Serie A: FC Internazionale Milano – AS Roma

01.10.2022
8. Spieltag Serie A
FC Internazionale Milano - AS Roma
Stadio Giuseppe Meazza
Endergebnis: 1:2 (1:1)
Zuschauer: 75.389 (ca. 4.000 Gäste)
Fotoalbum

Das Stadio Giuseppe Meazza im Mailänder Stadtteil San Siro gehört mit Sicherheit zu den großen Ikonen Europas, wenn nicht gar der Welt. Pläne zum Besuch dieses monumentalen Baus hatte man schon viele, doch so wirklich spruchreif wurde eine Tour in den Norden Italiens erst in diesem Jahr. Wurde auch mal langsam Zeit, hat man auf dem Stiefel bisher noch kein Spiel gesehen. Das Thema Stadionneubau flammt derzeit in Mailand auch immer wieder auf uns soll jetzt gar sicher sein, wobei man von einem optimistischen Eröffnungstermin im Jahr 2027 spricht – wer’s glaubt.

Die Paarung von Inter gegen Roma passte gut ins eingeplante Wochenende, während mit Bergamo auch gleich ein weiteres Schwergewicht in der Fußballlandschaft der Lombardei möglich wurde. Flüge und Hotel demnach eingetütet und an einem verregneten Freitagmorgen zum Frankfurter Flughafen aufgemacht. Beim goldenen M gab’s noch den deutschen Vergleichskaffee für die nächsten Tage, ehe man von der Schlange an der Sicherheitskontrolle beinahe erschlagen wurde. Die standen da schlichtweg durchs halbe Terminal. Minute für Minute schmolz der Puffer und als wir endlich unseren Kram aufs Band packen konnten meldete die Lufthansa-App bereits den Aufruf zum finalen Boarding. Ab da ging es glücklicherweise recht schnell und das Gate lag jetzt auch nicht in der hintersten Ecke des Flughafens. Als letzte Passagiere durchschritten wir schließlich die Tür und quetschten uns in den Bus, der in der Folge erstmal defekt auf dem Rollfeld liegen blieb. Stress, den ich zu Beginn des Urlaubs nicht unbedingt brauche…

Nach einigen Startversuchen sprang das Gefährt irgendwann wieder an und bugsierte uns ans andere Ende des Flughafens, gefühlt fast nach Mainz. Ab da klappte die restliche Anreise allerdings recht entspannt. In gut 50 Minuten erreichten wir mit dem Kranich den Stadtflughafen Mailand-Linate, wo wir uns mit je einer 10er-Karte für 18€ eindeckten. Sollte für die nächsten Tage reichen, so viel schonmal vorab. Da die neue Metro-Linie M4 wegen „mangelnder Nachfrage“ (= baulichen Verzögerungen) noch nicht geöffnet ist, kutschierte uns die Buslinie 73 bis ins Zentrum, ehe zwei Umstiege mit der Metro später unser Hotel an der Haltestelle Gerusalemme erreicht wurde. Nette Bleibe in italienischem Stil der Marke UNA-Hotels, welches uns für das lange Wochenende beherbergen sollte.

Nach erfolgtem Check-in meldeten sich die knurrenden Mägen, was uns bei strömendem Regen zur Nahrungsmittelsuche trieb. Eine Seitenstraße weiter machten wir einige kleinere Restaurants aus, wobei wir uns für das „Premiato Forno Cantoni“ entschieden. Die Bäckerei des Landens machte einen netten Eindruck, doch dabei sollte es bleiben. Denn das nach weniger als einer Minute (!) servierte Mittagessen, wenn man es so nennen darf, war absolut überteuerter Kantinen-Fraß. Würgte man zwar dennoch runter, doch Werbung für die italienische Küche war das definitiv nicht. Auf den Schock lief man erstmal zum Supermarkt und füllte den Hotelkühlschrank, ehe wir uns bei immer noch anhaltendem Dauerregen in die Innenstadt aufmachten. Anlaufstelle Nummer eins war selbstredend der Mailänder Dom, eine der Fläche nach größten Kirchen der Welt und das Wahrzeichen der Hauptstadt der Lombardei. Daneben bot die Galleria Vittorio Emauele II eine willkommene Unterstellmöglichkeit sowie einen Blick auf die unzähligen Gemälde unterhalb des Dachs der Passage. Schön anzusehen, doch leider auch vollkommen überlaufen.

