02.10.2022
8. Spieltag Serie A
Atalanta Bergamasca Calcio - ACF Fiorentina
Stadio Atleti Azzurri d'Italia
Endergebnis: 1:0 (0:0)
Zuschauer: 18.265 (ca. 400 Gäste)
Fotoalbum
Wenn das Wort Katastrophe für eine Nacht nicht ausreicht… Hatten wir im Vorfeld noch Glück, bezog an diesem Abend ein älteres Paar unser nur durch eine dämliche Zwischentür getrenntes Nachbarzimmer. Bis Mitternacht lautes Telefonieren, was nur durch wiederholtes Einhämmern der Wand irgendwann endete. Dann schafften die Beiden das Kunststück um kurz nach drei den Feueralarm in ihrem Zimmer und somit für das gesamte Stockwerk auszulösen. An erholsamen Schlaf war somit nicht zu denken, und der Wecker klingelte auch noch früh…
Trotzdem irgendwie aus den Federn geschält, Frühstück zwischen die Backen und mit gutem Kaffee hinunter gespült. Danach ging’s auch schon los zum Milano Centrale, dem wohl schönsten Bahnhof, den ich jemals besuchen durfte! Ein klein wenig schlenderten wir durch die wunderschönen Hallen, wahrscheinlich aber auch nur deswegen, weil das Gleis unseres Zuges der Firma Trenord weniger als zehn Minuten vor Abfahrt noch immer nicht angezeigt wurde. Chaos und Rennereien der zahlreichen Reisenden mit Koffer bei Bekanntgabe inbegriffen. Verstehe weder in England noch hier dieses Hinhalten. Der vorher online für ‘nen Fünfer pro Kopf gebuchte Zug war Marke ex-DB und entsprechend abgeranzt, schipperte uns aber gemütlich (also mit ordentlich Verspätung) die gute Stunde hinauf nach Bergamo. Ohne Masken war die Reise natürlich deutlich angenehmer, auch wenn uns die Aromen der schwitzenden Mitreisenden im nicht klimatisierten Gefährt gerne erspart geblieben wären.
Die meisten verabschiedeten sich ab dem Bahnhof sowieso in den Bus Richtung Flughafen, während wir nun per Pedes auf die auf einem der letzten Hügel vor den Alpen liegende Altstadt zusteuerten. Einen Schwenk durch die Innenstadt im Tal durfte es auch noch werden, allerdings waren die Einkaufsstraßen in Zentrum der 120.000 Einwohner-Stadt kaum von denen anderer europäischer Kleinstädte zu unterscheiden. Somit ging’s fix zur Talstation der Standseilbahn, die uns hinauf zur Città Alta („Oberstadt“) chauffierte. Kann man im Übrigen wie den restlichen Nahverkehr der Stadt mit vorher beschafften Tickets für Atalanta kostenlos nutzen!
Oben war nun deutlich mehr los als im Tal, sodass wir uns fast durch die engen Gassen schieben mussten. Allerdings entschädigten die Blicke auf die Gemäuer der alten Stadt immens. Insbesondere die Gegend um den zentralen Platz, den Piazza Vecchia mit seinen unzähligen Kirchen und Kapellen wie der Dom oder die Cappella Colleoni dürften baulich der Inbegriff der Lombardei darstellen. Gefiel uns sehr hier, nur das Thema Mittagessen bereitete dank voller Restaurants so seine Probleme. Im „Da Mimmo“ fanden wir schließlich einen Tisch und labten uns am regionalen Bier, feiner Pasta und einer Pizza bergamescha Art. Ein gar nicht mal so teures Eis später ging’s mit der nächsten Standseilbahn auf den höchsten Punkt der Stadt: Dem Castello San Vigilio. Von dieser auf knapp 500 Metern gelegenen Burgruine bot sich eine phantastische Aussicht über die gesamte Stadt, die angrenzende Po-Ebene bis nach Mailand sowie auf das hinter Bergamo beginnende Alpen-Panorama mit seinen schneebedeckten Gletschern.
