13.07.2024
23. Spieltag J1 League
FC Tokyo - Albirex Niigata
Japan National Stadium
Endergebnis: 2:0 (1:0)
Zuschauer: 57.885 (ca. 15.000 Gäste)
Ticket: 4.100¥ (~24€)
Fotoalbum
Nach gut eineinhalb Wochen in der Region Kansai, wie sich herausstellte natürlich viel zu kurz, ging es mittwochs für den Rest des Trips zurück nach Tokyo. Entsprechend früh morgens von der liebgewonnenen Bude im Herzen Osakas verabschiedet und mit erstaunlich leeren Bahnen samt Umstieg in die Monorail bis zum lokalen Flughafen Itami gegondelt, wo wir erneut Zeuge unfassbarer Effektivität wurden. Vom Check-In der Koffer bis zum Gate vergingen vielleicht fünf Minuten, ehe wir das übersichtliche aber schicke Terminal zwecks zweitem Frühstück erkundeten. Die Takoyaki staubten dabei gute Noten ab! Mit einer 787, also einem erneut typischen Kurzstreckenflieger, ging es die dreiviertel Stunde inklusive Blick auf den Fuji nach Haneda, nette Aussicht über die gesamte Küstenregion Tokyos während des Landeanflugs inklusive.
Anschließend fix das Reisegepäck eingesammelt und mit der Metro bis in die Region um Shinbashi gefahren, wo wir unsere Unterkunft für die letzten fünf Nächte namens LOF Hotel Shinbashi bezogen. Wie erwartet ein Mini-Zimmer, das gerade genug Platz für die stehende Unterbringung des Reisegepäcks bot, dafür aber mit einem tollen Blick auf den Tokyo Tower aufwartete. Zumindest noch, denn einen knappen halben Meter vom Fenster entfernt wuchs bereits ein neues Hochhaus in die Höhe, sodass wir allmorgendlich von den direkt neben uns werkelnden Bauarbeitern geweckt wurden. Dann hat man auch was vom Tag, so die halbwegs positive Aussicht auf die bevorstehenden, kurzen Nächte. In Gänze aber eine schicke Unterkunft samt kleiner Lobby im zwölften und somit höchsten Stock, wo endlich der lange ersehnte, gute Kaffee auf uns wartete. Mit Costa macht man eben auch in Asien nix falsch.
Den restlichen Mittwoch schlenderten wir ein wenig durch das am Tag recht verschlafene Shinbashi, liefen die teuren Straßen voller Edelmarken in Ginza ab und erblickten das schicke Backstein-Hauptgebäude des Hauptbahnhofs, dessen unfassbar großes, unterirdisches Labyrinth aus Gängen und Wegen uns so einige Male überforderte. Dort erstanden wir ebenso 72-Stunden-Tickets für die Metro für je 1.500¥, die in den folgenden Tagen reichlich genutzt werden sollten. Danach ging’s weiter nach Shinjuku, wo erneut unsere Reisegruppe zwecks Abendessen vervollständigt wurde. Rinderzunge, frisch vom Grill, unfassbar gut! Eine anschließende, nächtliche Runde durch Kabukicho, wahrscheinlich DEM bekanntesten Nachtviertel Japans, das verrückter nicht sein könnte, musste natürlich ebenso sein. So viele Lichter, so viel Lärm, so viel zu sehen.
Von den aufgebrezelten und verkleideten Hostessen, die um Kundschaft buhlen, über ausgelassene oder bereits stockbesoffen feiernde Japaner, deren Anblick allein schon mehr als ungewöhnlich ist, bis hin zu den dunklen Seitenstraßen, in denen dann doch so einige dunkle Gestalten ihre großflächigen Tattoos offen zur schau stellten. Ich mag das Viertel einfach und es ist jedes Mal ein Pflichtbesuch, wenn wir durch die Metropole wandern. Ein großes Programm dachten wir uns auch für die kommenden Tage nicht wirklich aus, sondern beschlossen einfach ein kleines Best-Of des letzten Trips abzureißen und dabei hier und da ein paar Ecken neu zu entdecken. Entsprechend Donnerstags vom Hotel per Pedes zum Tokyo Tower gestiefelt, anschließend zum berühmten Tempel von Asakusa samt feinster Portion Udon in einem lokalen Laden, danach die dystopische Bahnhofsgegend von Ueno erkundet sowie die gigantischen Lotusfelder des Shinobazuno Pond betrachtet.
