22.02.2025
25. Spieltag Super League
FC St. Gallen - FC Basel
Stadion St. Gallen
Endergebnis: 2:2 (0:1)
Zuschauer: 19.335 (ca. 2.500 Gäste)
Ticket: 45 CHF (~48,50€)
Kurz nachdem der finale Pfiff im Ulmer Donaustadion ertönte und die Mannschaft verabschiedet wurde, machte sich eine gemischte Autobesatzung aus Elversberg und Sandhausen auf den Weg weiter südwärts. Mit an Bord, neben uns zwei Nasen, Schweiz-Experte M. vom Hardtwald sowie Kollege Jo, der mir bereits seit Monaten, wenn nicht länger, mit dem Wunsch, einmal Basel live zu sehen, im Ohr hing. So sehr, dass das Durchstöbern der Spielpläne des teuren Alpenlandes seit geraumer Zeit fest zum Alltag gehörte. Mit lediglich zwei Stunden Fahrtzeit aus Ulm bot sich das Match in St. Gallen förmlich an, die für uns perfekt terminierte Anstoßzeit um 20.30 am Samstagabend ermöglichte somit den entspannten Doppler.
Und so verging die Anreise via Österreich bis zum Hotel bei einigen Gesprächen über die faszinierenden Fanszenen der Schweiz wie im Flug, ehe die schicke Unterkunft nahe des Bahnhofs St. Fiden erreicht wurde. Übrigens direkt an der Rückseite der alten Heimspielstätte des FCSG, dem Stadion Espenmoos, gelegen. Während die einziehende Dunkelheit einen Blick auf die alten Traversen verwehrte, sorgte die Dame am Empfang bei unserer Truppe für diverse Schmunzler, hielt man uns doch für Anhänger des FCB und wünschte „viel Glück den Baslern heut Abend!“. Jaja, der Fußballbezug steht uns dann doch irgendwie in den Gesichtern geschrieben.
Nachdem das Gepäck in die Zimmer flog machten wir uns zügig, in Begleitung eines Wegbierchens, via S-Bahn auf gen Hauptbahnhof und schlugen im vergleichsweise preiswerten Coop bei ein paar Happen zu, ehe uns die nächste Bahn in den Vorort Winkeln verfrachtete. Dort warteten zur eigenen Überraschung einige Shuttle-Busse auf die Bahnfahrer, was bei lediglich 400 Metern Fußweg zur Spielstätte doch arg verwunderte. Allerdings wurde die einzige direkte Zuwegung für den gerade eintreffenden Gästehaufen, der mit 2(!) Extrazügen anreiste, gesperrt. Daher fix eine Schleife mit dem Bus gedreht, ehe die „Shopping-Arena“ vor uns auftauchte. Platzsparend stellte man sich hier im Jahr 2008 die neue Bude auf ein Einkaufszentrum, die gleichzeitig die höchstgelegene (652 Meter) Spielstätte des schweizer Profifußballs markiert. Schaute immerhin von außen noch nach Stadion aus und machte auf den ersten Blick auch echt was her.
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Ein fixer Stopp im Clubshop noch, dann ging es auch schon rein in Block C2 auf der Gegengeraden und auf unsere Plätze in der ersten Reihe. Perfekte Sicht auf sämtliche der 20.660 Plätze, die ohne Pufferbereiche im Ligabetrieb zur Verfügung stünden. Und auch von Innen blieb der Eindruck des schnörkellosen Neubaus aus einem Guss bestehen, mit allen positiven wie negativen Facetten. Charakterlos, dafür perfekte Sicht von jedem Platz sowie der Stimmung absolut dienlich. Kann man sicherlich als Anhänger der Heimseite als auch von Gastmannschaften mit Leben, besondere Erinnerungen bleiben davon aber keine hängen. Auserkorenes Highlight des Abends sollte aber sowieso nicht das Stadion, sondern das Aufeinandertreffen der beiden Fanszenen werden.
