Challenger Pro League: RAAL La Louvière – Lommel SK

24.11.2024
12. Spieltag Challenger Pro League
RAAL La Louvière - Lommel SK
Stade du Tivoli
Endergebnis: 5:1 (2:1)
Zuschauer: 2.500 (80 Gäste)
Ticket: 18€
Fotoalbum

Wenn man schonmal im Westen ist, liegt das geliebte Land der Fritten und des guten Bieres bekanntlich in nicht allzu weiter Ferne. Allerdings hätte ich den Plan besser mit meinem Altstadt-Ich der Nacht zuvor geteilt, denn so schien die Sonne erbarmungslos früh durch die lichten Vorhänge unseres Hotelzimmers und zerrte mich unsanft aus dem Land der Träume. Doch der Kater hielt zum Glück nicht lange und das Frühstück in der überfüllten Lobby brachte fix neuen Schwung in den Körper, sodass es wenig später über freie Autobahnen und unter strahlendem Sonnenschein bei fast 20(!) Grad gen Grenze ging. Zunächst durch den südlichsten Zipfel Hollands getourt, dort fix bei einem Albert Heijn den Kofferraum mit Leckereien vollgeladen, ehe uns bereits die Wallonie begrüßte.

Ziel des Tages sollte La Louvière und somit die zweite Liga Belgiens sein, nicht zuletzt aufgrund der derzeit grandiosen Form der Fanszene als auch des Neubaus, der den traditionsreichen Tivoli voraussichtlich 2025 ersetzen wird. Daher einige Kilometer über die einzig einigermaßen schlaglochfreie Autobahn gebrettert, sowohl Lüttich als auch Charleroi hinter uns gelassen und schließlich die Straßen der Industriestadt erreicht. Schön ist anders, einen Tag hier aushalten könnte man nicht. Die aneinandergereihten Backsteinhäuser versprühten ganz schöne Insel-Vibes, während die großen Schornsteine zwischen den Bahngleisen unweit der Stadtgrenze auch am Sonntag gehörig dampften. Das eigene Gefährt fand einen Stellplatz in einer Sackgasse eines angrenzenden Wohngebiets, ehe wir per Pedes gen Spielort aufbrachen.

Wenig los, alle Läden waren verrammelt, sogar eine Frituur suchten wir vergebens. Da liegt der Hund noch vergrabener als im benachbarten Charleroi, wobei die Parallelen beim Straßenbild nicht aufhörten. Rau und ehrlich wirkten die Gassen und die Menschen darauf, die allesamt ein Ziel hatten: Das Stade du Tivoli, dessen Flutlichtmasten bereits von Weitem den Weg zu den, Mitten im Wohngebiet gelegenen, Traversen signalisierten. Eine Ecke noch, dann lag es vor uns. Die Bude, die bereits seit 1972 an gleicher Stelle ihr Dasein fristet und seitdem nur sporadische Pinselstriche erfuhr. Doch der Dreck ist stärker, die Farbe größtenteils verblichen und der Rost nagt an allem. Ein Traum für jeden Stadionromantiker, allerdings merkte man schnell, dass hier nicht mehr viel in Sachen Profifußball gehen wird.

Und so zieht auch bereits die Moderne in die runter gerockte Bude ein, denn Tageskassen existieren nicht mehr. Alles nur noch Online und personalisiert, weshalb auch wir in der Vorwoche die Karten für die Haupttribüne aus dem heimischen Drucker zogen. Erfreulich schnell und unkompliziert dagegen der Einlass, ehe wir ein bisschen im Umlauf rumlungerten, am Fanshop einen Schal einsackten und die gemütliche Buvette testeten. Ein frittierter Burger und die mittelmäßigsten Fritten des Landes wanderten für wenige Taler in den Schlund, während in Sachen Bierangebot lediglich der örtliche Sponsor der Liga die Zapfhähne bevölkerte. Dann lieber so eine knuffige Flasche Fanta.