Um auf den täglichen Schnitt von über 17 Kilometer zu kommen liefen wir anschließend weiter nach Akihabara, einer einmaligen Agglomeration von allem, was irgendwo etwas mit japanischer Popkultur zu tun hat, seien es die Themen Jpop, Animes oder irgendwelche Spiele. Von letzterem Themengebiet machten wir Gebrauch und erstanden für wenige Yen ein Pokemon-Spiel für den ganz alten Gameboy. Weckt noch heute Erinnerungen an die Jugend! Abends dann erneut nach Shinjuku, wo wir irgendwann in einem Laden namens Beer Bomb versackten. Daumen hoch dafür! Freitags spielte das Wetter nicht so recht mit, weshalb uns der dichte Dauerregen erneut zur Tokyo Station führte und uns die Chance für ein paar Erledigungen gab.
Nachmittags ging’s nach Roppongi, wo mit dem TeamLab ein eindrucksvolles Museum für digitale Kunst besucht wurde. Langweilt vielleicht den ein oder anderen, uns gefielen die drei Stunden dort aber richtig gut. Für den Abend ging’s in die Kette Ootoya, ehe wir in Ebisu mit dem TBE Brewing einen echten Glücksgriff in Sachen Kneipe erwischten. Sehr versteckt durch einen Hauseingang den zweiten Stock erreicht und ein richtig gemütliches Etablissement mit nettem Wirt vorgefunden, der sich hier und da in die Runden gesellten. Einzig die Uhr beendete irgendwann den Spaß, fährt hier pünktlich ab Mitternacht doch keinerlei öffentlicher Nahverkehr mehr, während Taxis in Tokyo zu den teuersten Verkehrsmitteln der Welt zählen.
Dann brach auch schon der Samstag an und mit ihm unser letzter Tag in der japanischen Hauptstadt. Im Endeffekt mit ihren 39 Millionen Einwohnern in der Metropolregion viel zu groß um sich selbst nach mehreren Monaten auch nur anmaßen zu können, hier jedes Viertel auch nur ansatzweise erkundet zu haben. Für das Herz der Stadt, also Tokyo selbst, reichen jedoch ein paar Tage zumindest für einen groben Überblick, doch selbst nach dem zweiten Besuch innerhalb einiger Jahre wurden wir das Gefühl nie los, doch nur im Dunkeln zu stochern. So auch am Vormittag, wo wir mit Shibuya samt berühmter Kreuzung erneut eines der bekanntesten Viertel besuchten und so einige Yen in einem Don Quijote, einer gigantischen Kette mit Läden gerne mal über zehn oder mehr Stockwerke, die wirklich alles verkauft, ließen. Mit ordentlich Gepäck weiter nach Shinjuku und mit dem Bankara das absolute Lieblingsrestaurant in Sachen Tsukemen besucht, ehe eine letzte Runde durch das alternative Viertel rund um Omote-Sando den erneut heißen Mittag beendete.
Die Sachen fix im Hotelzimmer abgestellt, führte uns die nächste Etappe in Richtung Nationalstadion in Sendagaya, erfreulicherweise Spielstätte der heutigen Partie, für die im Vorfeld ordentlich die Werbetrommel gerührt wurde. Denn eigentlich kickt der FC Tokyo im westlichen Stadtteil Chofu im Ajinomoto Stadion, weicht in dieser Saison allerdings für einige Partien in die zweitgrößte Bude des Landes aus. Machen einige der rund um Tokyo ansässigen Vereine, ein bestimmtest Muster lässt sich aber nicht erkennen. Entsprechend groß die Freude, als wir bereits im Frühjahr von der zufällig gerade dieses Spiel betreffenden Verlegung erfuhren, wird das Nationalstadion zumeist nur für die immer ausverkauften Nationalspiele als auch für Pokalendspiele bespielt. Zwecks Anreise ging es somit via Oedo-Line bis zur Haltestelle Kokuritsu-Kyogijo, deren Ausgang direkt am Fuße des Stadions liegt und entsprechend mit einer langen Schlange zu eben jener Rolltreppe versehen war.
Richtig viel los war auch im direkten Umfeld, ehe wir die holzvertäfelte und begrünte Fassade der gigantischen Schüssel erblickten. Fix ging es durch die Kontrollen und ebenfalls mittels Rolltreppe hinauf in den Oberrang der Gegengerade, wo neben so ulkigen Sachen wie nicht abgesicherte Stellplätze für Kinderwägen leider eines fehlte: Der Fanshop. Für den mussten wir über die Treppen nochmal ganz hinunter und unter schmierigen, sprich nicht klimatisierten Bedingungen eine halbe Ewigkeit zwecks Schalkauf anstehen. Hätten wir mal lieber vorher auf den Plan geschaut, dann bliebe auch der folgende recht hektische Aufstieg zurück auf unsere Plätze erspart. Gerade rechtzeitig zum Start der ausufernden Eröffnungsfeier, für ein gewöhnliches Ligaspiel zweier Teams in der unteren Tabellenhälfte wohl gemerkt, die perfekt mittig gelegenen Sitze bezogen, ehe die Show unter abgedunkelten Scheinwerfern startete.
