19.05.2017 10. Spieltag Europa League Playoffs Standard Liège - Lierse SK Stade Maurice Dufrasne Endergebnis: 2:0 (1:0) Zuschauer: 10.156 (300 Gäste)
Während sich die Saison so langsam dem Ende näherte, drängte noch ein wenig die Lust auf etwas Neues. Da der eigene Verein zuletzt mehr als verdient die Meisterschaft in der Regionalliga und die damit verbundene Teilnahme an den Aufstiegsspielen klarmachen konnte, hatte man natürlich auch die innere Bestrebung, diese nicht zu verpassen. Da das letzte Wochenende aber spielfrei blieb, eröffnete sich die erneute Möglichkeit für einen kleinen Trip.
Im Endeffekt entschied man sich aus privaten Gründen gegen ein komplettes Wochenende in der Ferne, nicht zuletzt ein Stadionfest in der Heimat war dafür ausschlaggebend. Nach einer kurzen Recherche fiel schnell der Blick auf Belgien, da dort auch freitags spiele stattfinden sollen. Ohne große Überlegung wurde der Besuch bei Standard Lüttich in Angriff genommen, die in ihrem letzten Saisonspiel gegen den Lierse SK antraten.
Etwa eine Woche vor der Partie machte man sich, unwissend wie man war, aufgrund der Sorge um ein ausverkauftes Spiel auf die Suche nach Karten. Die eigenen stark begrenzten Fähigkeiten in romanischen Sprachen sollten uns nicht davor abschrecken, zwei Tickets über die offizielle Website zu bestellen. Die dort vorhandene, sehr geringe Auswahl an Karten suggerierte einen klasse Endspielcharakter mit Bombenstimmung vor ausverkauftem Haus. Die Vorfreude war groß, die Tickets für je 15€ deshalb schnell gekauft. Leider gabs als Auswahl nur e-Tickets, was einen Ticketsammler wie mich natürlich alles andere als zufriedenstellt.
Mit dem Wehrmutstropfen gings also an die Planung. Da der Freitag sowieso freigehalten werden konnte, sollte die Abfahrt gegen 11 Uhr morgens erfolgen. Danach noch eine Runde durch die Stadt, bevor um halb neun das Spiel losgeht. Das Ganze wurde zwei Tage zuvor, also Mittwochs, bei knapp über 30° im Trierer Umland festgelegt.
Das Schmuddelwetter freitagmorgens machte somit nicht nur schlechte Laune, sondern durchkreuzte die Planung schon vor dem Frühstück. 8° und Dauerregen, die definitiv keine Lust auf fünf Stunden Stadtbesichtigung machten. Los gings deshalb erst um zwei Uhr mittags. Zwecks billigen Treibstoffs wurde noch schnell ein Schwenk durch Luxembourg und den Feierabendverkehr gemacht, bevor man auch schon die Grenze Belgiens, genauer gesagt die Region Wallonien erreichte. Von da an wurden die Autobahnen leerer und zum Glück auch der Regen weniger.
Nach insgesamt dreieinhalb Stunden Fahrt erreichte man Lüttich, die zweitgrößte Stadt der Region mit knapp 200.000 Einwohnern, früher auch „glühende Stadt“ genannt. Den Spitznamen verdankte sie den zahlreichen Hochöfen der Schwerindustrie, die die Stadt lange prägen sollte. Heute sind die meisten Fabriken verschwunden, der Stil einer alten Arbeiterstadt ist aber noch weitgehend erhalten.
Der letzte Besuch lag ein wenig länger als ein Jahr zurück, damals wurde aber nur der Stadtteil Seraing besichtigt. Nun sollte, trotz des miesen Wetters, auch einmal die Innenstadt unter Augenschein genommen werden. Aufgrund horrender Parkpreise im Zentrum durchforstete man einige Erfahrungsberichte im Internet und wurde schnell auf eine günstigere Alternative aufmerksam. An dem oberen Ende der Treppe „Montage de Bueren“, eines der vielen Wahrzeichen der Stadt, könne man Parken für lau. Und tatsächlich wurde an selbiger Stelle ein Stellplatz gefunden.
Ob es wirklich nichts kostete konnte man zu diesem Zeitpunkt nicht feststellen. Bei dem Wetter wird aber sowieso keiner kontrollieren, so der Gedankengang, mit dem man auch Recht behielt. Mit wirklich schöner Aussicht über gesamt Lüttich ging es die 374 Stufen hinunter in die wunderschöne Altstadt. Nach einem kurzen Rundgang kehrten wir in eine typisch belgische Imbissbude ein, in der, natürlich neben Pommes auch die ein oder andere Frikandel verputzt wurde. Danach eröffnete sich der negative Aspekt des kostenlosen Parkplatzes: Die Treppe zum Auto musste auch nochmal erklommen werden.