Etwa zehn Minuten vor Anpfiff enterte schließlich die heimische Szene den Umlauf, weshalb wir uns erwartungsvoll in Richtung Block F der Haupttribüne begaben. Keine Kontrollen und freie Platzwahl, so lob ich mir das! Und auch von Innen war das Stadion was ganz besonderes. Angefangen bei der gemauerten Haupttribüne samt ihrem tiefen Dach, auf der heute noch Holzplanken mit aufgemalten Nummern den Zuschauern dienen, über die beiden überdachten Kurven hinter den Toren bis hin zur Gegengeraden, deren Stahlrohrkonstruktion auf die alten Stufen der ehemals nicht überdachten Seite aufgesetzt wurden. Gleiches tat man mit einem kleinen Sitzblock im Gästeblock, anscheinend waren Sitze im weiten Rund hier Mangelware.

12.500 finden noch heute offiziell Platz im Tivoli, während der Rekord von 18.000 vom Eröffnungsspiel gegen Charleroi 1972 wohl auf Ewigkeit Bestand haben wird. Denn die Kräne hinter der Gegengeraden, die bereits fleißig am Neubau mit knapp unter 9.000 Plätzen werkeln, stehen da wie stumme Henker über dem alten Tivoli, der anschließend in weiten Teilen abgerissen wird. Schade um die schönen Kurven samt Wandbildern der Szene, aber ein unausweichlicher Schritt, sofern RAAL wieder eine große Nummer im belgischen Fussball werden will.

Wobei es fast schon einem Wunder gleicht, dass der Club überhaupt noch gegen den Ball treten darf, wenn man auf die komplexe und verworrene Geschichte der grün-weißen Wölfe blickt, deren Detailbetrachtung locker eine Dissertation rechtfertigen würde. Ursprünglich 1913 als A.A. Louviéroise gegründet (das R für „Royal“ erhielt/erhält jeder nach 25 bzw. 50 Jahren existierender Verein), kickten „Les Loups“, also die Wölfe, viele Jahre im Ober- und Unterhaus, gewannen 2003 den Pokal, drei Mal die zweite Liga und feierten ein kurzes, internationales Intermezzo gegen Benfica Lissabon. Auf die Verwicklung in einen Wettskandal folgte wenig später der Abstieg bis in die Drittklassigkeit, ehe im Jahr 2009 der Club zunächst von der Bildfläche verschwand und aufgelöst wurde. Die Überreste wurden mit dem benachbarten Verein RACS Couillet aus Charleroi zu Football Couillet-La Louvière fusioniert, der fortan in La Louvière an den Start ging und auch den Tivoli bespielte, wobei diese Liaison ganze zwei Jahre standhaft blieb.

In 2011 nannte sich nämlich der von der ganzen Sache unbeteiligte URS du Center in UR La Louvière Centre um, gab sich ebenfalls die Farben Grün und Weiß, malte sich einen Wolf ins Logo und stellte den Nachfolgeanspruch an den Traditionsverein, weshalb Football Couillet-La Louvière zurück nach Couillet, einem Stadtteil von Charleroi, zog und sich fortan FC Charleroi nannte. 2014 erfolgte die nächste Umbenennung, dieses Mal in Racing Charleroi-Couillet-Fleurus. Erst 2017, also 8 Jahre nach der Auflösung des ursprünglichen Vereins, zog der neue, alte Club zurück nach La Louvière, auch weil UR La Louvière Centre nie als Nachfolger des Traditionsvereins angesehen wurde. Seitdem lautet der Name RAAL La Louvière, inklusive Namens-Dopplung à la Hertha BSC Berlin (Royal Association Athlétique Louviéroise La Louvière). Fortan kehrte auch die Fanszene zurück und wurde Zeuge des steilen Aufstiegs aus der fünften Spielklasse bis ins Unterhaus, in dem der offizielle Nachfolgeverein in dieser Saison erstmalig an den Start geht – und selbige sportlich auf den Kopf stellt.

