Parva Liga: PFC Lokomotiv Plovdiv – PFC CSKA Sofia

20.10.2019
13. Spieltag Parva Liga
PFC Lokomotiv Plovdiv - PFC CSKA Sofia
Stadion Lokomotiv
Endergebnis: 1:0 (1:0)
Zuschauer: 4.500 (ca. 800 Gäste)
Fotoalbum

Mit dem letzten Kick der Tour verband man große Vorfreude, gleichzeitig aber auch ebenso große Ungewissheit. Mit den Terminierungen der Spiele gut drei Wochen vor Start der Tour stand fest: Ein Tagestrip von Sofia nach Plovdiv ist machbar und sollte spielerisch zu keinen großen Überschneidungen führen. Klar, so sollte man das kleine Derby zwischen Septemvri und Lokomotiv Sofia in der zweiten Liga verpassen, aber mal ehrlich: CSKA Sofia auswärts hört sich doch deutlich besser an. Dazu gab’s noch eine zweite Stadt zu Gesicht, was das für vier Tage zu dünne Sightseeing-Programm Sofias ordentlich aufwertete. Bezüglich Loko Plovdiv hatte man derweilen noch keinen Plan, wird aber schon nicht schlecht werden.

Doch kurz nach Terminierung dann die Ernüchterung: Nach Plovdiv käme man sonntagmorgens ohne Probleme, aber zurück fährt der letzte Bus als auch der letzte Zug um 20.00 Uhr. Bei einer Anstoßzeit von 17.45 und der Stadionlage im am weitesten vom Stadtzentrum entferntesten Randbezirk natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Schafft man das? Vielleicht mit nem Taxi? Einen Tag grübelte man, ehe schließlich der Entschluss stand: Scheiß drauf, dann mieten wir uns eben nen Wagen. Letztlich zahlte man, dank Kurzfristigkeit und vorsichtshalber höchster Versicherungsstufe zwecks dortigen Straßenverhältnissen, etwas über 40 Taler, bekam dafür dann aber auch ne Karre mit ordentlich was unter der Haube. Gut, zwar nur ne Opel Limousine, allerdings im Vergleich zum heimischen Gefährt eine echte Steigerung.

Gebucht hatte man eigentlich nur die kleine Kategorie, doch der dortige Vertreter meinte es wohl ganz gut mit uns, respektive hatte vielleicht auch nix anderes zur Verfügung. Abholen durfte man den Wagen dann in aller Frühe am zentralen Hotel Balkan in Serdika, also fußläufig von unserer Bleibe im Zentrum. In gut zwei Stunden erreichte man schließlich Plovdiv, parkte irgendwo in einer Seitenstraße und begab sich auf das ausufernde Sightseeing-Programm, was die europäische Kulturhauptstadt 2019 nunmal zu bieten hat. Echt nett hier, kann ich nur empfehlen.

Am späten Nachmittag ging’s mit dem Wagen gen Stadtrand in die Nähe des Stadions, wobei man sich mit der Suche eines geeigneten Parkplatzes in den schon stark gefüllten Straßen schwer tat. Fündig wurde man auf einer Baustelle, was nach uns auch etliche andere für sich nutzten. Trendsetter eben. Echt was los hier, insbesondere im Vergleich zum Vorabend bei Levski. Ab diesem hatte man sich innerlich schon mit einer mager besuchten Veranstaltung abgefunden, schien doch das Interesse am bulgarischen Ligabetrieb nicht ganz in der Bevölkerung angekommen zu sein. So zumindest die Gedanken, während man sich den Weg über die unbefestigten Bürgersteige gen Stadion bahnte.

An den Stadiontoren waren die Schlangen eine gute dreiviertel Stunde vor Anpfiff dann aber bereits ordentlich. Dort deckte man sich mit zwei Tickets zu je 12 Lewa (etwa 6,20€) für die Haupttribüne ein und betrat wenig später das Stadionumfeld. Alter, was hier an Potenzial rumläuft, ist fast nicht mehr feierlich. Nahezu jeder der bereits hunderten komplett in schwarz gekleideten Loko Anhängern machten den Anschein, sich zumindest einer aktiven Kategorie an Fanatikern zuzuordnen. Da war von der typischen Italo-Ultra Jogger-Crew bis zum aufgeblasenen drei Meter Rücken mit Glatze so ziemlich alles dabei, was man sich nur vorstellen kann. Gefühlt ein gutes Level über dem Klientel, was sich am Vorabend bei Levski so rum trieb.