Nach der gefühlten Bergbesteigung fuhren wir in den Lütticher Stadtteil Sclessin zum eigentlichen Grund unserer Reise. Auch dort fand man schnell einen Parkplatz und machte sich auf den kurzen Weg in Richtung Stadion. Die Straße führte uns durch ein typisches, altes Arbeiterviertel, was starke Ähnlichkeiten zu Städten in England aufwies. In den vielen kleinen Kneipen am Wegesrand tummelten sich schon viele Anhänger der Roten und begossen den Durst vor dem Spiel. Nach ein paar Außenaufnahmen betraten wir auch schon das Gelände, wo nochmal ein kleiner Rundgang erfolgte.
Als erste Anlaufstelle diente zunächst der Fanshop, der an diesem Tag jedoch kein Geld von uns bekommen sollte. Trotzdem ging man nicht mit leeren Händen raus: Immer noch unglücklich über die faden e-Tickets wurde einfach mal beim Personal hinterm Tresen nachgefragt, ob man uns nicht einfach neue Karten ausdrucken könne. Nach einigem hin und her aufgrund Verständnisproblemen wurden uns zu unserer vollsten Zufriedenheit die Tickets frisch ausgedruckt.
Endlich mit fester Kartonage in der Hand betraten wir den Oberrang der Tribüne 2, wieder über die Treppen, versteht sich. Den Muskelkater merkte man noch Tage später. Beim Betreten des Ranges machte das Stadion Maurice Dufrasne (oder Stade de Sclessin) einen schicken Eindruck, besticht es doch vor allem aufgrund der dreistöckigen Tribünen auf drei von vier Seiten. Komplett mit Sitzplätzen ausgestattet fast es gut 30.000 Zuschauer, was es zum zweitgrößten Stadion Belgiens macht.
Von dieser Marke war man an diesem Abend aber meilenweit entfernt. Selbst 20 Minuten vor Anpfiff war ein Großteil der Bereiche nur spärlich gefüllt oder gar gänzlich verweist. Sollte es nicht fast ausverkauft sein? Ach ja, die kommen wohl erst kurz vor Anpfiff. Denkste! Wohl enttäuscht über das Abschneiden des eigenen Clubs in den Playoffs blieb der Großteil der Dauerkartenbesitzer zu Hause.
Apropos Playoffs: Das Liegensystem in Belgien gehört bekanntermaßen zu den kompliziertesten der Welt. Mit zahlreichen Relegationen, Tabellenteilungen und Playoff-Runden ist auch das Kuriosum des Spieltags nicht verwunderlich, dass der Erstligist aus Lüttich eines der Entscheidungsspiele um einen internationalen Startplatz in der Europaleague gegen einen Zweitligisten austrägt.
Denn nach einer normalen Runde in der ersten Liga (mit 16 Mannschaften) wird die Liga geteilt: Die ersten 6 Mannschaften spielen in einer eigenen Liga die Meisterschaft aus, die Plätze 7-14 werden in je zwei Gruppen eingeteilt, die mit jeweils zwei Teams der Top Vier der zweiten Liga aufgefüllt werden. Diese zwei Gruppen erspielen in zehn Spieltagen einen Sieger, der wiederum noch weitere zwei Spiele gewinnen muss, um in der Qualifikation der Europaleague zu stehen.
Dass darauf kein normaler Fan mehr Bock hat, sieht man am drastischen Zuschauerschwund in diesen unnötig komplizierten Runden. Spielt der zehnmalige Meister und sechsmalige Pokalsieger Royal Standard Club de Liège 1898 normal vor fast vollem Haus, so blieben selbst zu Anpfiff die Meisten Plätze leer. Ich würde die Zahl auf etwa 8.000 schätzen, da leider von einer Verkündung der offiziellen Zahl abgesehen wurde (Edit: tatsächliche tauchte die offizielle Zahl von 10.156 Schaulustigen einige Tage später im Internet auf). Der Gegner des Tages war der Lierse SK, seines Zeichens übrigens auch schon vier Mal Meister, im Moment aber nur in der zweiten Liga beheimatet.
Pünktlich zum Anpfiff sollte die erste Bewegung auf den Rängen aufkommen. Während im Heimbereich zunächst nur eine große „Hell Side“-Zaunfahne die Tribüne zierte, kamen nach und nach mehr Leute in den zweiten Rang der Tribüne 3. Auch die große „Ultras Inferno“-Fahne fand ihren Weg an den Zaun, leider aber falsch herum. Somit waren zu diesem Zeitpunkt alle Hoffnungen auf Stimmung vernichtet. Immerhin gab es vom kleinen Haufen einige zaghafte Stimmungsversuche, die jedoch überwiegend nach ein paar Sekunden wieder verhallten.