In der Folge stapften wir ein wenig durchs Viertel, schauten unter anderem beim Versuch des US-Kaffee-Riesens Starbucks, in Italien mit einer anderen Marke Fuß zu fassen, vorbei und nahmen die älteste noch in Verkehr befindliche Straßenbahn bis an den Rand von Chinatown. Auch hier stand man sich unter einem Dach während des nächsten Regengusses die Beine in den Bauch. Machte wirklich keinen Spaß das Ganze. Das ausgesuchte Restaurant der Kette Mattarello hatte auch noch zu, doch im wohlig klingenden Pub „La Buttiga“ gab’s frisches Bier zum schmalen Preis. Hier also eine Runde genehmigt, ehe im erstgenannten Restaurant die erste Pizza der Tour verköstigt wurde. Römischer Stil mit angebratenem Speck und Pecorino-Käse, dazu selbstgemachte Tomatensoße. Geschmacksexplosion sondergleichen, endlich italienisches Essen! Rettete auch ein wenig die Stimmung des Abends, der auch aufgrund der Müdigkeit zeitnah mit der Rückkehr in die Unterkunft endete.

Der Samstag startete allein schon wegen der ins Zimmer scheinenden Sonne um Welten besser. Blauer Himmel, deutlich wärmer und Spieltag in der Serie A. Da schnellt die Vorfreude nach oben! Das Frühstück ging auch voll in Ordnung und der Kaffee war der bisher beste, den ich je in einem Hotel bekommen habe. Bevor es weiter in die Stadt ging, überraschte uns zunächst ein jeden Samstag und Dienstag stattfindender Markt in der Straße unseres Hotels. Gestern noch vier Reihen parkender Autos, heute große Auswahl regionaler Pilze, Fisch und Allerlei. Da musste man sich fast durch die engen Gassen kämpfen, um zur Metro zu gelangen. Von da aus ging es zunächst zur Basilica di Sant’Ambrogio, dem Vorbau der katholischen Universität Mailands. Schöne, in typischen Rottönen gehaltene Mauern zierten hier den Innenhof, während die Besichtigung des Gebäudes selbst aufgrund einer gerade stattfinden Hochzeit ausfiel. Daher ging’s als nächstes zur Santa Maria delle Grazie, einer wunderbar erhaltenen Kirche, die ebenso Da Vinci’s Abendmahl Schutz bietet. Die kostspielige Besichtigung sparten wir uns und machten somit an all den religiösen Kram, den man hier mehr oder weniger gesehen haben muss, einen Haken.

Die Festung Castello Sforzesco mit ihrem ausufernden Park im Zentrum der Stadt war unsere nächste Anlaufstelle, wobei zur eigenen Überraschung auch hier ein einladender Markt die gesamte Grünanlage füllte. Der Italienische Bauernverband lud zur Vollversammlung ein, woraufhin hunderte Anbieter mit ihren regionalen Produkten die Wege entlang des Parks säumten und hier und da zum probieren einluden. Mit einer kleinen Tüte Pecorino bewaffnet genau mein Ding! Beim Anblick mancher Schinken und Käsesorten bereute man den geringen Platz im mitgebrachten Handgepäck dann schon. Gut zwei Stunden schlenderten wir bis zum im Auftrag von Napoleon erbauten Triumphbogen, ehe die Suche nach einem geeigneten Restaurant zwecks Mittagessen aufgenommen wurde. In der Nähe von Moscova kehrten wir in einem Rossopomodoro ein, wo mit feinster neapolitanischer Pizza die Gaumen überraschend verwöhnt wurden. So eine Qualität hätte ich von einer Kette nicht erwartet. Nebenher lief das Heimspiel der SVE gegen Verl auf dem Handy, was beim nunmehr drei Jahre alten Gerät deutlich mehr Akku verbrauchte als angenommen. Daumen drücken aus der Ferne half leider nicht, entsprechend ging’s ohne Punkte zunächst zurück zum Hotel.

