17.03.2022
20. Spieltag Premier League
Everton FC - Newcastle United
Goodison Park
Endergebnis: 1:0 (0:0)
Zuschauer: 39.068 (ca. 3.000 Gäste)
Fotoalbum
Die Nacht war erwartet kurz, als wir uns am frühen Donnerstagmorgen aus den Federn schälten. Und die Sonne strahlte wieder, als wäre am Vortag nix gewesen. Immerhin! Fix gefrühstückt, ein paar Sachen gepackt und los ging’s mit dem Auto auf die gut zweistündige Fahrt nach Liverpool. Ging über die gut ausgebauten Autobahnen wie bisher gut runter, irgendwelche Staus oder Verzögerungen blieben uns komplett erspart. Entsprechend pünktlich erreichten wir die im Vorfeld via JustPark gebuchte Einfahrt eines Privathauses im Stadtteil Everton. In wenigen Minuten fußläufig zum Stadion und zehn Pfund für den ganzen Tag parken – kann man nix sagen. Generell eine App, die ich mit Blick auf die gewöhnlichen Preise für Parkhäuser in englischen Großstädten jedem ans Herz lege!
Noch immer freute ich mich wie Bolle auf das Spiel am Abend, für das man absolut zufällig über die letzten Resttickets stolperte. Einen Tag später meldete der Verein ausverkauft für das Nachholspiel gegen Newcastle. Man muss ja auch mal Glück haben! Absolut nicht auf dem Schirm hatten wir unterdessen das Datum, den die Tour nach Merseyside fiel ausgerechnet auf den St. Patrick’s Day. Hier zum Glück kein Feiertag, doch den besoffenen Massen und gesperrten Straßen in der Stadt mit der größten irischen Gemeinschaft außerhalb der grünen Insel wollten wir am Mittag dann doch noch ein wenig aus dem Weg gehen. Entsprechend liefen wir zunächst die wenigen hundert Meter zum Goodison Park und begutachteten diesen Koloss aus Wellblech und Backsteinen bei Tageslicht. Eine Schande, dass das Herz des Viertels in den kommenden Jahren weichen wird. Da geht ein gutes Stück Romantik unwiederbringlich verloren.
Ein wenig die Straße entlang geschlendert liefen wir anschließend durch den bekannten Stanley Park und fanden uns nur Minuten später an der Anfiel Road wieder. Fast schon surreal, diese beiden Stadien quasi in einem Sichtfeld in direkter Nachbarschaft zu erblicken. Die Heimstädte des Liverpool FC wurde entsprechend ebenfalls kurz von außen begutachtet, wobei der Fokus viel eher auf der Nachbarschaft lag, in die sich das Stadion nahtlos einfügt. Hier taten es uns ebenso die zahlreichen Murals an, die der zahlreichen Erfolge der Reds sowie verdienter Spieler gewidmet wurden. Einfach eine ganz besondere Atmosphäre, die hier in den beiden Arbeitervierteln Liverpools herrscht.
Im Anschluss machten wir uns per Bus auf den Weg in die Innenstadt, allen voran den knurrenden Mägen geschuldet. Im Liverpool One, einem neuen Shoppingcenter im Zentrum der Stadt ließen wir uns schließlich im „Zizzi“ nieder, einer etwas überpreisten Kette für italienische Spezialitäten. Uns trieb aber auch einfach die Lust auf Pasta und Risotto und außerdem darf man sich nach den Strapazen der Tage zuvor ja auch mal was gönnen, so die Devise. Mit entsprechend dicker Rechnung an der Backe erkundeten wir fortan das Royal Albert Dock, dem ehemaligen Umschlagplatz für Waren aus aller Welt und späteren Militärhafen. Heut buhlen hier zahlreiche kleine Gaststätten um die Gunst der Kunden, was insbesondere nachts einiges hermachen dürfte. Sehr schöne Gegend hier allgemein, wobei lediglich der vom Fluss peitschende Wind das Ganze ein wenig ungemütlich gestaltete.