Während der Gästeblock zu unserer Rechten noch komplett verwaist war, schien der gegenüberliegende Espenblock schon zum Bersten gefüllt mit einer motivierten Kurve, die dem ältesten noch bestehenden Club der Schweiz (und sogar Kontinentaleuropas) die Treue hält. Bereits seit 1879 tritt der FC St. Gallen gegen die Kugel, wurde in dieser Zeit zwei Mal Meister (1904 und 2000) und gewann 1969 den Pokal, trat aber auch in etlichen Spielzeiten nur zweit- oder drittklassig an. Und dennoch, oder gerade aufgrund der bewegten Geschichte zwischen Dorfplätzen und internationalem Geschäft, vereint der FCSG den nach Zahlen dritthöchsten Zuschauerschnitt nach Bern und Basel (und somit noch vor dem FCZ sowie den ungeliebten Nachbarn aus Luzern). Vor allem mit Blick auf die Einwohnerzahl St. Gallens von knapp unter 80.000 mehr als beachtlich! Und auch am heutigen Abend vermeldeten die Grün-Weißen ein ausverkauftes Haus, während lediglich ein paar Puffer-Plätze rund um den Gästeblock leer blieben.
Selbiger wurde schließlich, gut 45 Minuten vor Anpfiff, von der gesammelten Basler Fanszene geentert. Und zwar in kompletter Stille. Mit einer beeindruckenden Disziplin schien hier ein jeder einer Aufgabe nachzugehen, sei es das Aufhängen der Lappen am Zaun oder auch das Aufziehen der zahlreichen Schwenkfahnen und Doppelhalter. Wie Ameisen schwirrte der Anhang umher, während sich der Block binnen weniger Minuten von unten bis oben komplett füllte. Zusammen mit den Gästen in umliegenden Blöcken dürften es gut 2.500 Rot-Blaue gewesen sein, die ihre Mannschaft an diesem Abend in die Ostschweiz begleiteten. Und schließlich, etwa zwanzig Minuten später, zum ersten Mal von sich hören ließen. Auf „Oh My Darling, Clementine“ knallte gleich die erste Hammer-Melodie in einer unfassbaren Lautstärke zu uns hinüber, die den Ohrwurm auf Wochen in unsere Gehörgänge hämmerte. Dazu leuchteten bereits die ersten Fackeln mit Jo’s Grinsen neben mir um die Wette, während weiterhin fleißige Hände mit dem Verteilen von Materialien für das folgende Intro beschäftigt waren.
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Als schließlich die Mannschaften den Rasen betraten, gingen wahrliche Unmengen an blauen und roten Rauchbomben zu unserer Rechten in die Höhe, die wenig später durch gelbe Wurfrollen ergänzt wurden. Und auch der Espenblock zu unserer Linken geizte nicht mit optischen Elementen. Ein tolles Chaos-Intro aus Schwenkfahnen, Doppelhaltern, einer Schalparade, Konfetti und Luftschlangen hüllte die Kurve in grüne und weiße Farben, während eine abgeschossene Rakete den Startschuss zu einer ebenso unfassbaren Pyroshow markierte. Unfassbare Bilder auf beiden Seiten, dazu eine wirklich ohrenbetäubende Lautstärke der beiden Fanszenen, die auch den immer dichter werdenden Nebel, der sich schnell im Stadion ausbreitete, stets durchdrang. Genießen konnte man die Momente allemal, war doch an einen baldigen Anpfiff kaum zu denken. Selten saßen wir in einem so dichten Nebel wie an diesem Abend, selten bewegten sich die Köpfe, fast wie in einem Tennis-Match, so schnell von links nach rechts.
Doch es war lediglich der Beginn eines utopischen Abends. Denn was der Gästeblock hier neben uns für eine Show abriss, war einfach phantastisch. Sei es das einmalige Liedgut, bei dem selbst anderswo gesungene Melodien mit einem eigenen Kniff versehen wurden, oder auch die niemals nachlassende Lautstärke des bis in die Haarspitzen motivierten Anhangs. Die Mitmachquote, die über die volle Distanz immer am Optimum kratzte. Die Bewegung in allen Bereichen des Blocks, der optische Tifo, geprägt durch so viele schöne Schwenker, Doppelhalter oder einfach hochgehaltener Fetzen. Da passte einfach alles. Dazu der abgestimmte Einsatz diverser weiterer pyrotechnischer Erzeugnisse, während einiger Lieder oder auch nach den beiden Treffern. Ständig brannte es hier und da, ständig gabs etwas zu sehen. Ständig wippten die Füße mit den starken Rhythmen, die selbst im Vergleich zu den letzten beiden Malen, in denen man den Baslern lauschen durfte, wie ausgewechselt wirkten. Man erfindet sich ständig neu und zelebriert seine Kreativität, in Gesängen als auch Choreos. Ganz, ganz stark und mit der beste Gastauftritt, den ich seit vielen Jahren erleben durfte!
