J1 League: Kawasaki Frontale – Sanfrecce Hiroshima

29.06.2024
21. Spieltag J1 League
Kawasaki Frontale - Sanfrecce Hiroshima
Kawasaki Todoroki Stadium
Endergebnis: 1:1 (1:0)
Zuschauer: 22.393 (ca. 2.000 Gäste)
Ticket: 6.400¥ (~37,50€)
Fotoalbum

Gut sieben Jahre ist es mittlerweile her, als wir Japan zum letzten Mal einen Besuch abstatteten. Mindestens genauso lange schwelten die Pläne für eine Rückkehr ins Land der aufgehenden Sonne, doch die gewohnte lange Bank während des Studiums als auch die zwei Jahre Corona verhinderten eine erneute Reise in unser beider Lieblingsland in Ostasien. 2024 sollte es aber endlich wieder soweit sein, denn die Kohle war seit etlichen Jahren beiseite gelegt, sodass wir direkt im Januar mit Erscheinen des Spielplanes in die konkreten Planungen starten konnten. Aufgrund der Saison im Jahresrhythmus wurde der sonst spielfreie Sommer angepeilt, während bei der Frage nach der genauen Region ein bunter Mischmasch aus Tokyo (weil aus Frankfurt die Flüge sowieso nur nach Narita oder Haneda gehen) sowie der Kansai-Region rund um Osaka, Nara und Kyoto das Rennen gewann.

Die Flüge für die gut zweieinhalb Wochen wurden via ANA bis nach Haneda somit erstmal festgezurrt, wobei wir ebenfalls gleich im selben Ticket die Flugverbindung nach Osaka integrierten. War unterm Strich billiger als der gar nicht mal so günstige Shinkansen, zeitlich zudem nahezu identisch. Die insgesamt fünf Unterkünfte wanderten bis weit ins Frühjahr auf die Erledigt-Seite der Planungen, während ebenfalls sämtliche Tickets für König Fussball via J-League-Website eingesackt werden konnten. Läuft hier tatsächlich ganz einfach, da auf einer Website mit einem Account für sämtliche der 60 Profivereine des Landes Karten erstanden werden können. Allerdings nur auf der japanischen Website, da auf der englischsprachigen horrende Gebühren fällig werden.

Der Plan stand also, entsprechend freuten wir uns beinahe ein halbes Jahr wie ein Schnitzel auf den Freitag Ende Juni, an dem wir, nach kurzer und umso wärmerer Sommernacht, die Koffer in Richtung S-Bahn schieben durften. Selbige wanderten am Flughafen genauso fix über den Schalter wie der letzte Kaffee beim goldenen M in die Mägen. Danach durften wir die kommenden 12 Stunden auf bequemen Sitzen im blau-weißen Flieger von ANA verbringen, das ein oder andere japanische Brauerzeugnis vernichten und uns am schmackhaften Futter laben. Der Versuch, zumindest eine kleine Mütze Schlaf zu bekommen, klappte tatsächlich, ehe wir recht unsanft nach einer Stunde des Dösens von einem Jungen schräg hinter uns geweckt wurden, der sein halb verdautes Abendessen künstlerisch wertvoll und mit ordentlich Druck in den Teppichfußboden injizierte. Den Geruch brauch ich mit durch die Müdigkeit sowieso schon flauen Gedärmen nicht unbedingt. Atmen also durch die Klamotten, ehe die einstündige Putzaktion der Eltern samt Stewardess von Erfolg gekrönt beendet werden konnte.

