14.07.2024
23. Spieltag J1 League
Yokohama F. Marinos - Kashima Antlers
International Stadium Yokohama
Endergebnis: 4:1 (1:1)
Zuschauer: 31.463 (ca. 8.000 Gäste)
Ticket: 4.200¥ (~24,50€)
Fotoalbum
Sonntag stand bereits der letzte volle Tag des Trips an, der uns noch einmal, nicht zuletzt aufgrund des angepeilten Kicks am Abend, in eine neue Stadt führen sollte: Yokohama, in Sachen Einwohnern immerhin die zweitgrößte Japans. Entsprechend ging es bereits am Vormittag zum nahen Bahnhof Shinbashi, von wo uns eine der unzähligen JR-Linien in einer guten halben Stunde bis zum Hauptbahnhof von Yokohama verfrachtete. Dort zunächst einige Malls erkundet, streiften wir wenig später durchs angrenzende Viertel namens Minato Mirai, dem in den 1980er entwickelten, hochmodernen Geschäftszentrum der Stadt. Hier schien alles auf Hochglanz poliert und erinnerte so gar nicht an Tokyo mit seinen engen Gassen, während die Straßen ebenso nicht wirklich vor Leben strotzten.
Aber ganz ehrlich: Nach dem Trubel der vergangenen Wochen genossen wir die Ruhe dann doch sehr. Entsprechend fix in einem Yoshinoya einen Happen gegessen und ein wenig das Viertel erkundet, stets mit dem ikonischen Landmark Tower im Blick, der in vielen Fällen das Orientieren erleichterte. Zudem passte das Wetter mal so einigermaßen, während ebenso Zeit für ein paar letzte Besorgungen blieb, die, nach kurzer Metrofahrt, letztlich in ein Schließfach im Bahnhof Shin-Yokohama wanderten. Unspektakulärer Tag insgesamt und mal wieder nur ganz grob an der Oberfläche gekratzt, doch irgendwann lässt die Birne nach den proppenvollen zwei Wochen auch keine neuen Eindrücke mehr zu.
Vorfreude auf den abendlichen Blick verspürten wir beim Fußmarsch zur Spielstätte dennoch zu genüge, wurde das Spiel doch als Klassiker der J League beworben. Die Yokohama Marinos gegen die Kashima Antlers, oder auch das Duell der beiden erfolgreichsten Vereine der letzten Jahre. Da packte der Heimverein selbstverständlich die ganz große Bude als Austragungsort aus, die aktuell nicht (mehr) zu jedem Ligaspiel eine rollende Kugel zu Gesicht bekommt. Vor allem gegen die Kleineren geht’s häufig nach Mitsuzawa. Steht zwar ebenso auf der eigenen Endlos-Liste japanischer top Grounds, doch die größte Bude des Landes versprühte natürlich den größten Reiz. Somit konnte uns auch der längere Fußmarsch, der in der subtropischen Schwüle ordentlich an der Substanz zehrte, wenig anhaben. Trotzdem: Das nächste Mal schlagen wir hier im Frühjahr oder Herbst auf, so viel stand bereits zu diesem Zeitpunkt fest…
Viel los bereits im kurz darauf erreichten Stadionumfeld, wo den zahlreichen Familien nicht nur etliche Verpflegungsstände zur Auswahl standen, sondern auch gleich eine ganze Armee an Plastikstühlen. Hatte ein wenig was von einer großen Gartenparty, während auf einer kleinen Bühne eine Band ein paar Lieder trällerte. Ein ausgelassenes Familien-Event ist Fussball hier eben, zumindest für den Großteil der Zuschauer. Auch aufgrund der langen Schlangen an der unfassbar starken Futterauswahl zog es uns recht früh hinein in die Bude, wo die Besorgung von ein paar Happen um einiges fixer von statten gehen sollte. Zunächst den Oberrang erklommen, wanderten wenig später ein paar Yen für Eis, Karaage und Takoyaki über den Tresen. Preislich absolut in Ordnung, geschmacklich leider nur Mittelfeld. Das konnten einige der zuvor besuchten Vereine um Welten besser.