Aus dem Stadtbild stach ebenso die Spielstätte von Atalanta deutlich hervor, was die folgende Navigation bedeutend einfacher machten. Denn nachdem wir die eindrucksvolle Aussicht genießen durften, ging es nach einer kurzen Fahrt mit der Seilbahn zu Fuß den Berg hinab bis zum Stadion. Wetter passte, die Aussicht ebenso, wodurch die gute dreiviertel Stunde kein Problem darstellte. Im flacher werdenden Stadionumfeld kündigten die erhöhte Polizeipräsenz sowie erste umherstreifende Trikots bereits die Nähe des Spielortes an, während man auf einige von der Szene an Bäumen befestigte Kurven-Flyer aufmerksam wurde. Mit meinem nicht vorhanden Italienisch selbstredend nicht zu übersetzen, doch das treue Helferlein namens Internet ließ anfängliche Befürchtungen eines angekündigten Boykotts zum Glück verstummen. Viel mehr lädt man zum Dialog aufgrund der Gründung einer neuen Ultra-Gruppe ein, um möglichst viele Leute im Diskurs mit an Bord zu nehmen. Denn diese vermisst Bergamo seit nunmehr zwei Jahren, was die große Nordkurve nach Außen noch immer gruppenlos auftreten lässt.
Entsprechend gespannt waren wir auf eben jene Kurve, als wir das derzeit nach einem Sponsor benannte Stadion durch den Südeingang betraten. Unsere Plätze fanden wir, dank der Temperaturen mit Kaltgetränken bewaffnet, in Block E06 der Gegengerade. Gute Sicht auf alle relevante Bereiche des Stadions für 29€, kann ich also empfehlen. Etwas störte da nur die Brüstung aus Glas direkt vor unserer Nase, war allerdings besser als die üblichen Lösungen aus Stahlrohren. Die Bude, die auf den wunderbaren Namen Stadio Atleti Azzurri d’Italia hört, befindet sich derweilen komplett im Wandel. Kein Spur mehr von der ikonischen Kurve im Norden mit ihrem Bergpanorama, sondern ein geschlossener, eng am Spielfeld stehender Block mit Gründungsdatum als Sitzmuster. Die beiden Seitentribünen blieben in ihrer Größe unverändert, wurden allerdings Innen wie Außen aufgehübscht. Nur der Süden zeugt noch von der guten, alten Zeit. Hier findet sich mit der halben Südkurve das zweite Stimmungszentrum von Atalanta, während in der anderen Hälfte die Gäste ihren Platz finden. Zu dominant allerdings die grelle Sonne, was das Beobachten der für uns linken Seite zur Tortur werden lies. Allgemein dennoch ein nettes Stadion, welches zum Ende der aktuellen Saison in die letzte Umbaustufe geht.
Für den nahezu ausverkauften Heimbereich zwar optisch eine Abwertung im Vergleich zu vorherigen Jahren, dafür bietet die neue Nord samt Dach akustisch ganz andere Möglichkeiten, was allein schon beim Einsingen eine halbe Stunde vor Anpfiff zum tragen kam. Schepperte im Vergleich zum Vortag um einiges besser! Geil zudem, dass bei den aufflammenden Gesängen die Stadionmusik komplett abgedreht wurde, auch für die Hasstiraden gegen den Gegner. Eröffnet wurde die Partie zunächst durch zwei schicke optische Aktionen. Im Norden erschienen hinter der Zaunfahne „Vinci per Noi… Magica Atalanta“ (Sieg für uns, magisches Atalanta; hing aber das gesamte Spiel) viele weiße Zettel, die auf Kommando umgedreht und somit ein blau-schwarzes Balkenmuster ergaben. Mit weißen Zetteln erschien zudem das Gründungsjahr 1907 an genau der Stelle, an der die Zahl auch auf der Tribüne mit weißen Sitzen geformt wird. Mit einfachen Mitteln ein klasse Bild erzeugt! Untermalt wurde das Ganze mit einigen pyrotechnischen Elementen am unteren Ende des Blocks, wir üblich aber direkt auf dem Boden entsorgt. Auch der Süden zeigte mittels schwarzen und blauen Stoffbahnen sowie einer großen Blockfahne im Stile einer Schwenkfahne ein schickes Bild.