Pünktlich nach zwölf Stunden erreichten wir schließlich um kurz nach Acht in der früh den Flughafen von Haneda, aktivierten auf unseren Handys die vorher zugelegten eSims (15€ für einen Monat, billiger als vor Ort), zogen ein paar dringend benötigte Yen-Scheine aus dem Automaten (ein Großteil der Läden ist Cash only) und schlugen zwecks erster Mahlzeit standesgemäß im erstbesten 7-Eleven zu. Himmlisch schmeckten die ersten Onigiri nach der langen Reise allemal! Zwecks ÖPNV wurde noch fix eine Suica-Card gezogen und aufgeladen (die funktioniert dann nicht nur in Tokyo, sondern in ganz Japan), ehe wir mit der nahen Keikyu-Line drei Stationen bis zur gebuchten Unterkunft in Otorii zurücklegten. Dort erstmal das sperrige Gepäck abgegeben und schließlich weiter nach Kawasaki getourt, um die ersten Stunden bis zum Check-in zu verbringen.

Dort schlenderten wir ein wenig durch die Innenstadt, den großen Bahnhof und suchten in Malls Schutz vor dem schwülen Wetter, ehe uns der Hunger in eine Kette namens Kura trieb. In etwa das Wetherspoons oder auch 100 Montaditos Japans, sprich kleine Happen Sushi, Udon und weitere Schmankerl der lokalen Küche für einen mehr als fairen Preis. Kann man also wenig mit falsch machen, insbesondere an solchen Tagen, die sich nochmal länger anfühlen als der Flug selbst. Nach ein paar weiteren Stunden ging’s schließlich erstmal zurück zum Hotel und anschließend ein wenig in die Waagerechte, ehe am späten Nachmittag der Wecker zum erneuten Aufbruch aufforderte.

Also wieder in die Keikyu-Line und zurück nach Kawasaki, wo zwecks Umstieg in die Nambu-Line der Bahnhof gewechselt werden musste. Auch so eine Sache in Japan: Auf der einen Seite ist der ÖPNV durch die zahlreichen IC-Cards, die immer für das gesamte Land gelten, sehr einfach zu bedienen. Auf der anderen Seite gibt’s aber nicht nur die staatliche Bahngesellschaft JR, sondern unzählige private Betreiber, die zwar allesamt dem gleichen Tarifsystem unterliegen, ihre Strecken aber unabhängig voneinander bauen und operieren. Nix also in den meisten Fällen mit schlichtem Bahnsteigwechsel in wenigen Minuten, denn eine neue Gesellschaft baut für ihre Linie eben gleich einen neuen Bahnhof irgendwo in die Nähe. Somit passend zur samstäglichen Rushhour in die neue Linie gequetscht und in Richtung Spielort getourt, der etwas außerhalb des Stadtzentrums in einem Park am Fluss Tama zu verorten ist.

Von der Haltestelle Musashi-Nakahara waren’s dann nochmal gute 20 Minuten per Pedes, ehe ein in den himmelblauen Vereinsfarben geschmückter Schrein unsere Ankunft am namensgebenden Todoroki-Park verkündete. Spätestens beim Anblick der imposanten Haupttribüne durch die Baumkronen der Südseite waren die Energiereserven wieder vervollständigt, sodass wir uns voller Vorfreude ins wuselige Umfeld am Westeingang stürzten. Kontrollen zum Stadion übrigens Fehlanzeige, lediglich das Ticket wurde von den einzigen Ordnern, die wir an diesem Tag zu Gesicht bekamen, abgescannt. Entsprechend kann man sich auch in Sachen Verpflegung extern eindecken, da hat hier keiner was gegen.

Dann ging’s über die große Treppe rein in den Umlauf, bei dem direkt einer der zahlreichen Futterstände angesteuert wurde. Was für eine Auswahl! Gigantisch ist da noch untertrieben, sodass wir einige Minuten relativ überfordert zwischen Takoyaki, Karaage, Nudeln und dem umfassenden Angebot an Fleisch- und Reisgerichten zu entscheiden versuchten. Am Ende wurde es eine Art Rinder-Teriyaki auf Reis sowie eine Portion Karaage, die uns zusammen mit einem kühlen Blonden den Abend versüßten. Geschmacklich alles top, preislich allerdings definitiv auf deutschem Level, seien es die gut acht Euro für eine Mahlzeit oder auch die vier Taler für ein Bier. Schnäppchen sind das keine. Im übrigen auch nicht die Tickets, bei denen wir froh waren, überhaupt welche zu bekommen. Denn gerade in Kawasaki gleicht sich der durchschnittliche Zuschauerzuspruch immer weiter der Stadionkapazität an, sodass nur noch Restkarten am Rand der Haupttribüne für uns übrig blieben. Somit also leider eine recht eingeschränkte Sicht auf den Gästeblock, und das für knappe 40 Tacken pro Nase. Auch hier definitiv keine Kleinigkeit.