Erst eine anscheinend bekannte Sängerin mit kleinem Konzert, dann wurde in Sachen Pyrotechnik am Spielfeldrand richtig dick aufgefahren. Laut knallendes Feuerwerk, rote und blaue Flammen in Vereinsfarbe, Rauch und noch mehr Feuer, dessen Wärme wir eigentlich bei den vorherrschenden Temperaturen nur ungern verspüren wollten. Fast mehr Event als bei manch Eröffnungsfeier einer EM, aber die Leute hier schienen es zu lieben. Für uns war der Star unterdessen der Veranstaltungsort selbst, denn die drei Ränge des großen Runds machten schon einen richtig starken Eindruck. Wenig überraschend bei Eröffnung Ende 2019 wirkte alles noch glänzend neu, während vor allem das hölzerne Dach einen äußerst edlen Anschein erweckte. Erbaut eigentlich für die olympischen Spiele 2020, zu denen es bekanntlich kein Zuschauer auf einen der 67.750 Plätze schaffte, trägt in dieser Saison der FC Tokyo ein gutes Viertel seiner Heimspiele hier aus.
Ein Verein, der zumindest bei uns lange unter dem Radar flog, bietet der Großraum rund um die Hauptstadt doch eine ganze Menge vermeintlicher interessanterer Vereine mit starker Identifikation zur jeweiligen Vorstadt, wie z.B. Kawasaki, Yokohama, Urawa oder Kashiwa, um mal ein paar zu nennen. Doch der FC Tokyo? Da schwebte stets die 2017 getroffene Vermutung im Raum, dass dort nicht wirklich viel los sei. Halbwahrheiten, wie man nun erfahren durfte. Denn damals blickten wir nur auf die Tatsache, dass es sich beim FC Tokyo mit Gründungsjahr 1998 um den jüngsten Club der J League handelt und vermuteten einen gekünstelten Hauptstadtclub. Dass der Ursprungsverein, der Tokyo Gas FC (großes Unternehmen für Gas, aus dem auch die Automarke Isuzu hervorging), bereits in 1935 zum ersten Mal gegen die Kugel trat und damit wiederum zu den ältesten Clubs des Landes gehört, erfuhren wir erst deutlich später.
Allerdings kickten die Mitarbeiter damals nicht sonderlich erfolgreich, traten für viele Jahrzehnte nur in der städtischen Liga an und schafften erst 1986 den Aufstieg in eine Präfekturliga, ähnlich der heimischen Oberliga. Dann ging alles fix: 1991 Drittligist, das Jahr darauf im Unterhaus, ehe just nach der Umbenennung in den heutigen Namen in 1999 der erstmalige Gang in die höchste Spielklasse angetreten wurde. Auch beim Clubnamen ging man andere Wege: Statt sich der üblichen „Europäisierung“ durch das Hinzufügen eines weiteren Wortes hinzugeben, wählten die Verantwortlichen der Blau-Roten den simplen Namen. Man wollte „echt“ wirken um sich im großen Dschungel der Vereine im Großraum der Metropole besser zu positionieren. Für ganz oben in der Liga reichte es zwar bisher noch nicht, doch zieren unter anderem vier Pokalsiege sowie ein Meistertitel aus dem Ausrutscher-Zweitligajahr 2011 den Trophäenschrank der Hauptstädter.
Und für das Thema Fangemeinde vertrauen wir auch viel lieber unseren eigenen Augen als irgendwelchen Meinungen im Web, denen man vor etlichen Jahren Glauben schenkte. Nur dauerte es ein wenig, bis der Funke der Kurve des FC Tokyo so richtig auf uns überspringen wollte. Optisch mit durchweg selbstgemalten Bannern, streng nach argentinischem Vorbild, dazu gespannten Bändern und einigen Schwenkern im Herzen des Mobs absolut ansehnlich, keine Frage. Doch die schiefste jemals gehörte Intonation des Klassikers „You’ll never walk alone“ war schlichtweg fürchterlich und wurde zurecht von den zahlreichen Gästen radikal niedergebuht. Immerhin riss es die Kurve mit dem Spielsupport nochmal etwas raus, denn die melodischen Klänge zu harten Trommelschlägen versetzte vor allem den aktiven Unterrang durchweg in Bewegung, sei es durch Sprungeinlagen oder eben rhythmische Armbewegungen während des Supports.
