13.04.2017 23. Spieltag Oberliga NOFV-Süd BSG Chemie Leipzig - FC Carl Zeiss Jena II Alfred-Kunze-Sportpark Endergebnis: 1:1 (0:1) Zuschauer: 1.612 (keine Gäste)
Keine Woche nachdem man von dem Trip nach Asien wieder zurück war, stand auch schon die nächste kleine Tour an. Über Ostern ging es zuerst nach Leipzig, wo man, neben einer kleinen Stadtbesichtigung, natürlich in erster Linie den Fussball im Sinn hatte. Ähnlich wie letztes Jahr wurde es auch diesmal eine Auto-Tour, da so ziemlich alle anderen Reisemöglichkeiten schon komplett ausgebucht oder maßlos überteuert waren. So wirklich traurig darüber war man aber nicht, da man für den Doppler in Leipzig sowieso ein eigenes Gefährt brauchen würde.
Am dritten Tag in Leipzig war es endlich soweit und das erste Spiel stand an. Von unserem Hotel in Leipzig-Großzschocher gings über holprige Straßen gen Norden nach Leutzsch. In den fast schon endlosen Plattenbausiedlungen wurde man schnell auf einige BSG-Tags und andere Kunstwerke aufmerksam, die das Revier von Chemie zu dem von Lok abgrenzen. Kurz hinter dem Bahnhof von Leutzsch suchte man sich einen Parkplatz an der Straße und legte die letzten Meter zum Stadion zu Fuß zurück.
Am Ende einer kleinen Straße in einem Wohngebiet lag er dann: Der Alfred-Kunze-Sportpark. Vor allem die riesige Hintertortribüne fällt direkt ins Auge, denn sie thront über allen anderen. Nachdem man sich einen kleinen Überblick verschaffte und feststellte, dass wohl keine Gäste aus Jena anreisen, kaufte man sich Tickets für den Dammsitz auf der Seite des Sportheims, direkt neben dem eigentlichen Gästeblock.
Für neun Euro gabs die Karte, was zwar für die Oberliga schon recht heftig, für das Stadion aber mehr als angemessen ist. Denn der 1920 errichtete Sportpark hat jeden Cent bitter nötig. Überall grüßt der Löwenzahn aus den Ritzen, viele Stufen sind wackeliger als eine Wippe aufm Kinderspielplatz und die Zäune rosten lauter als die Fans eines anderen Leipziger Vereins singen. Aber der Charme und der Charakter des Stadions sind einfach nur geil! Selten fühlte man sich auf Anhieb so wohl, obwohl eisiger Wind um die Ohren peitschte und der Himmel immer wieder einzelne Tropfen als Vorboten einer langen Dusche runter schickte.
Die Zeit bis zum Anpfiff verbrachte man dann doch lieber im Sportheim, welches direkt hinter unserer Tribüne lag. Eine sehr schicke Kneipe, die mit allerlei Schals und Fotos der Fanszene geschmückt ist. Durch das Fenster verfolgte man das Treiben der sich aufwärmenden Spieler auf dem geschichtsträchtigen Grün.
Die BSG Chemie Leipzig ist mit Sicherheit kein Verein, der für ruhigere Gewässer bekannt ist. Ein Grund ist vor allem, dass es den ursprünglich 1950 gegründeten Verein mit dem Namen „Betriebssportgemeinschaft Chemie Leipzig“ nicht mehr gibt (und selbst der war eine Neugründung aus Vorgängervereinen). Bereits ein Jahr nach seiner Gründung konnte die DDR-Meisterschaft gewonnen werden, bevor der Club 1954 wieder aufgelöst wurde. Aufgrund einer Neustrukturierung wurde er 1963 aber wiederweckt, musste die Runde aber mit „nicht-förderungswürdigen“ Spielern starten. Zur Überraschung der gesamten Liga gelang die direkte Meisterschaft mit dem unterdurchschnittlichen Team unter dem damaligen Trainer Alfred Kunze. Zur Feier des größten Vereinserfolges wurden überlebensgroße Betonfiguren der Mannschaft am Stadion gegossen, die bis heute noch an ihrem Platz stehen. Zudem konnte 1957 (in der Übergangszeit als SC Lok Leipzig) sowie 1966 der DDR-Pokal gewonnen werden.
Danach bestand der Club bis zum Jahre 1990, in welchem er mit der BSG Chemie Böhlen zum FC Sachsen Leipzig fusionierte. 1997 wurde von Anhängern des neuen Vereins die BSG Chemie wieder gegründet, jedoch nur mit dem Ziel des Schutzes und Erhaltens des alten Namens sowie der Unterstützung des FC Sachsens. Da es in den Folgejahren aber zu Uneinigkeiten über die Fortführung des Weges des FC Sachsen kam, wurde in der Saison 2008/09 der Spielbetrieb in der untersten Liga aufgenommen. Es folgten zwei direkte Aufstiege, bis mit der Übernahme der Spiellizenz des VfK Blau-Weiß Leipzig der direkte Start in der Sachsenliga gelang.