Recht früh bezogen wir anschließend unsere Sitze und lauschten einer gerade auftretenden Jpop-Girlband, was hier genauso dazu gehört wie der generell hohe Frauenanteil im Stadion. Da existieren nämlich ganze Fanclubs für manche Spieler, die von der weiblichen Anhängerschar genauso vergöttert werden wie irgendwelche Idole im Musikgeschäft. Eine bunte Mischung also insgesamt, allerdings nicht in Bezug auf die Kleiderwahl. Denn die ist in Kawasaki nun mal Himmelblau und bestimmt die Oberkörper von gut 80% aller anwesenden Tribünengänger. Eine eindrucksvolle Geschlossenheit, wie man sie in heimischen Gefilden vielleicht zu Mottofahrten hinbekommt, allerdings nie und nimmer im gesamten Rund zu Hause an jedem Spieltag.

Darüber hinaus bot sich auch sonst ein klasse Blick in die schöne Bude mit ihren gut 26.000 Plätzen, die zu einer der kleineren in der J1 gehört. Rundherum doppelstöckig, während das kurze Dach auf drei der vier Seiten mehr zur Zierde den Oberrang bedeckt. Genial dagegen die ellipsenförmigen Flutlichter, die wir in dieser Form auch noch nie zu Gesicht bekamen, während sich die neu errichtete Haupttribüne doch stark vom restlichen Rund abhebt und auch nicht mit den anderen Rängen verbunden ist. Ein eindrucksvolles und auch irgendwie einzigartiges Stadion, das uns vom Fleck weg gut gefiel. Mal schauen, wie lange es in dieser Form noch existiert, lagern doch seit ein paar Jahren Ausbaupläne in den Schubladen Kawasakis.

Dabei hängt der Zuspruch samt regelmäßig ausverkauften Spielen auch eng mit der jüngst erfolgreichen Vergangenheit des Vereins zusammen, wobei ich an dieser Stelle ein wenig über die Gesamtgeschichte des Fußballs in Japan ausholen muss. Denn ähnlich wie in Ländern wie Taiwan spielte Fussball hierzulande lange eine stark untergeordnete Rolle und wurde vielmehr von Großkonzernen zur Belustigung der eigenen Arbeiterschaft in einer landesweiten Amateurliga organisiert. So kickte bspw. Mazda gegen Mitsubishi, Toyota gegen Nissan oder Stahlfirma A gegen Pharmaziefirma Y. Nix also, was auch nur irgendjemanden außerhalb dieser Konglomerate interessieren würde. 1992 kam es, auch begründet durch den Niedergang in den 80ern, schließlich zur Professionalisierung des japanischen Fußballs und damit einher zur Gründung der J League. Noch vor Saisonstart änderten viele der Vereine ihre Namen und stellten damit einen Bezug zur eigenen Heimatstadt her, aber auch, um die Vereine nach dem gewählten Vorbild zu „europäisieren“.

Losgelöst von den Mutterkonzernen agieren die Vereine aber selbst Heute kaum, zu groß ist die finanzielle Abhängigkeit von den Großsponsoren. Und auch einige Überbleibsel in den Vereinsnamen zeugen von der weiterhin starken Verbundenheit, wie in Urawa, wo der Name „Red Diamonds“ auf das Logo der Automarke Mitsubishi anspielt. In der 1,5 Millionen Einwohner umfassenden Großstadt Kawasaki war es für viele Jahre der Elektronikkonzern Fujitsu, dessen Verein Fujitsū Soccer-bu (Fujitsu Fußball-Klub) semi-erfolgreich in regionalen Ligen aktiv war und auch bei Gründung der J League erst im Unterhaus startete. 1996 folgte die Umbenennung in Kawasaki Frontale, wobei das italienische Wort Frontale so etwas wie „nach vorne“ oder „an der Spitze“ bedeutet und die Marschrichtung des damals wie heute ehrgeizigen Clubs unterstrich. National auf sich aufmerksam machten die Himmelblauen aber erst in der erstmaligen Saison in der J1 im Jahr 2000, in der man als Aufsteiger die Liga zwar gleich wieder verließ, dabei aber auch das Pokalfinale erreichte.