Auch bedingt durch unsere Plätze war vom Espenblock nicht allzu viel zu hören, doch nicht minder viel los. Im Vergleich zu den vielen kleinen Fetzen der Gäste setzte man hier auf einen einheitlichen Zaun aus lediglich einem großen Banner, das lediglich mittig von einigen kleinen Stücken Stoff (u.a. von den Freunden aus Reutlingen) überhangen wurde. Doch dahinter war der optische Tifo aus etlichen Schwenkern ebenso beeindruckend, während auch hier die Mitmachquote nicht nur den Steher, sondern auch die angrenzenden Sitze umfasste. Viel Bewegung, teils richtig starke Sprungeinlagen und ebenso viele Fackeln, die vor allem im zweiten Durchgang die Gesänge untermalten. Hängen blieb hier insbesondere ein Chant auf „Daddy Cool“ von Boney M. (mit Augenzwinkern ein kleines Stück Elversberger Musikgeschichte in der Ostschweiz), während sonst viele eher bekanntere Melodien ab und an in unsere Richtung schwappten. Optisch insgesamt top, allerdings müsste man den Anhang der Grün-Weißen wahrscheinlich nochmal sehen, um etwas mehr über die akustischen Elemente des Supports erzählen zu können.
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Sportlich befand sich die schweizer Super League bereits in der Endphase der regulären Saison, an deren Ende die 12er Liga in Meister- und Abstiegsrunde geteilt wird. Basel kämpfte um die Verteidigung der Spitzenposition, während St. Gallen als Siebter um den Einzug in den Wettbewerb ums internationale Geschäft kämpfte. Und es ging gleich gut los auf dem Rasen, denn Basel, derzeit angeführt von Altstar Xherdan Shaqiri, ging nach lediglich zehn Minuten mit einem schönen Hammer in Führung und ließ den Gästeblock eskalieren. Danach kämpfte sich der FCSG, für den seit dieser Saison ein gewisser Hugo Vandermersch die Schuhe schnürt, näher an den Ausgleich, doch nach gut 70 gespielten Minuten schien der FCB mit dem 0:2 den Deckel drauf gemacht zu haben. Doch wenig später erzielten die Hausherren erst den Anschluss, ehe eine Ecke drei Minuten vor Ablauf der regulären Spielzeit den umjubelten Ausgleich erbrachte. Wenig später ertönte der Schlusspfiff, der die Hausherren deutlich lauter jubeln ließ als die etwas bedröppelten Gäste.
Es waren die letzten Momente eines wahrlich unfassbaren Abends, der mit dem abschließenden Gang zurück zum Bahnhof Winkeln sein Ende fand. Dachten wir zumindest, denn just beim Eintreffen auf dem Bahnsteig schlossen sich die Türen der Bahn, der wir kurz darauf in der dunklen Kälte hinterherschauten. Mist, aber die nächste kommt ja in 20 Minuten. Allerdings wollte uns die plötzlich hektisch werdende Schmier nicht hier stehen haben und schickte uns, gemeinsam mit einigen weiteren gerade eintrudelten Heimfans, in den durch verkleidete Bauzäune abgesperrten Hinterhof eines Mehrfamilienhauses. Denn wenig später marschierten die Gäste zurück zu ihren beiden Extrazüge, wofür der kleine Bahnhof kurzerhand gesperrt wurde. Und sicher sei es laut Auskunft der behelmten Einheit auch nicht, hier in der nächsten Stunde wegzukommen. Wenn alles gut ginge, könne man eventuell die nächste S-Bahn anhalten, aber versprechen könne man nichts.
Da standen wir nun, eingepfercht im Licht eines einzelnen Scheinwerfers des Hauses, der ebenso den Spielplatz in einem benachbarten Garten erhellte, ohne Möglichkeit in irgendeine Richtung nach Alternativen zu suchen. Also warten und hoffen, dass die Rot-Blauen fix die Züge besteigen. Nach 19 Minuten wurde es dann plötzlich wieder hektisch, das OK des einzelnen Polizisten zwang die Menge zum Vollsprint auf den Bahnsteig, an dem die eingefahrene S-Bahn für wenige Sekunden ihre Pforten öffnete. Geschafft! Um eine Erfahrung reicher ging es schließlich zurück ins Hotel, wo der lange und erfolgreiche Tag bei einem letzten Bierchen beendet wurde.