Nach kurzer Ladepause sollte es nun endlich heißen: Spieltag in Italien! Ab Gerusalemme sollte es per M5 zum Stadion gehen, doch gut neunzig Minuten vor Anpfiff war jede Bahn bereits zum Bersten gefüllt. Zwei Bahnen mussten wir ziehen lassen, dann erspähten wir eine Lücke und quetschten uns in den Zug. Glücklicherweise dauerte die Fahrt in der Sardinenbüchse nicht allzu lange und wir erreichten die Endstation am Stadion. Fix die Treppen hinauf, die elend lästigen Freundschaftsband-Verkäufer an den Ausgängen zur Seite geschoben und endlich lag es vor uns: Das Stadio Giuseppe Meazza. Was für eine Schüssel, die sich hier vor unseren Augen auftat und mit jedem Schritt größer und wuchtiger wurde. Ein nahezu phänomenaler Anblick am Fuße dieser ikonischen Säulen, die den dritten Rang des größten Stadions Italiens tragen. Unbeschreiblich, dieses Gefühl für jeden Stadionenthusiasten!

Einen Schalkauf später machten wir uns auf den Weg zu unserem Eingang, der jedoch just in dem Moment durch die Ordner abgesperrt wurde. Gleichzeitig ertönten zu unserer Linken die Gesänge der gerade ankommenden Romanisti vom angrenzenden Busparkplatz. Entsprechend suchten wir uns einen anderen Eingang und erblickten somit zufälligerweise die einfallenden Gäste aus nächster Nähe. Abnormal, was hier für unterschiedliche Gestalten mit schnellem Tempo und unter leidenschaftlichen Gesängen aufliefen. Dem Schauspiel wohnten wir einige Minuten bei, ehe wir unseren „Torre“ hinauf zum dritten Ring erklommen. Unsere Plätze fanden wir in den sehr engen Sitzreihen des Blocks 326 auf der wuchtigen Gegengeraden. Beste Sicht, und das für gerade mal 25€ (bzw. 20€ für alle unter 30!).

Und auch von Innen sind die Ausmaßen des All-Seaters gigantisch. Bis auf die Haupttribüne schrauben sich drei große Ränge um den aus dieser Höhe winzigen Rasen, die derzeit 75.817 Schaulustigen Platz bieten. Der fehlende dritte Ring über der Haupttribüne ergibt dabei einen Anblick wie ein Gemälde der Silhouette der Mailänder Innenstadt. Astreiner Bau, an dem der Zahn der Zeit dann doch bedrohlich nagt. Die letzte größere Renovierung war die Errichtung des dritten Ranges samt Dach für die WM 1990, seitdem änderte sich am Gesamtbild recht wenig. Nach Statikproblemen im Bereich des dritten Rangs hinter den Toren mussten mittlerweile einige Blöcke aufgrund von Schwankungen gesperrt werden, was die Kapazität um mittlerweile gut 4.500 Plätze reduzierte. Inwieweit der neu geplante Bau an diese Kultstätte, an diese Oper des Fußballs, wie sie hier auch genannt wird, ran kommt, ist fraglich.

Doch für uns galt nur das hier und jetzt, und da sollten die Plätze im für Inter ersten großen Heimspiel der Saison komplett gefüllt sein. Insbesondere der Mittelrang der Nordkurve, Heimat des aktiven Anhangs der Nerazzuri, wird alleine schon durch die bekannten Gruppenfahnen geprägt. Angefangen bei der führenden Gruppe, den Boys SAN („Squadra d’Azione Nerazurre“, it. „Schwarzblaue Aktionseinheiten“), die bereits seit 1969 (!) existiert, über die Ultras 1975, Viking bis hin zum römischen Namensvetter, den Irriducibili. Starke Namen und vor allem Gründungszahlen, die in der Heimat für Gänsehaut sorgen. Die hatten hier sicherlich schon 3 Generationswechsel hinter sich bevor in den meisten deutschen Kurven überhaupt irgendwer das Wort Ultras auch nur auf eine Fahne schrieb. Eine berüchtigte, wenn auch politisch stark rechte Kurve, was den absoluten Gegenpol zum eher linken Stadtrivalen AC stellt.