Erst seit 2005 ist Kawasaki beständig in der Erstklassigkeit aktiv und gehörte ab diesem Zeitpunkt zur Spitze des japanischen Fußballs. Nach einigen zweiten Plätzen krönte sich der Club zwischen 2017 und 2021 gleich vier Mal zum Meister, gewann bis Heute zudem zwei Mal den Kaiserpokal, den League Cup und drei Mal den Supercup. Zehn Trophäen zieren somit aus den vergangenen sieben Jahren den Trophäenschrank, was den Club zum dritterfolgreichsten Verein des Landes macht. Nicht nur deswegen wurde auch an diesem Abend die Verlesung der Aufstellung zelebriert wie kaum wo sonst, nehmen doch die Spieler einen deutlich höheren Stellenwert in der lokalen Identifikation ein wie in der Heimat. So hängt in der Kurve für jeden der Akteure eine eigene Zaunfahne, wobei man, je nach Club, sogar aufgrund der Position der Zaunfahne über oder an der Kurve deuten kann, wie glücklich der Anhang gerade mit dem jeweiligen Spieler ist.

Abgerundet wurde die Verlesung der Aufstellung noch mit einer Rede des Bürgermeisters zum einhundertjährigen Jubiläum der Stadt sowie der eines ehemaligen Jugendspielers, der anscheinend seine Rückkehr nach Kawasaki feierte und von der Kurve nicht nur eine kleine Blockfahne, sondern gleich ein ganzes Repertoire an Liedern gewidmet bekam. Und auch sonst war das zu erwartende Event geboten, denn neben Girlband, den Reden und sonstigen Showeinlagen erloschen wenig später alle Lichter in der Bude, während tausende blaue Leuchtstäbe vom heimischen Anhang gewedelt wurden. Befremdlich für europäische Verhältnisse, hier aber gängiges Mittel bei Konzerten und allen sonstigen Events. Bisschen ‘ne Art japanische Bengalos, hehe. Machte insgesamt schon was her und irgendwie fühlte man, das die gesamte Bude auf den baldigen Anpfiff hinfieberte.

Schließlich betraten die Spieler den Rasen, während in der Heimkurve eine weitere Choreo aus Blockfahnen den Unterrang bedeckte. Mittig das Stadtwappen, umrahmt vom Namen „Kawasaki“ in kalligraphisch gemalten Kanji sowie den Vereinsfarben. Darüber das aktuelle Trikot samt Sponsorenaufdruck, während in der Mitte der Gegengeraden erneut der Name Kawasaki, dieses Mal in Katakana, auf weißem Hintergrund prangte. Dürfte hier aber, wie andernorts ebenso geläufig, eine Art „Dauer-Choreo“ sein, die häufiger präsentiert wird. Machte dennoch was her, wie auch die unfassbare Zahl an Zaunfahnen im gesamten Stadion. Von Ober- bis Unterrang blieb kaum ein Zentimeter ohne bemalten Fetzen übrig, mal mit Bezug auf eine Fangruppe, mal Sprüche auf Englisch, mal italienische Ultra-Floskeln à la „La nostra fede non retrocede“. Paar echt nette Dinger dabei! Besonders eindrucksvoll war aber die gigantische „Forza Kawasaki“-Fahne, die oberhalb des aktiven Haufens nahe der Eckfahne hing. Echt starkes Stück!