Auch der Gästeblock zeigte sich zunächst komplett leer, doch nach einigen Minuten der schon laufenden Partie fanden immer mehr Anhänger der schwarz-gelben den Weg ins Stadion. Die sporadischen Anfeuerungen des Gästeanhangs ohne erkennbaren Vorsänger nahm man aber gerne mit, war es bis dahin doch das einzige stimmliche Highlight des Tages.
In der 15. Minute enterte plötzlich ein größerer, junger Casual-Haufen den Gästeblock und stimmte laute Gesänge an. Mit nun gut 300 Mann lieferte der Gästemob einen sehr starken Support ab. Der Stil war dabei sehr stark an England orientiert, wodurch Klassiker wie „We love you, and everywhere you go, we follow“ und das etwas neuere „Don’t take me home“ ins Ohr schallten. Durch den Auftritt der Gäste fühlte sich auch irgendwann die Heimkurve genötigt, die Stimme zu erheben. Und plötzlich wurde es dann doch laut in Sclessin, was aber leider nur von kurzer Dauer war. Der Heimmob war ab diesem Zeitpunkt zwar durchgehend in Bewegung, doch die gut 70 Mann des harten Kerns konnten nur selten zu uns durchdringen.
Mit der Stimmhoheit inne begannen die Gäste dann auch mit dem Pöbeln in Richtung Heimkurve, sowie in Richtung Außenbereich des Stadions. Leider konnte man den oder die Adressaten der Aggressionen der Gäste nicht ausmachen, die sogar eine Sitzschale zur Verstärkung ihrer Argumente nach unten katapultierten. Währenddessen wurde auch Fussball gespielt, was an diesem Tag aufgrund der sportlichen Bedeutungslosigkeit eher weniger interessierte. Alles in allem war Standard in der ersten Halbzeit klar besser und konnte in der 23. Minute verdient in Führung gehen.
In der Halbzeitpause knurrte der Magen, weshalb es nochmal raus aus der Tribüne ging. Neben Getränken wurde uns auch ein undefinierbares Etwas mit orangener Soße verkauft, was als Cheeseburger ausgezeichnet wurde. Geschmacklich so zwischen altem Frittenfett und Brötchen von Gestern, aber die Soße war ganz gut. Bezahlt wurde das Ganze mit handlichen Chips, die man vorher an kleinen Buden gegen Echtgeld umtauschen musste.
Danach gings wieder hinauf auf den Oberrang, wo wir uns diesmal Plätze weiter oben aussuchten. Leider erledigte sich das Thema Stimmung auf der Heimseite wieder, da der Großteil der Ultras nicht zurück ins Stadion kam. Die Gründe dafür sind mir leider nicht bekannt, jedenfalls ertönten zu diesem Zeitpunkt zwei laute Kanonenschläge aus dem Inneren der Heimtribüne, gepaart mit Blicken vieler Schaulustiger ins Innere.
Nach einigen Minuten des Spiels kamen auch die Gästefans, an die man vor dem Spiel keinerlei Erwartungen hatte, wieder zurück in ihren Block. Sichtlich dem Alkohol ergeben hatten diese komplett unabhängig vom Spiel ihren Spaß: Neben dem ständigen Herumwerfen von gefundenen Dingen, zu denen auch ein aufblasbarer Strandball gehörte, war es vor allem ein purzelbaumschlagender Fan, der die Meute toben lies. Zudem gabs drei Mal gelben Rauch, den die Gäste mit ihren lauten Gesängen feierten.
Auf dem Platz dominierte Lüttich weiterhin und vergab Großchancen im Minutentakt. Das zweite Tor für Standard fiel erst in der 90. Minute, welches die Gäste einfach mitfeierten. Nach einer kurzen „Danke fürs kommen“-Ansprache des Stadionsprechers leerte sich das Stadion schnell, nur die Gäste feierten ihre Mannschaft und sich selbst bis weit nach dem Abpfiff. Nach ein paar letzten Fotos gings wieder zurück zum Auto.
Hier findet ihr mehr Fotos vom Spiel!
Über Landstraßen, auf denen man auch Innerorts gerne mal 90 fahren darf, lies man Lüttich schnell hinter sich und fuhr über Spa in Richtung Grenze. Die kaputten Straßen, gerade auf der Autobahn, zeigten dabei die effektivste Wirkung gegen die aufkommende Müdigkeit. Leider verhagelten zwei Großbaustellen auf deutscher Seite die schnelle Heimfahrt, wodurch man mehr als eine Stunde länger als geplant unterwegs war. Als die Uhr schon fast drei Uhr zeigte, fiel man endlich ins Bett.
Auch wenn Standard ein wenig hinter den eigenen Erwartungen zurück blieb, waren es vor allem die Gäste, die es wieder herausrissen. Vielleicht besucht man auch demnächst einmal Lierse. Hatte ich zumindest vorher noch nicht auf dem Plan.
Edit: Ergänzung der offiziellen Zuschauerzahl