Daher ging’s nach einiger Zeit zurück ins Zentrum, wo ein paar angesoffene Briten zwischen Megges und Wetherspoons ihren Mageninhalt unterwegs vergasen. Einen großen Unterschied zu Einkaufsmeilen sonstiger Städte stellte man natürlich nicht fest, da haben sich die Auswahl der Shops in fast ganz Europa zu sehr angeglichen. Aufmerksamkeit erregte allerdings ein Everton/Liverpool Fanstand, der allerhand originale Produkte zu deutlich günstigeren Preisen offerierte. Da ließ ich es mir nicht nehmen, den für den Abend geplanten Kauf eines Mitbringsels für die Sammlung in Blau-Weiß vorzuziehen. Bei erfolgter Übergabe des günstig erstandenen Stück Stoffs hörte ich von einer vorbeilaufenden Dame nur die Worte „Oh no, don’t get one from them. They are not going to win.“ – Lustige Situation und Präferenz der Stadt somit wohl auch geklärt!
Weiter ging’s noch kurz in die Mathew Street, dem absoluten Bar- und Kneipenviertel der Stadt. Der Ort, an dem im „The Cavern Pub“ die Beatles ihre Anfänge feierten. Heute zeigte sich die Straße aber in irischem Grün und unzähliger Livemusik, sodass man mit dem einmaligen durchschreiten der Passage alle bekannten englischen Mitgröhl-Songs mindestens einmal zu Ohren bekam. Brauch ich nicht jeden Tag, solche Party People. Dennoch hinterließ Liverpool über den Tag verteilt einen mehr als angenehmen Eindruck auf mich und ich denke, man könnte es hier auch etwas länger aushalten. Nur hab ich mit dem hier gesprochenen Scouse noch mehr Probleme als mit dem Birminghamer Akzent. Da versteht man teilweise wirklich gar nichts.
Mit dem Bus ging’s nun zurück nach Everton, wo noch fix einige unnötige Dinge ins Auto flogen, ehe wir in der einziehenden Nacht auf diesen nahezu surrealen, blau erleuchteten Kasten namens Goodison Park zuliefen. Gerade die Straßen mit ihren immer gleichen Häusern, durch die man direkt auf das Stadion zuläuft, wirken wie aus einer anderen Zeit. Fussball als Arbeitersport eben, wie er hier auf dieser Insel und mitunter auch an dieser Stelle gegründet wurde. Viel los war bereits auf den Straßen, einen abgesperrten Bereich oder Ring um das Stadion gibt es hier nicht. Wenn man durch die engen Schlitze der Ticketkontrolle hindurchschreitet, steht man direkt vor der Treppe nach oben – oder wahlweise Rolltreppe. Während des zähen Aufstiegs zu Block TB4 der Haupttribüne bereute man zwar die Wahl der Treppe, dafür belohnte man sich im obigen Umlauf mit einem Pint Carlington und einem nur in dieser Region erhältlichen Scouse Pie. Mundete fein und ging als Abendessen auch locker durch. Dann war es endlich soweit und wir schritten durch den Eingang in unseren Block.
Aus wirklich großer Höhe blickten wir hinab auf diese geniale Bude aus alten, blauen Holz-Klappsitzen. Ein unglaublicher Bau, der von recht neuer und einstöckigen Hintertortribüne bis hin zur riesigen, dreistöckigen Haupttribüne reicht. Charakteristisch sind die weißen Dachstützen, von denen man zumindest eine immer im Blickfeld kleben hat, egal wo man sitzt. Bei uns versperrte sie die Hälfte des Tores, stören tat das allerdings nicht wirklich. Viel mehr erfreuten wir uns am Ausblick auf diese schöne, alte Bude, die trotz ihrer schieren Größe durch die Eigenschaft als All-Seater für gerade mal 39.414 Schaulustige Platz bietet. Schade drum, dass die Bude nach erfolgtem Neubau an den Docks wohl in den nächsten Jahren weichen muss und somit der Everton FC zum ersten Mal seit 1892 aus seinem eigenen Viertel ausziehen wird. Diese halsbrecherischen Treppen des Oberrangs und das Zwangskuscheln dank Mindestmaß an Abstand mit Neben-, Vorder- und Hintermann bleiben auf jeden Fall in Erinnerung.