Unter einem beständigen Fahnenmeer und mit einigen, direkt auf den Boden entsorgten pyrotechnischen Materialien untermalten Auftritt gab die Nordkurve eine wirklich gute Visitenkarte ab. Viele Leute stets dabei, quasi der gesamte zweite Ring beteiligte sich durchgehend an den Gesängen und Klatscheinlagen. Gehüpft wurde auch ein wenig, allerdings deutlich weniger geschlossen als aus anderen Ländern gewohnt. Für die große Zahl Supportwilliger kam dennoch nicht die ohrenbetäubende Atmosphäre heraus, die man sich anfangs ausmalte. Vieles ging im großen Bau schlichtweg unter, während der Großteil der restlichen Zuschauer mit Passivität in Sachen Support glänze. Dennoch ein ordentlicher Auftritt von Inter, wovon einige Momente sicherlich in Erinnerung bleiben werden.

Und damit wären wir auch schon beim Highlight des Abends: Den Gästen aus Rom. Ohne wirkliche Berührungspunkte mit dem italienischen Fussball hatte man keinen echten Plan, was man hier erwarten sollte. Klar ist die Roma ein Begriff, doch wie viele stemmen die lange Reise für ein Abendspiel? Die Antwort folgte in Form eines ausverkauften Gästeblocks in der bestmöglichen Form. Durch die gesperrten Blöcke in der Mitte quetschten sich die meisten Gäste in die von uns aus rechte Hälfte des dritten Ranges der Süd und flaggten ebenfalls mit den bekannten Fahnen der „Boys Roma“ an. Schon weit vor Anpfiff ertönten die ersten Hymnen und Anti-Inter Gesänge in den Himmel von San Siro, die schlichtweg Bock auf mehr machten. Das Spiel wurde entsprechend durch die mit Inbrunst vorgetragenen Vereinshymne eröffnet, untermalt mit einer starken Schalparade sowie etwas Rauch und einigen Fackeln. Fahneneinsatz im weiteren Verlauf sehr konstant, ebenso leuchtete und blinkte es sporadisch an vielen Ecken immer wieder.

Aber was am meisten gefiel waren diese wirklich geilen Gesänge. Das „Romaaa“ zieht sich einfach richtig gut, gleichzeitig waren die vorher noch nicht gehörten Melodien reine Musik in den Ohren. Dazu sei gesagt, dass der Gästeanhang ohne jegliche Trommel koordiniert wurde und dennoch nie im Kanon endete. Gerade nach den jüngsten Erfahrungen in England unvorstellbar. Abgerundet von den klasse Bildern der Klatscheinlagen ein denkwürdiger Auftritt, der definitiv zu den persönlich besten des Jahres zählen wird.

Neben dem Spektakel der beiden Kurven, dem schönen Stadion und dem Sonnenuntergang im Stadtpanorama wurde natürlich auch noch Fussball gespielt, doch das geriet beinahe zur Nebensache. Edin Džeko erzielte recht früh das 1:0 für Inter, was nach VAR-Entscheidung allerdings revidiert wurde. Bekamen wir nicht mit und wunderten uns zehn Minuten später, warum auf der Anzeigetafel ein torloses Unentschieden angezeigt wird. Die Hausherren schafften dennoch die Führung, was von den Gästen durch Paulo Dybala noch vor der Pause ausgeglichen wurde. Im zweiten Durchgang netzte Chris Smalling zum letztlichen 1:2-Auswärtssieg für die Roma, was den Gästeanhang in absolute Ekstase versetzte und den Heimbereich des Stadions bereits vor Abpfiff zur Hälfte leerte.

Hier gibt’s weitere Bilder!

Wir ließen die feiernden Romanisti noch einige Zeit auf uns wirken, ehe wir uns langsam wieder unseren Turm hinab schraubten. Im Umfeld des Stadions waren die Schlangen an den Verpflegungsständen nun deutlich kürzer, weshalb wir bei feinen Panini und Borghetti den Ausmarsch der Gäste nach ihrer knapp einstündigen Blocksperre beobachteten und den Gesängen ein letztes Mal lauschten. Im Anschluss ging’s statt zu einer weiteren Bar doch lieber zurück zur Bleibe, wo die am Vortag eingekauften Biervorräte vernichtet wurden. Am Ende die richtige Entscheidung, denn die folgende Nacht sollte ungeplant kurz werden…