Stichwort Szene: Die befindet sich hier im Unterrang der Nordkurve, wobei sich der aktivste Haufen in Richtung der Gegengerade breit macht und sich an so ziemlich allen Stilmitteln bedient. Schwenkfahnen in der Mitte samt einigen Doppelhaltern zu Beginn wie in Europa, dazu gespannte Bänder durch den Block wie in Südamerika. Auch eine klare Abgrenzung zur für viele Jahre gängigen Praxis in Japan, die großen Schwenkfahnen nur in der ersten Reihe aufzustellen und nur nach Chancen oder Toren vertikal zu schwenken, wie es hier noch der Unterrang der angrenzenden Nordkurve machte. Optisch ein wahrlich starkes Bild, auch im späteren Spielsupport, der unter rhythmischen Klängen zu sehr viel Bewegung in Sachen Sprung- und Klatscheinlagen führte. Allerdings auch ein Bild, das die Vor- und Nachteil des japanischen Kollektivismus offenbarte.

Denn nagte die Mitmachquote im Support-Bereich nahezu beständig an den 100%, saßen die angrenzenden Zuschauer über neunzig Minuten wie festgeklebt auf ihren Sitzen. Während der Support also niemals wirklich abflachte, schwappte ebenso nie ein Gesangsorkan durch die gesamte Bude. Dennoch verschaffte sich die Kurve der Himmelblauen äußerst häufig bei uns Gehör und bestach durch klasse Melodien, die für uns nahezu durchweg unbekannt anmuteten und den Anhang teils minutenlang springen ließen. In einer solch subtropischen Temperatur, bei der die hohe Luftfeuchtigkeit die schiere Existenz zur Qual werden lässt, kann ich meinen Respekt für diese Leidenschaft nicht stark genug ausdrücken.

Ebenso wenig wie für die Trommler, die ihr Instrument nicht irgendwo aufhängten, sondern über die gesamte Dauer umgeschnallt mit einer Hand festhielten. Einige Schaffenspausen fanden dennoch Einzug in den Support, der insgesamt als äußerst spielbezogen beschrieben werden kann. Kommt die eigene Mannschaft mal längere Zeit nicht an den Ball, schweigt schonmal die Kurve, nur um bei Ballgewinn Gewehr bei Fuß direkt wieder loszulegen. Hängen blieben, neben einigen nicht näher beschreibbaren Ohrwürmern, auch das aus Milan bekannte „Sarà perché ti amo“. Insgesamt ein guter Auftritt, auch wenn unsere Plätze nicht unbedingt prädestiniert für ein richtiges Urteil sein können.

Denn die Gäste aus Hiroshima, die wir leider nur zur Hälfte zu Gesicht bekamen, saßen nicht nur direkt zu unseren Füßen, sondern auch verteilt in unserem Block und nahmen einen Großteil unserer Aufmerksamkeit ein. Etwa 2.000 legten die 800 Kilometer/10 Stunden einfache(!) Strecke zurück und füllten den zugewiesenen Sektor bis auf den letzten Platz. Angeflaggt wurde auch hier reichlich, wobei die Fetzen der Hauptgruppe „Bad Boys“ samt Sektion Tokyo sowie der in die Jahre gekommene Stoff des „Commandos Hiroshima“ das Kurvenbild bestimmten. Am vorderen Zaun, wobei diese hüfthohe Barrikade nicht als solcher zu bezeichnen ist, konnte ebenso die Fahne „Ultra’ Curva Ouest“ erspäht werden.