Doch der Star des Abends war wiedermal die Bude selbst, die wir von unseren Plätzen unweit der Mittellinie in vollem Umfang bestaunen durften. Massiv wirkten die beiden Ränge, die sich im weiten Bogen um Rasen und Laufbahn ziehen und dabei 72.327 Plätze bieten – die mit weitem Abstand größte Kapazität des Landes. Eine gigantische Schüssel, die bereits vier Jahre nach ihrem Bau zum Schauplatz des WM-Finals 2002 wurde – in dem bekanntlich Ronaldo mit seinen zwei Buden Deutschland eine bittere Niederlage zufügte. Von der erfolgreichsten Zahnlücke Südamerikas fehlte an diesem Abend zwar jede Spur, dafür sorgten die beiden Kurven beim Warmmachen der Kicker bereits für beste Unterhaltung, ganz frei von lästigen Begleiterscheinungen wie Werbung oder Musik über die Lautsprecher. Und wiedermal beeindruckte die große Masse an Gästefans, die die 130 Kilometer auf einen Sonntagabend quer durch Tokyo abrissen. Unter drei Stunden nicht zu schaffen, egal ob mit Auto oder Bahn.
Aber dazu später mehr, denn die Bühne gehört zunächst den Hausherren, die im japanischen Fussball eine spezielle Rolle einnehmen. Wie unschwer am mit einem Sponsorennamen versehenen Stadion zu erkennen, steckt seit Gründung im Jahr 1972 der Automobilhersteller Nissan hinter dem Club, der als Nissan FC startete und recht erfolgreich in der damaligen Werksliga kickte. Drei Meistertitel und acht Pokalsiege verhalfen dem Verein zum Status eines Gründungsmitglieds der J League, wofür man sich, wie auch überall sonst üblich, neu gründete. Fortan symbolisierte der Beiname „Marinos“ nicht nur die Tradition als Hafenstadt, wie auch unschwer am Anker auf dem Wappen zu erkennen, sondern sollte ebenso auf den gewünschten, argentinischen Flair des Fußballstils hinweisen.
So weit so gewöhnlich, wäre da nicht die Fusion mit dem Stadtrivalen Ende der 90er Jahre. Der konnte bereits 1964 als sein Gründungsjahr unter dem Namen Naka-ku Boy’s Sports Organization benennen, ehe bedingt durch den sportlichen Aufschwung die Airline ANA mit einstieg. Ebenso zu Beginn der Professionalisierung des japanischen Fußballs folgte auch hier die Umbenennung des Clubs, wenig überraschend in Anlehnung an den damaligen Sponsor: Die Geburtsstunde der Yokohama Flügels. Es folgten viele Derbys mit den Marinos, ehe finanzielle Turbulenzen aufgrund eines Sponsorenausstiegs die Flügels beutelten. Es kam zu einem Treffen von ANA mit Nissan, an dessen Ende durch die Eigentümer die Fusion beider Rivalen beschlossen wurde.
Seitdem ziert das „F“ den Vereinsnamen der Yokohama F. Marinos, wobei dies das einzige Überbleibsel der einstig zweiten Macht Yokohamas bleiben sollte. Denn aus der Fusion wurde schnell eine Übernahme, die Flügels somit sämtlicher Identität beraubt. Deren Anhang entschied sich bereits 1999, nachdem am Neujahrstag ihr alter Club in seinem letzten Spiel noch einmal den Pokalsieg holte, zur Gründung eines Phönix-Clubs, anstelle der Unterstützung des Fusionsvereins. Seitdem tritt der Yokohama FC in die Fußstapfen der Flügels, und das mit gar nicht mal so geringem Erfolg, klappten doch zwischenzeitlich einige Spielzeiten im Oberhaus. Währenddessen eilten die Marinos, auch bedingt durch den Einstieg der City-Group 2014, von Erfolg zu Erfolg. Mit fünf Meistertiteln und ebenso vielen Pokalsiegen seit Neugründung zählen die, in Anlehnung an Matrosenuniformen, Blau-Weiß-Roten zu den national stärksten Clubs, wobei der letzte Titel in der Liga nun auch schon ein paar Jahre her ist.