Dennoch schlenderte man komplett unerkannt durch die Massen und machte kurz am Fanshop halt, der hier augenscheinlich von der aktiven Szene betrieben wird. Daher wanderten auch ein paar schicke Sticker und ein Seidenschal in die heimische Sammlung. Die letzte Hürde vorm betreten der heiligen Ränge stellte mal wieder die Zugangskontrolle dar, die, wie schon am Vorabend, von der finster dreinblickenden Riot-Police durchgeführt wurde, obligatorischer ID Check inklusive. Danach folgte noch eine anstrengende Körperkontrolle beim Ordnungsdienst, der nicht nur das innere des Schlüsselbundes, sondern jedes einzelne Geldbeutelfach nach was weiß ich kontrollierte, dann war es endlich geschafft.

Die ersten Blicke wanderten durch die geile weiße Schüssel, von der man bis vor ein paar Jahren nicht mal wusste, dass sie überhaupt existiert. Hammer Teil, ohne Frage. Vor allem die große Gegengerade mit dem „Lokomotiv“-Schriftzug ist einfach nur mächtig, ebenso wie die Kurve mit dem mittigen Gästeblock. Die Heimkurve fiel leider vor noch gar nicht allzu langer Zeit dem Abrissbagger zum Opfer. An gleicher Stelle füllt nun ein Mini-Stehblock die klaffende Lücke, auf den vielleicht 300 oder 400 Leute passen. Die Haupttribüne, auf der wir uns befanden, fiel dabei verhältnismäßig winzig aus und verfügte über zwei Mal sechs Sitzreihen, wobei man in der untersten Reihe quasi auf dem Boden saß, kein Witz.

Natürlich traf man genau diese Reihe und gab die eigenen Sitze schon beim Anblick auf. Fast schon komisch wirkt dabei der vielleicht kniehohe Zaun zum Spielfeldrand, vor allem mit Blick auf den komplett abgeschirmten Gästekäfig. An einen Platzsturm wär da aber dennoch nicht zu denken, da sich zwischen Block und Rasen noch eine Reihe Polizisten aufstellte. Bei dem Aufgebot stieg natürlich die Erwartungshaltung entsprechend, wobei sich die Bude erst gen Ende füllte. Während sich schon früh zwei Stimmungsblöcke der Heimseite abzeichneten (Gegengerade und Mini-Block hinterm Tor), machte der Gästeblock noch lange einen verwaisten Eindruck. In selbigem gab’s übrigens keine Verpflegung zu haben, lediglich Wasser wurde außerhalb des Zauns, aufbewahrt in sicherer Entfernung, an die roten Gäste verkauft.

Klar wusste man zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie viele CSKA-Schlachtenbummler die Strecke auf sich nehmen. Doch die bereits anwesenden lieferten mit einigen Anti-Gesängen schonmal einen Vorgeschmack auf die kommenden zwei Stunden. Und ich muss sagen… selten wurde ich von einem Spiel so dermaßen positiv überrascht, nein, schlichtweg begeistert, als vom heutigen. Etwa fünf Minuten vor Anpfiff war die Bude fast voll und unserer Tribüne scheinbar ausverkauft, sodass man froh war, dann doch recht früh angekommen gewesen zu sein. Glücklicherweise scherte sich keiner um den rechten Platz, sodass wir auf unseren nun deutlich besseren Sitzen, später stehend am Geländer, den besten Blick auf das sich nun abzeichnende Spektakel werfen konnten. Und es wurde einfach Wahnsinn.