Die akustische Führung trug derweil ganz klar der Norden inne. Angepeitscht von einem Haupt-Capo, der trotz der großen Masse nur auf ein Megaphon statt sonstigen Beschallungsanlagen zurückgriff, trug meist die gesamte Kurve die sehr melodischen Gesänge in den Abendhimmel, während es hier wie dort immer wieder brannte. Da wippten die Füße nahezu beständig mit, wenn selbst in unserem Umfeld in die Lieder inbrünstig eingestiegen wurden. Bei manchen Chants weis ich nun zumindest, woher die Freunde der Frankfurter Eintracht die Inspiration hatten. Der Süden stieg auch ab und an in die Gesänge mit ein, wobei die dortige Gruppe zumiest ihr eigenes Süppchen kochte und sowieso am liebsten gegen die Gäste pöbelte.
Stichwort Gästeblock: Dieser füllte sich erst mit Anpfiff mit etwa 400 Anhängern der Fiorentina, die die gut vierstündige Anreise auf sich nahmen. Der kompakt stehende Haufen flaggte mit vielen kleinen Zaunfahnen an und machte insbesondere durch den sehr konstanten Einsatz von großen Schwenkfahnen auf sich aufmerksam, die wir aufgrund der Sonne erst zum zweiten Durchgang bewundern durften. Abseits von wenigen Schlachtrufen kam vom Support allerdings recht wenig bei uns an, auch wenn die Meute sehr geschlossen wirkte. Gegen diese von der sportlichen Leistung des Vereins beflügelte Nordkurve sahen die Lila-Weißen allerdings kein Land. Denn die „Göttin“, Pokalsieger 1963 als größter Erfolg, stand nach den jüngst erfolgreichen Championsleague-Jahren erneut nach einem starken Saisonstart auf dem zweiten Tabellenplatz.
Dennoch war die Partie gegen die im Mittelfeld situierten Florenzer eher ausgeglichen. Beide erspielten sich kaum Chancen, während der Aufreger der ersten Hälfte, eine zurückgenommene rote Karte nach VAR-Entscheidung für die Gäste, die Heimseite absolut zum Kochen brachte. Im zweiten Durchgang waren es dennoch die Nerazzuri, die mit dem 1:0 die Entscheidung erzielten und somit das Stadion zum explodieren brachten. Astrein hierbei der Gesang auf „Don’t worry, be happy“! Leider endete die Feier aufgrund eines Notarzteinsatzes am unteren Ende der Nordkurve abrupt. Nachdem die Mannschaft nach Spielende in die Kurve kam und der Verletzte auf der Trage liegend den Daumen in die Höhe streckte, gab’s zumindest hier ein versöhnliches Ende und ein paar letzte Gesänge erschallten das Rund.
Wir machten uns unterdessen vor allem wegen den unendlichen Mückenschwärmen, die durch die Flutlichter angelockt wurden, zeitig auf den Weg zurück zum Bahnhof. Mit einer Stunde Zeit auf der Uhr bis zum Zug auch kein großes Problem. Nach einer guten halben Stunde erreichten wir den Bahnhof, mühten uns durch die wohl international üblichen Gestalten an einer solchen Lokalität und deckten uns mit schmackhaftem Eistee ein, ehe der Zug in einer guten dreiviertel Stunde zurück nach Milan rollte. Ein schöner Trip nach Bergamo, der auf jeden Fall Lust auf die Erkundung weiterer italienischer Städte machte!