Diese Saison lief es ebenso nicht wirklich rund, denn vor der Partie konnte lediglich Platz 14 auf der Tabelle präsentiert werden. Hinterließ zum Glück beim Publikum keinen allzu großen Effekt, zeigten sich die großen Traversen doch beinahe zur Hälfte gefüllt – eine für hiesige Verhältnisse starke Kulisse! Und es sollte mal wieder viel geboten werden, denn allein das Event vor Anpfiff stellte so einige internationale Finals in den Schatten. Erst ein komplett abgedunkeltes Stadion, lediglich erleuchtet von den tausenden Leuchtstäben der Heimfans in deren Vereinsfarben, dann die Verlesung der Aufstellung unter lauten „Hey“-Rufen und schwingenden Leuchtstäben, ehe zum Vereinssong lediglich das Herz der Kurve von einigen wenigen Strahlern erhellt wurde. Die Melodie von „Do you hear the people sing?“ des Klassikers „Les Misérables“ diente dafür als Vorbild und ging direkt in die Gehörgänge. Sehr geile Töne im Stadion!
Danach wurde es wieder dunkel und ein Orchester stimmte einige weitere Töne an, ehe die Mannschaften in Richtung des erleuchteten Mittelkreises marschierten – so ein Tamtam ist schon einzigartig. Abseits dessen hinterließen aber auch beide Kurven ordentlich Eindruck, allen voran die der Marinos, die wir bereits eine Woche zuvor auswärts bei Gamba zu Gesicht bekamen. Die Clubvorgabe „Argentinien“ setzte man auf alle Fälle optisch vollends um. Neben den lediglich zehn Zaunfahnen, die dafür gigantische Ausmaße einnahmen (und selbstredend häufig auf Spanisch verfasst wurden), wurden ebenso farbige Bänder durch den Unterrang gespannt, während hier und da auch Trompetenklänge die halbe Marschkapelle ergänzten. Der Fetzen „Pride in Tricolor“ hängt übrigens in nahezu gleichem Stil bei den Suwon Bluewings aus Südkorea.
Laut wurde es ebenso, zumal neben dem gesamten Unterrang oftmals auch Oberrang sowie Teile unserer Gegengeraden mitgenommen werden konnten – in Sachen Quote absolute Spitze des bisherigen Trips, im Verhältnis zum sonst eher passiven Tribünenpublikum anderswo. Richtig schön melodisch waren auch die Gesänge samt Armbewegungen im Takt, die vor allem gegen Ende die Füße häufig mitwippen ließen. Vieles davon hörten wir gar zum ersten Mal, während sich auch ein paar Klassiker aus heimischen Breitengraden einmischten. Auch wenn durch die komplexeren Texte nur selten die ganz große Lautstärke erreicht wurde, waren die Blau-Weiß-Roten doch kontinuierlich bei der Sache. Spitzen Auftritt aus unserer Perspektive!
Den gänzlich gegenteiligen Supportstil fanden wir bei den gut 8.000 Gästen aus Kashima vor. Optisch mit langen Zaunfahnen sowie unzähligen Schwenkern zwar ein recht ähnliches Bild, dass durch eine Blockfahne mit der Aufschrift „Red Storm – The Heart of Zico“ (Ein großes „Spirit of Zico“-Banner hängt ebenso bei jedem Spiel, zu Ehren eben jenes brasilianischen Kickers, der in den 90ern für die Antlers kickte und derzeit erneut im Verein tätig ist) ergänzt wurde. Zusammen mit etlichen Doppelhaltern und der abdrehenden Meute dahinter ein richtig starkes Blockbild! Beim Support fuhren die Anhänger des Serienmeisters jedoch einen nie gehörten Stil: Wenige Melodien, dafür bei Drangphasen der eigenen Mannschaft beständige Klatscheinlagen samt kurzer „Hey!“ oder „Ohohoho“ Rufe. Schwer zu beschreiben, doch beeindruckte vor allem die wahnsinnige Geschlossenheit.