Angestimmt von zwei Capos, jeweils einer auf der großen Gegengerade und dem Stehbereich, fegte ein erster Gesangsorkan durch das ausufernde Rund. „Loko“-Schlachtrufe und bekannte Melodien, dazu viel Hass gegen die Gäste. Brachial, zumeist mit einer Stimme. Unglaublich. Fast das gesamte Stadion trug die Gesänge, später bekam sogar die Haupt noch einen eigenen Capo abgestellt. Brachial, bockstark! Dazu eröffnete die Gegentribüne noch mit einer großen Wurfrollenaktion die Partie, welche erstmal zu einer mehrminütigen Unterbrechung führte. Danach zeigte die führende Gruppe „Lauta Army“ (benannt nach dem gleichnamigen Park, in dem sich das Stadion befindet) eine Choreo bestehend aus hunderten schwarz-weiß-roten Mini-Schwenkern und dem Gruppenlogo als Blockfahne. Erst nach Beendigung fanden die üblichen Fahnen den Weg an den Zaun, darunter auch eine der befreundeten Ultras aus Napoli.

Schnell wurde die jeweilige Ausrichtung der Heimblöcke bemerkbar: Auf der Hintertorseite die Ultras mit Doppelhaltern, viel Bewegung und teils freien Oberkörpern, während die Gegentribüne eher aus Kutten und Hools besteht. So mal der Eindruck, der sich hier ergab. Ab und an kam es daher mal vor, dass beide Kurven unterschiedliche Lieder anstimmten, was sich nach einigem Hin und Her dann aber wieder legte. So manchmal in Phasen, in denen der Ultra-Haufen einen eher melodischen und somit leiseren Part vortrug, die Gegen dann aber einen einfacheren Gassenhauer anstimmte. Kam allerdings selten vor. Insgesamt ein unglaublicher Auftritt der Heimseite, den man in der Art bei Leibe nicht auf dem Schirm hatte.

Zur Perfektion des Abends fehlte da aber noch der Gästeblock, der erst kurz vor Anpfiff Form annahm, als so langsam die aktive Szene eintrudelte. Direkt schallten die ersten lautstarken Gesänge durchs Rund, getragen von nahezu jedem der anwesenden Hauptstädter. Erst nach und nach fanden die jeweiligen Gruppenfahnen den Weg an den Zaun, die wirklich durch die Bank gleich groß und in der gleichen Form ausfielen. Keine Hauptfahne, kein Vereinslogo. Auch auf sonstiges Tifo verzichtete man größtenteils. Lediglich zwei Doppelhalter der Gruppe „Ultra North“ erblickten ab und an das Tageslicht.

Die Marschrichtung war klar: Volle Konzentration auf die lautstarke Unterstützung der eigenen Mannschaft. Und ja, auch CSKA lieferte einen unglaublich guten Auftritt ab. Dabei überzeugten die geschätzt 800 Gäste mit einer gesanglichen Geschlossenheit, insbesondere bei Schlachtrufen und Klatscheinlagen. Da zog wirklich jeder mit. Entsprechend wuchtig und brachial kam das Ganze dann auch rüber, sodass man den Auftritt wohl auch im Heimbereich mitbekam. Gegenseitige Hassgesänge fanden zumindest immer eine direkte Antwort.

Im Vergleich zur eher einfacheren Liedauswahl bei Lokomotiv war der Auftritt der Roten dann auch etwas „ultra-lastiger“ mit vielen bekannten Melodien aus Europa. Nicht fehlen durfte dabei auch das allseits verbreitete „Allez Allez Allez“, was mit den Ostblockstimmen dann doch nochmal ganz anders rüberkam als in Frankreich, England oder Deutschland. Man merkt, wir waren schwer begeistert. Da fiel die Kinnlade nicht nur einmal runter, während sich in manch leidenschaftlichen Gesangsduellen die Haare am ganzen Körper stellten. Rückblickend eigentlich unglaublich, was in Zahlen recht wenig erscheinende 4.500 Fussballfanatiker auf die Beine stellen.