Da gibt’s ja mittlerweile ganze Abhandlungen drüber, nicht zuletzt das wirklich lesenswerte Special des Ulmer LCN, inwieweit der Begriff „Ultra“ in Japan so wirklich zutreffend ist. Nimmt man die Themen Pyroshows, Straßenkämpfe, Reviermarkierungen und das Erbeuten gegnerischer Utensilien mit rein, dann hat die japanische Fankultur ungefähr soviel mit Ultra zu tun wie die UEFA mit denen von ihr selbst festgeschriebenen, ethischen Prinzipien. Geht’s aber um Choreos, akustische Unterstützung im Stadion sowie die generelle Hingabe, jedes zweite Wochenende abertausende Kilometer für die eigenen Farben runterzureißen, dann sind die Jungs und Mädels hier genauso große Ultras wie in jedem anderen Land auch. Am Ende bleibt’s dann doch Auslegungssache, oder noch viel mehr, einfach ein Wort, das zur Abgrenzung vom gewöhnlichen Besucher verwendet wird. Denn in Japan schwimmt man schon gegen den Strom, wenn den eigenen Spielern bei Nichtleistung mal die Meinung gesagt wird. Messlatte und so.

Aber zurück zum Kurvenbild der Gäste, denn das machte auch in Bezug auf die zahlreichen Schwenker im Unterrang echt was her. Auch eine kleine Deutschlandfahne fand einen Platz in die Kurve, die allerdings zu Ehren des derzeitigen Trainers Michael Skibbe ihre Kreise dreht. Gleiches natürlich für die zahlreichen Brasilianer, die in Japans Liga ihre Schuhe schnüren. In Sachen Support bestachen auch die Gäste mit einer außergewöhnlich hohen Quote, während sich das Liedgut nochmal stärker an Europa orientierte. Neben dem aus SB bekannten „So high“ von SXTN schafften es auch etliche weitere Klassiker aus heimischen Gefilden ins Liederbuch der Szene, während das langgezogene und langsam ausklingende „Hiroshimaaaaa….“ zu Beginn einer jeden Halbzeit lange im Kopf blieb. Der Ohrwurm schlechthin war allerdings das häufig gesungene „Ganbaro Sanfrecce“, das im Spielverlauf auch mal losgelöst vom Geschehen auf dem Rasen die gesamte Anhängerschaft mitnahm. Obwohl etwas häufiger Wiederholungen vorkamen und auch die Schlachtrufe einen größeren Anteil des Supports einnahmen, gefielen uns an diesem Abend die Gäste nochmal einen ticken besser als die ebenfalls gut aufgelegte Heimseite. Dürfte aber auch Geschmackssache sein, welcher Support-Stil einem mehr zusagt.

Sportlich fanden sich die jüngst so erfolgsverwöhnten Hausherren vor der Partie im unteren Drittel der Tabelle ein und bewiesen dies eindrucksvoll durch etliche liegen gelassene Chancen, ehe doch noch vor der Pause das 1:0 fallen sollte. Skurril dann wiederum die Halbzeitpause, in der eine Autokarawane samt darauf tanzenden Leuten umrahmt von Cheerleadern eine Runde durch das Stadion drehte und YMCA auf japanisch zelebrierten (und ja, alle im Stadion machten mit…), ehe die zweite Hälfte endlich auch sportlich für Unterhaltung sorgte. In der 88. Minute erzielte Sanfrecce den in der Zwischenzeit verdienten Ausgleich und ließ den Gästeblock toben, während die Heimseite mit den Schiedsrichterentscheidungen haderte. Wurde auch nicht besser, als der Unparteiische die siebenminütige Nachspielzeit just in einem Konter der Gäste beendete, die zuvor drauf und dran waren, die Partie komplett zu drehen. Entsprechend feierte Hiroshima den Punktgewinn etwas lauter als die Heimseite, die ihre Unzufriedenheit mit der bisherigen Saison in Gänze ausdrückte.

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Allzu lange gaben wir uns das Schauspiel aber nicht mehr, denn die Müdigkeit kickte in der Dunkelheit nun vollends. Waren immerhin schon deutlich über 30 Stunden ohne echte Schlafphase, sodass wir wie in Trance zurück zur Ausgangshaltestelle stapften. In Kawasaki musste anschließend nochmal der Bahnhof gewechselt werden, ehe wir die Klimaanlage in unserer Koje, die wir fast noch mehr vermissten als die Federn, endlich erreichten und den ersten Tag mit dem Prädikat äußerst erfolgreich beendeten.