Durch diesen eher von Schlachtrufen geprägten Support, bei dem der komplette Unterrang und damit gut über die Hälfte der Gäste konstant mitzog, entstanden richtig kraftvolle Momente mit teils abartiger Lautstärke. Bisher der lauteste Gästeblock, den wir in Japan zu Gesicht bekamen. Doch irgendwann nutzten sich die immer gleichen 4-5 Melodien und Klatscheinlagen für den neutralen Zuhörer dann doch ab, auch wenn die völlige Abstinenz von Ansagen der Capos schwer imponierte. Zwei Trommelschläge und sämtliche der roten Schlachtenbummler war sofort am Start und reckte die Arme in die Höhe.
Doch zu feiern gab es im Klassiker überraschend wenig, und das obwohl Kashima nah an der Spitze gegen die jüngst in Gamba unter die Räder gekommenen Hausherren als klarer Favorit ins Rennen ging. Doch die Kicker von Trainer Harry Kewell (kurz nach unserer Abreise freigestellt) zeigten den Gästen vor allem in der zweiten Halbzeit wo der Hammer hängt und überrannten die Antlers letztlich mit einem klaren 4:1 in einem hochklassigen Spiel.
Lautstark somit die Feier der Kurve der Marinos, garniert mit der Aufforderung auf den Anzeigetafeln, die Sitzplätze doch bitte noch nicht zu verlassen (hielt sich auch fast jeder dran). Frust dagegen beim Anhang aus Kashima, der tatsächlich seine sich vor dem Block verbeugende Mannschaft auspfiff. Ein echter Tabubruch hier und mindestens gleichzusetzen mit der Aufforderung der Abgabe der Trikots in der Heimat. Unterm Strich nochmal ein richtiger Kracher zum Schluss: die größte Bude des Landes, zwei top Kurven inklusive massig Gästefans sowie ein für den neutralen Zuschauer höchst unterhaltsamer Kick. Kein Grund zu Meckern, bis auf die tropischen Temperaturen.
Entsprechend war die Freude über das Betreten der Station Shin-Yokohama gar nicht mal so gering und spätestens als die Plätze in der kühlen Mita-Line eingenommen wurden, war auch diese Welt wieder in Ordnung. Noch kurz vor Mitternacht einen Happen im nahen Family Mart eingenommen, ehe es für die letzte Nacht in die Federn ging. Immerhin für drei Stunden, ehe uns der Wecker aus den Träumen riss. Rest packen, dabei mit einem Auge die Finalniederlage der Engländer verfolgt und schließlich mit Schlusspfiff in Berlin mit jeweils zwei Koffern pro Nase aufgebrochen. Wieder ab nach Haneda, dieses Mal komplett in der Rushhour, allerdings mit massig Zeit auf der Uhr. Die wurde, nach erfolgreicher Abgabe des Reisegepäcks, für einen Besuch in der ANA Lounge am T2 genutzt, wo erstmal ein gutes Curry und Umeshu on the rocks als perfekte Frühstücks-Kombi auserkoren wurden. Geht auch nur im Urlaub, hehe. Dann ging’s auch schon in den bereitstehenden Dreamliner, der uns in rekordverdächtigen 14 Stunden via Alaska, Kanada und Island zurück nach Frankfurt brachte.
Alles in allem mal wieder ein absoluter top Trip, auf den wir uns zurecht seit mehr als fünf Jahren (danke Covid!) freuen durften. Sei es die grandiose Landschaft abseits der Städte, der wuselige Trubel in den Zentren, die astreine Kulinarik oder auch die phantastischen Melodien der Fankurven aus den wunderschönen Stadien – Japan gefällt immer wieder und wird uns mit Sicherheit in nicht allzu ferner Zukunft erneut begrüßen dürfen!