Bewegende Geschichte eines Vereins, wobei ich etliche Details wie die ganze Sache mit den Matrikel-Nummern noch nicht mal erwähnte. Lest euch da mal bei Interesse im Netz ein, denn das erklärt das belgische Vereins-Geschiebe in vielen Regionen, würde an dieser Stelle den Rahmen aber vollends sprengen. Immerhin das Panorama aus Plattenbauten blieb aus der Zeit in Charleroi erhalten und prägt den alten als auch neuen Tivoli weiterhin. Immerhin positiv, dass der Neubau nicht irgendwo ins Industriegebiet oder an die Stadtgrenze wandert. Gut gefüllt waren unterdessen die Ränge der Haupt- und Gegentribüne, während die ursprüngliche Heimkurve, wie üblich, komplett verwaist blieb.

Im Gästeblock fanden sich derweilen gut 80 Schlachtenbummler aus dem unweit von der niederländischen Grenze entfernten Lommel ein, die eine Handvoll quadratischer Fahnen anflaggten und sich zu einem kompakten Haufen zusammenrotteten. Gut 50 Leute hatten davon Bock auf Support und zeigten anfangs die gesamte Bandbreite der im nördlichen Nachbarland als auch auf der Insel gängigen Chants, die zumindest in den ersten, fünfzehn Minuten eine ordentliche Lautstärke erreichten. Doch spätestens mit dem sportlichen Ausgleich war früh die Luft raus und der Support driftete komplett ins sporadische ab. Aber Hauptsache „Let’s go fucking mental“ intonieren, nur um im Anschluss einfach rumzustehen.

Die gegensätzlichen Supportstile zwischen Flandern und Wallonie sind für mich ähnlich beeindruckend wie manch internationale Schlachten unter der Woche, denn was die Jungs auf der Gegengeraden rund um die Boys 2005 und Wolf Side Ultras 1981 da ablieferten, war einfach grandios. Erst fünf Minuten vor Anpfiff den Block bezogen, während des Einlaufens der Mannschaften in Seelenruhe, aber streng geordnet, Zaunfahnen aufgehangen und Schwenkfahnen zusammengebaut, legte der stattliche Mob im Anschluss einen unfassbar starken Auftritt hin. Beständig wehte das Tifo-Material in der Luft, während französische Silben auf italienische Klänge den Nachmittagshimmel erfüllten.

Lange wurden die Lieder gezogen, worunter dennoch nie die Lautstärke litt. Traumhaft die Trommelklänge, die von langsam-melodisch bis Affenzahn das gesamte Spektrum abdeckten. Ständig reckte der Mob die Arme in die Höhe oder legte sie auf die Schultern des Nebenmanns, um mit geschlossenen Sprungeinlagen komplett freizudrehen. Leidenschaftlich die Torjubel, während jedes Besingen des eigenen Vereins, der über 8 Jahre aus La Louvière verschwand, auf unserer Seite Gänsehaut verursachte. Mentalita’ Ultra in Reinform, wie ich sie in Belgien noch nie erlebte. Vielleicht nicht die große Masse wie andernorts. Aber mehr als ehrlich für den eigenen, kleinen Club unterwegs. Wer die Chance bekommt, den Anhang der Wölfe in der aktuellen Form zu sehen – nichts wie hin!

Hier gibt’s weitere Bilder!

Denn auch sportlich könnte RAAL in der nicht allzu fernen Zukunft wieder eine größere Nummer werden, steht der Aufsteiger aus der dritten Liga doch recht konstant in der Spitzengruppe der Challenge League. So auch zum Spitzenspiel zwischen den drittplatzierten Hausherren und dem Viertplatzierten, der früh in Führung ging, dann aber von gnadenlos effizienten Hausherren überrollt wurde. 5:1 am Ende der niemals gefährdete Sieg für RAAL, der derzeit den zweiten Tabellenplatz bedeutet – punktgleich mit dem Ersten. Lautstark und lang daher auch die Feier des Anhangs mit der Mannschaft, die noch weit im dunklen Wohngebiet hörbar unseren anschließenden Rückweg zum Auto begleitete. Wirklich eine tolle Erfahrung, denn selten wurden wir in Belgien dermaßen positiv von einer Szene überrascht. In der Euphorie wurden die restlichen vier Stunden bis Frankfurt an einem Stück abgerissen. Perfektes Wochenende insgesamt!

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