Kleiner Funfact: Von unseren Sitzen erblickte man zur rechten Seite die Anfield Road mit dem hell erleuchteten Logo des Liverpool FC. Naturgemäß der ärgste Rivale der Blues, mit dem man seit Bestehen um die Vorherrschaft in der Stadt kämpft. Gegenüber den ruhmreichen Reds konnten die „Toffees“, wie der Club ebenfalls genannt wird, allerdings nicht ganz mithalten. Dennoch sind die Zahlen erstaunlich. Neun Mal gewann Everton die Meisterschaft, während der wichtige FA Cup fünf Mal an den Goodison Park wanderte. Deutlich erstaunlicher ist jedoch die Zugehörigkeit zur höchsten englischen Spielklasse, denn hier halten die Blues den aktuellen Rekord. Als Gründungsmitglied der 1888 gegründeten Football League nahm man lediglich an vier Saisons nicht im Oberhaus teil. Abzüglich der Spielpausen während der Weltkriege steht der EFC damit bei sagenhaften 118 Erstliga-Saisons! Ein wahrer Dino eben, was sich ebenfalls auf das recht „klassische“ Stadionpublikum überträgt. Volle Hütte – wenig Stimmung.
Nach einem genialen Start zu Spielbeginn kam da recht wenig bis nichts mehr von den Rängen, vereinzelte und nur für wenige Sekunden anhaltende „Everton“-Rufe waren da noch das Höchste der Gefühle. Dafür gab’s hinterm Tor zu Beginn ein kleines blau-weißes Fahnenmeer sowie eine große Blockfahne, auf der das Straßenschild der „Gwladys Street“ abgebildet war, an der die Tribüne liegt. Dennoch gefiel es uns irgendwie auf den Rängen. Waren es die alten Rentner mit Schiebermütze, die den Kick stillschweigend verfolgten, oder auch der ungefähr Achtjährige hinter uns, der nicht müde wurde die gegnerischen Spieler „fockin’ donkies“ zu bezeichnen. Hatte einfach seinen eigenen Flair hier und gerade wenn Everton mal vors Tor kam, bebte die Bude.
Die Gäste des von saudischen Ölscheichs übernommenen Clubs aus Newcastle zeigten sich dagegen deutlich aktiver. Gut 3.000 waren es auf einen Donnerstagabend im ausverkauften Gästeblock, bei etwa 3,5 Stunden pro Strecke absolut bemerkenswert. Und die Jungs hatten augenscheinlich richtig Bock und waren pausenlos in Bewegung. Dauersupport und ebenfalls laute Gesänge, die allerdings ab und an im Kanon versandeten. Oder es wurde auf jedem der drei Ränge ein anderes Lied angestimmt, kam auch mal vor. Die typischen Gesten hin zum kleinen Heimmob auf dem Sir Philip Carter Park Stand durften auch nicht fehlen und passten gut rein, ebenso wie das laute „Fock off to the Championship!“. Definierte auch gut die sportliche Situation des Kellerduells.
Everton, im übrigen von Chelsea-Legende Frank Lampard trainiert, auf Platz 17 punktgleich mit einem Abstiegsplatz trifft auf den Tabellen-14., der ebenfalls vor nicht allzu langer Zeit Erfahrung mit Platzierungen am Tabellenende machte. Richtig wichtiges Ding für die Hausherren, doch ins Spiel kamen die Gäste deutlich besser. Zählbares kam im ersten Durchgang nicht bei rum, dafür wurde man zu Beginn der zweiten Hälfte Zeuge einer absoluten Kuriosität. Ein in Orange gekleideter Protestler kettete sich per Kabelbinder um den Hals am Torpfosten auf der Heimseite fest und demonstrierte gegen irgendwas mit Öl, wahrscheinlich gerichtet gegen die neuen Eigentümer der Gäste. Die herbeieilenden Ordner wussten zunächst nicht was zu tun ist, während ein erster Anhänger der Blauen ebenfalls auf den Platz stürmte und dem Demonstranten dabei half, die Zähne zu richten. Nach einigen Minuten musste ein Bolzenschneider her um die Situation zu lösen, sodass die anrückenden Cops die mittlerweile drei Beteiligten unter tosenden Pfiffen vom Platz geleiteten.