Und dann war da ja noch das Spiel, was sich, im Gegensatz zu den dürftigen Partien der beiden Vortage, der Atmosphäre anglich und ebenso einen hohen Unterhaltungswert besaß. Dabei setzten vor allem die Eisenbahner, die im aktuell von Ludogorez Rasgrad dominierten bulgarischen Fussball 2019 das Wunder des nationalen Pokalsiegs schafften und daher sogar international u.a. gegen Straßbourg unterwegs waren, anfangs ein Ausrufezeichen und gingen offensiv ins Spiel. Nur sieben Minuten dauerte es, ehe die Kugel plötzlich im Kasten landete. Führung für Loko, Eskalation auf den Rängen. Schwer in Worte zu fassen, was hier nun abging.

Und auch danach blieb Plovdiv die bestimmende Mannschaft, während CSKA, seines Zeichens mit 31 Meistertiteln, 20 Pokalsiegen und drei Halbfinalteilnahmen im europäischen Wettbewerb (darunter zwei Mal im Europapokal der Landesmeister) der erfolgreichste Verein des Landes, lange Zeit das Nachsehen hatte. Kurzer, vereinshistorischer Einschub, der Aktualität wegen: Wer sich bereits mit dem bulgarischen Fussball befasst hat, wird mitbekommen haben, das CSKA 2016 Pleite ging. Demnach erfolgte ein Entzug der sportlichen Lizenz, was letztlich größere Konsequenzen nach sich zog. Zum Erhalt des Spielbetriebs wurde die Lizenz eines anderen Vereins übernommen, sodass CSKA „nur“ eine Liga runter musste und bereits ein Jahr später wieder in der ersten Liga antrat.

Diesem Weg folgte ein Großteil der aktiven Fans, jedoch nicht alle. So gründeten einige mit der Prozedur nicht einverstandenen Hauptstädter einen neuen Verein in der tiefsten, vierten Liga: Der FC CSKA 1948 Sofia, ein Fanverein, ähnlich wie in Manchester, Wimbledon oder Hamburg. Dieser schafft in der jungen Vergangenheit mit zwei Meisterschaften und damit verbundenen Aufstiegen bereits den Sprung in die Zweitklassigkeit, wo man, zum Zeitpunkt unseres Besuchs, ebenso vom Platz an der Sonne grüßt. Somit könnte es im nächsten Jahr zum direkten Duell zwischen dem PFC CSKA und dem FC CSKA kommen. Interessieren würde mich in dem Moment, wie das womöglich baldige Duell auf den Rängen ausgetragen wird… Aber nun erstmal zurück zum hier und jetzt.

Erst spät im zweiten Durchgang wurden die Gäste nochmal gefährlich. Zu allem Überfluss für die Hausherren dezimierten sich diese in der 82. Minute durch eine unnötige gelb-rote Karte selbst, was den letzten zehn Minuten vollends Feuer verlieh. Spannende Kiste nun, doch Loko rettete die dünne Führung, getrieben vom durchweg abdrehenden Publikum, über die Zeit. Dem Schlusspfiff folgte ein emotionaler Jubel im gesamten Rund mit ausschweifender Feier der eigenen Mannschaft.

Im Gästeblock hingegen hing der Haussegen gewaltig schief. So kam es zur Aussprache mit dem Anhang, der noch einige Trikots, Schals und Fahnen (u.a. ein „Hooligans“-Lappen) von Loko am Zaun verbrannte. Danach leerte sich das weite Rund und die lauten Gesänge fanden langsam ihr Ende. Die Gäste harrten derweilen noch ihre obligatorische Blocksperre aus. Schweigend, nur im Schein des brennenden Zaunes und der nicht ganz so starken Flutlichter. Wir ließen die Szenerie noch zehn Minuten auf uns wirken, ehe uns der Ordnungsdienst hinauskehrte. Durch die Dunkelheit stapfte man wieder gen Auto, mit welchem man den etwa zweistündigen Rückweg nach Sofia antrat.

Hier gibt’s viele weitere Bilder!

Vor der Tour und vor allem nach den bisherigen Eindrücken aus den Stadien zweifelte man noch ein wenig, ob sich der Aufwand und die Kosten für den Kick lohnten. Die Antwort darauf? Während dem Kick, kurz danach und auch noch mit etwas zeitlichem Abstand: Jeden verdammten Cent war es wert. Mein Highlight des Jahres 2019. Punkt.