Zudem setzte „El Ciclon de Tokyo“, wie sich die Hauptgruppe hier nennt, vermehrt auf Schlachtrufe, während einige Gassenhauer, wie der zur Melodie zu Sinatras „I love you baby“, mehrfache Runden drehten. Im ersten Durchgang alles noch unter angezogener Handbremse, so zumindest unser Eindruck. Zu gute Halten muss man den Rot-Blauen jedoch ein Heimspiel in der Ferne, liegt das Nationalstadion doch gute 20 Kilometer vom eigenen Stadion entfernt. Zudem dürfte die weitläufige Bude für die insgesamt respektable Anzahl Sangeswilliger unter den bestimmt zahlreichen Eventfans nicht unbedingt ideale Gegebenheiten in Sachen Akustik geliefert haben, auch wenn in den letzten 20 Minuten diese These widerlegt werden konnte. Denn mit entsprechendem Spielverlauf verwandelte sich „El Ciclon“ wahrlich in einem Orkan aus lauten Gesängen, die unseren finalen Eindruck immens in die positive Richtung drückten. Muss man vielleicht mal in der eigentlichen Heimat gesehen haben, denn die Mischung aus Klatschrhythmen und südamerikanischen Klängen konnte schon einiges! Nur das YNWA bitte ganz schnell streichen…
Auf der anderen Seite der für Japan utopischen Kulisse von knapp 58.000 bei einem Ligaduell zweier Mittelfeldmannschaften stand eine für uns beinahe noch beeindruckendere Zahl: 15.000 Schwäne rissen die über 320 Kilometer einfache Strecke zum Ferienbeginn in die Hauptstadt ab – schlichtweg unfassbar. Klar, da dürften auch zahlreiche lokale Anhänger drunter gewesen sein, doch der Rückhalt durch die komplett in orange gekleideten Gäste war optisch im Stadion unübersehbar. Sämtliche der drei Ränge hinterm Tor waren dicht gefüllt, angeflaggt werden durfte allerdings nur im Unterrang. Auffällig hier: Eigentlich alle Zaunfahnen der Gruppen rund um „La Familia“ waren nicht nur von immenser Größe, sondern primär mit Sprüchen auf Englisch geziert, die zumeist das Thema Lokalpatriotismus aufgriffen.
Hat mitunter auch etwas mit dem Ostküsten/Westküsten-Denken zu tun, da insbesondere die eher dünn besiedelte Westküste abfällig als die abgewandte Seite Japans bezeichnet wird. Schweißt dann eben auch zusammen! Mit dabei hatte der Anhang zudem unzählige große Schwenker, die in weiten Teilen vertikal am vorderen Ende der Kurve geschwenkt wurden. Lediglich auf beiden Seiten des Mundlochs des Unterrangs wehten einige der Fetzen ständig, wobei von diesen Bereichen auch die meiste Bewegung ausging. Melodisch wars eher Standardkost, bei der kein wirklicher Ohrwurm hängen blieb (mehr Europa, gehört haben wir u.a. „Go West“ sowie „Hey oh, let’s go!“ von den Ramones).
Beeindruckend war aber die Lautstärke, mit der die Gäste die Partie vor allem im ersten Durchgang zu einem klaren Heimspiel machten. Häufig wurde gar mehr als der Unterrang mitgenommen, während der aktivste Haufen nahezu pausenlos bei jeder Melodie auf und ab hüpfte. Bei den Temperaturen einfach eine krasse Ausdauer, die hier an den Tag gelegt wird. Im weiteren Verlauf fanden häufiger Pausen Einzug und auch die ganz große Lautstärke konnte nicht mehr erreicht werden, gefallen hat uns die orangene Kurve aber allemal. Weckt Neugierde, mal in Zukunft beim großen Schwan zu Hause vorbeizuschauen!
Sportlich war die Partie, die zu „Faster Harder Scooter!“ eröffnet wurde, recht ansehnlich, wobei sich die tabellarisch etwas besser platzierten Hausherren durch ein frühes und ein spätes Tor mit 2:0 durchsetzten. Unterm Strich ein grandioser Abend mit zwei großen Kurven, die jeweils eine Halbzeit lang das Geschehen auf den Rängen dominierten. Dazu ein top Ground, über dessen Besuch wir uns absolut glücklich schätzen konnten! Die Abreise klappte im Vergleich zu Gamba, trotz doppelter Masse an Leuten, erstaunlich gut, wobei wir allerdings nicht auf die nahe Station setzten, sondern lieber ein paar Straßen weiter bis Gaiemmae liefen, von wo aus uns die Ginza Line bis in eben jenen Stadtbezirk verfrachtete. Dort ging’s im höchsten Stockwerk einer Mall noch in ein Kura, wo der perfekte Abend gebührend begossen wurde.