ein waschechtes Balkan-Derby. Nach einer guten Stunde machte der Anhang aus Rijeka durch etliche kleine Schwenker auf sich aufmerksam, ehe die markerschütternde Detonation einer Kugelbombe den Startschuss einer massiven Pyroshow markierte. Etliche weiße und rote Fackeln erhellten die Mitte des Mobs, ehe eben jene in hohem Bogen in den Innenraum entsorgt wurden. Bei näherer Betrachtung der verbrannten, blauen Fläche vor der Jug wohl gängige Praxis hier. Die Detonation der zweiten Kugelbombe dürfte wohl in halb Zagreb hör- und spürbar gewesen sein, während die Zündelei eine oder mehrere Sitzschalen in Brand setzte. Da loderten die Flammen ganz schön hoch, bis sich zwei Feuerwehrleute mit einem Feuerlöscher erbarmten.

Kaum war der Rauch aus Rijeka verzogen, legten die Bad Blue Boys nochmal eine Schippe drauf. Zunächst durch massive, orange Rauschschwaden, auf die locker einhundert Fackeln folgten. Unfassbar starkes Bild unter dem diffusen Licht der Scheinwerfer, während der recht toxisch duftende Qualm das Stadion Maksimir komplett einhüllte. Trotz des fehlenden Daches hielt sich der Rauch recht hartnäckig und verdeckte die Sicht aufs Spielfeld, wo allerdings ohnehin nichts spannendes mehr passieren sollte. Pure Ekstase daraufhin in den letzten zehn Minuten, in denen es pausenlos sowohl im Norden als auch auf dem Unterrang der West brannte. Berauschend nun die Gesänge der Sjever, die zudem die gesamte Zapad zum Aufstehen und Mitmachen aufforderte – die für die kompletten letzten zehn Minuten auf Kommando folgte (und sich keiner mehr hinsetzte!).
Plötzlich war alles wie erhofft. Lautstarke, fast schon brachiale Gesänge in tiefen Tönen, dazu viel Rauch, Feuer und Pöbeleien auf beiden Seiten. Die Enttäuschung aus dem ersten Durchgang wie weggeblasen. Auf dem Platz derweilen der finale Pfiff, der nicht nur den Heimsieg besiegelte, sondern auch das vor einige Wochen noch abgeschlagene Dinamo Zagreb wieder voll im Kampf um den Titel mitmischen ließ. Lauter Jubel erfüllte das Stadion, während die Gäste ebenfalls ihrem Team frenetischen Beifall schenkten. Rijeka so lange so weit oben in der Tabelle ist eben auch keine alltägliche Saison an der Küste. Doch die Gesänge Dinamos übertönten die Gäste schnell wieder. Auch im Umlauf und in den steilen Treppenhäusern war nun ordentlich Party angesagt, die erst unter freiem Himmel langsam abebbte. Ein ganz schöner Rausch am Ende, alle Achtung.
Unser Weg gen Hotel führte uns anschließend vorbei an der Sjever und geradewegs durch die Masse derer, die in Scharen den Unterrang verließen. Eine ordentliche Mischung aus recht jungen Kurvengängern und riesigen Kälbern formte die Kunden hier, wobei ich die Anteile von Jugendbanden und Hools auf etwa 50/50 schätzen würde. Daher Blicke nach unten und bestimmten Schrittes vorbei an der Kurve, ehe wir uns auf den Rückweg in Richtung Dubrava machten. Trams fuhren entlang der Stadionstrecke vorerst keine, sodass es die gute halbe Stunde letztlich zu Fuß zurück zur Unterkunft ging, wo wir eine ganze Weile brauchten, um die vielfältigen Eindrücke des Tages zu verarbeiten.

Ausgeruht und ausgeschlafen stand am Montag schließlich der letzte Tag an, der zunächst mit ausgiebigem Frühstück und anschließendem Check-Out gestartet wurde. Da der Flug erst am Abend ging, nutzten wir den Vormittag noch zum Genießen der Sonne im nahen Park Maksimir, der gewisse Ähnlichkeiten mit dem englischen Garten in München aufzuweisen hat. Vor allem mit Blick auf die zahlreichen Gebäude und Seen, die ihn zieren. Ließ sich bei bestem Wetter hier sehr gut aushalten, ehe wir für den Mittagsschmaus erneut unsere lieb gewonnene Konoba Veranda in Dubrava aufsuchten. Eine letzte, gegrillte Fleischplatte später ging es schließlich zum Flughafen. Fix den Mietwagen abgegeben, dann ab durchs moderne aber auch sehr kleine Terminal, ehe uns Croatia pünktlich zurück nach Frankfurt chauffierte.
Eine Woche Nordkroatien – was bleibt als Fazit? Erst einmal sehr viele nette Menschen mit einer charmanten Offenheit für Touristen. Da hört und liest man von der Küste ja gerne mal andere Töne. Zudem tolle Landschaften und eine richtig gute, fleischlastige Kulinarik, die uns bei keinem Mahl enttäuschte. In Sachen Fußball blieben vor allem die ikonischen Buden hängen, wenngleich ich auch mit einigem Abstand die gesehenen Kurven nicht als das Non plus ultra (Ost-)Europas bezeichnen würde. Tolle Momente und grandiose Pyroshows produzierten sie aber allemal. Unterm Strich wird uns Kroatien definitiv irgendwann wiedersehen. Vielleicht nicht in diesem Jahr und auch nicht im Nächsten, aber spätestens beim Hunger auf die nächste Fleischplatte werden die Augen wieder durch die Spielpläne der HNL stöbern.