Nach der langen Unterbrechung blieb das Spiel wie gehabt, sprich Newcastle drückte auf das Tor und Everton parkte den Bus irgendwo an der Grundlinie. Eine rote Karte nach VAR-Entscheidung aus dem nichts schwächte die Hausherren zusätzlich und wog die noch immer lauten Gastanhänger in die Gewissheit, einen direkten Konkurrenten auf Distanz zu halten. Und dann kam die Nachspielzeit. Ganze 14 Minuten wurden angezeigt, in denen beide Seiten nochmal alles nach Vorne warfen. Irgendwie lag das kleine Wunder immer greifbarer in der Luft, bis schließlich Spielminute 90+9 anbrach. Der erste, gut ausgespielte Konter der Blauen saß zum alles entscheidenden 1:0. Absolute Eskalation im gesamten Stadion, etliche Leute sprinteten auf den Platz, alle lagen sich in den Armen und intonierten einen der lautesten Gesänge, die ich jemals in einem Stadion hören durfte. Ein wahrer Stimmungs-Orkan fegte nun durch den Goodison Park und besiegelte letztlich den überaus glücklichen Heimsieg in Unterzahl. Wahnsinn, was hier abging. Aus dem Gästeblock stieg unterdessen schwarzer Rauch und die meisten Anhänger Uniteds zogen bereits von dannen. Pyroeinsatz in allen drei Spielen hätte ich in England im Vorfeld jetzt auch nicht unterschrieben.
Dann war die Messe gelesen und der Vereinssong wurde mit lauter Inbrunst gesungen, während sich das Stadion dann doch typisch fix leerte. Kaum das erlebte auch nur ansatzweise verarbeitet stapften auch wir wieder die Treppen hinunter zur Straße und zogen die paar Minuten zum Auto. Ein leichtes Piepsen im Ohr ist einfach das schönste Mitbringsel von einem Stadionbesuch! Einfach ein geiles Erlebnis! Kurz Luft geholt und ab ging die wilde Rückfahrt, die laut Navi wie am Vormittag zwei Stunden dauern sollte. Was kann da nachts schon schiefgehen? Naja, erstmal der Abfahrtsstau durch die nahen Viertel, da hier absolut keine Schnellstraße zwischen die Häuser passt. Also erstmal eine gute halbe Stunde zwischen Everton und Anfield verloren, ehe es auf die Autobahn ging. Eine Baustelle samt Stillstand kostete wieder einige Minuten, bevor es zwischen Walsall und West Bromwich aufgrund einer gesperrten Autobahn richtig dicke kam. Geschlagene 45 Minuten verloren wir wenige Kilometer vor dem Ziel, und das irgendwann um Mitternacht. Zum kotzen. Nach insgesamt dreieinhalb Stunden für etwas über 160 Kilometer fielen wir fix und fertig in die Kiste.
Der restliche Trip ist schnell erzählt: Freitag verbrachten wir wieder in Möbelhäusern und Supermärkten, ehe mittags das Chinese Quarter von Birmingham erneut getestet und abermals für sensationell befunden wurde. Bei gutem Wetter wurde ebenso eine kleine Runde durch die Einkaufspassagen der Innenstadt gedreht, während Samstag ein Blick auf die alten Kanäle der Stadt geworfen wurde. Definitiv ein Anlaufpunkt für kalte Getränke im Sommer! Wie schon erwähnt haben wir bei weitem noch nicht alles in der Stadt gesehen, aufgrund der neuen Basis hier aber definitiv zeitnah einige Chancen zur weiteren Erkundung der Viertel bekommen. Das bisher gesehene gefiel auf jeden Fall schonmal! Samstagnachmittag läutete dann leider auch das Ende des einwöchigen Trips auf die Insel ein. Nachdem sich von der Familie fürs erste verabschiedet wurde, ging’s mit dem Auto via Northampton die zwei Stunden zurück nach Stansted, wo es die schmierigen Mietwagen-Typen wieder versuchten, uns extra Kohle abzunehmen. Ein Schaden sei an der Felge, der nicht auf seinem System markiert wäre. Da warte jetzt Papierkram auf uns. Blöd für ihn, dass ich bei Abholung aus exakt diesem Grund um die 40 Fotos von der Karre schoss und seinen Versuch zunichte machte. Ein lachendes „Lucky you!“ und dem folgenden abhaken des Zustands als OK unterstrich die Masche dieses Ladens. Ich sag’s gerne nochmal: Finger weg von Europcar in Stansted! Mit dem Shuttle ging’s danach zum Terminal, wo im lokalen M&S eine gute Portion Nudeln verdrückt wurden, ehe uns die irische Harfe ohne Beanstandungen zurück nach Frankfurt brachte.