Den Montag verbrachten wir ohne großes Programm wieder in Mailand. Somit nach gemütlichem Frühstück wieder auf in die Stadt, wo wir den zentralen Dom nun bei schönem Wetter einen erneuten Besuch abstatteten. Machte auch gleich ein ganz anderes Bild als am Freitag und die eigene Laune war sowieso deutlich besser. Unangenehm wurde es beim Besuch der San Bernardino alle Ossa, einer katholischen Kirche aus dem 13. Jahrhundert, in der aus Platzgründen ein alter Friedhof, bzw. die Gebeine der Toten aufgebahrt wurden. Typisch für die Kirche allerdings in Form von religiösen Symbolen überall an den Wänden. Good old times und so… Weiter ging’s mit einem Abstecher in den Brera-District, einer Art Mode- und Bar-Viertel östlich der Stadtfestung. Schöne Gassen und eine nette Restaurant-Auswahl, was wir selbstredend für ein italienisches Mittagsmahl nutzten. Pizza selbstredend, man muss ja alle Stile durchprobieren!
Mit einem Espresso in der Hand durchquerten wir nun die Stadt gen Süden, wo wir mit dem Vietel I Naviglio die für mich persönlich schönste Gegend Mailands erkundeten. Die Ufer zweier Kanäle bieten hier den Platz für zahlreiche Bars und Cafés, die sich durch die angrenzende Universität als Studentenviertel entwickelten. Entspannt testeten wir im Darsena Craft Beer die lokalen Spezialitäten aus dem Zapfhahn, mussten hier jedoch früh feststellen, dass italienisches Bier nicht unbedingt unseren Geschmack trifft. Die Bestätigung holten wir uns bei vier weiteren Runden im Shallo Beer Shop. Der alte Haudegen, der die Bier-Fahne hier schon seit sieben Jahren hochhält, weis zwar so einiges über das beste Getränk der Welt und bot eine reichliche Auswahl aus der Lombardei an, fährt zum eigenen Glück aber selbst viel lieber ins Ausland. Weiter Weg, den man hier noch gehen muss… Die nun vorhandene Schlagseite war nun so extrem, sodass wir das Thema den ganzen Tag nur zu Laufen über Bord warfen und per Bus ins Hotel zurückkehrten. Somit knapp unter 20 Kilometer, die Füße bedankten sich dennoch. In zwei Tagen alles von der Stadt gesehen, aber auch nur weil wir uns Zeit ließen. So wirklich schnell wird uns Mailand nicht mehr sehen, dafür wurden wir mit der Stadt nicht wirklich warm genug. Da bin ich viel eher gespannt, was Italien sonst noch zu bieten hat!
Dienstag ging’s dann auch schon wieder zurück in die Heimat, nicht jedoch ohne den obligatorischen Supermarktbesuch am Abreisetag. Daher wanderten gerade genug Packungen Köstlichkeiten in den Koffer und Rucksack, bevor wir per Bus zum Stadtflughafen Linate aufbrachen. Übrigens: Vergesst bei der Hotelbuchung in Mailand nicht die zusätzliche City-Tax! Über die 40 Tacken hätte ich gern vorher Bescheid gewusst… Zumindest am modernen Flughafen wurde die Laune besser, denn für die neuen Scanner muss weder Rucksack noch Koffer des Handgepäcks ausgeräumt werden. Ging daher recht fix, bis wir uns den letzten Espresso am Gate einverleiben durften. Die ankommende kleine Maschine mit dem Kranich war das Signal zum Rückflug, bei dem wir endlich, endlich, endlich keine Maske mehr brauchten. Nach schönem Alpenpanorama erreichten wir wieder Frankfurt, gönnten uns eine große Portion Currywurst zu Mittag und tourten schließlich zurück nach Hause.