In der letzten Saison konnte die Meisterschaft und der damit verbundene Aufstieg in die Oberliga gefeiert werden, womit man zum ersten Mal außerhalb Sachsens antreten durfte. Im Moment sieht alles danach aus, dass Chemie den Durchmarsch in die Regionalliga schaffen könnte, denn vor dem Spiel war der Club Erster und hatte vier Punkte Vorsprung auf Platz Zwei. Zudem lies der Stadionsprecher verlauten, dass Chemie seit fast zwei Jahren kein Heimspiel mehr verloren hatte. Hört sich also alles sehr nach einer besseren Zukunft an, die man dem finanziell nicht gerade gut aufgestellten Club natürlich nur wünschen kann.
Ein Grund dafür, dass er überhaupt existiert, sind die Fans. Und die kamen an einem Donnerstagnachmittag um kurz nach fünf Uhr in Scharen. Mehr als 1.600 Zuschauer in der Oberliga sind schon eine Hausnummer. Damit war übrigens das Stadion schon fast zur Hälfte gefüllt, denn in den vergangen Jahren wurde die Kapazität auf den Tribünen von 18.000 auf nur noch 4.999 beschränkt, den Sicherheitsauflagen sei Dank.
Etwa fünf Minuten bevor es losging gings wieder raus in die Kälte. Die Tribüne teilte man sich übrigens mit nur zwanzig anderen Gesichtern. Der Rest verteilte sich auf die Stehplätze hinter dem Tor und auf die Gegentribüne, die den Vereinsnamen abbildete. Überall gabs grün-weiße Zaunfahnen und die Beflaggung des aktiven Blocks sucht in dieser Liga wohl auch ihresgleichen. Neben allen wichtigen (und vor allem großen) Gruppenfahnen hing auch die Gruppo-Anti-Lok-Fahne, welche aus vielen Lok- und VfB-Schals besteht. Zwischen Ober- und Unterrang hing das sehr lange Banner mit der Aufschrift „Chemie Leipzig – Für immer mit dir“. Neben dem eigentlichen Gästeblock machte noch ein Banner auf einen geplanten Autokorso zum nächsten Auswärtsspiel der BSG aufmerksam.
Während der Stadionsprecher die Aufstellungen verkündete (ohne nervige Musik oder Werbung), bildete sich so langsam ein richtig guter Haufen hinter dem Tor und lies die Vorfreude auf den Anpfiff immer weiter steigen.
Mit dem Einlaufen der Mannschaft startete der Block sofort in den Support und hinterließ vom Fleck weg einen richtig starken Eindruck. Vor allem die Schlachtrufe wie „Vorwärts! Chemie! Ultras!“ waren sehr stark. Besonders gefielen die ausgefallenen Texte, an denen wohl einige Zeit geschrieben wurde. Keine hohlen, sich immer wiederholenden Phrasen, sondern richtig gute Texte. Hört man leider viel zu selten, wie ich denke. Mein Favorit war dabei definitiv „Wie schlecht die Zeit auch war“, was, wie viele andere Lieder auch, eine Melodie hatte, die ich noch nicht im Stadion hören durfte. Die Lautstärke, Mitmachquote und der Fahneneinsatz waren allesamt Top und definitiv auf dem Niveau einer gestandenen Drittliga-Szene. Meine Meinung.
Spielerisch erwartete man starke Leipziger im Angriff und eher defensivere Gäste. Im Endeffekt waren aber beide Teams gleichauf, weshalb das ganze sogar recht ansehnlich war. Hätte ichs nicht gewusst, hätte ich die Qualität als deutlich höher eingeschätzt als fünfte Liga. Gegen Mitte der ersten Hälfte bekam Jena immer mehr Chancen, traf nach einem Freistoss zuerst die Latte und ein paar Minuten später das Tor. Danach folgte ein kurzes Anrennen der Leipziger, das aber bis zur Pause ergebnislos blieb.
In der Halbzeitpause floh man vorm eintreffenden Regen wieder in die Kneipe und lies sich eine gute Bockwurst schmecken. In Halbzeit zwei kam Chemie zunächst besser ins Spiel und konnte einige gute Chancen kreieren. Dabei wurde es im Stadion nach Großchancen immer wieder richtig laut und die Leutzscher versuchten förmlich, die Kugel ins Tor zu schreien. Nach ein paar Minuten fiel der verdiente Ausgleichstreffer für Leipzig, was zu kollektiven Jubelstürmen führte. Vor uns feierten zwei Anhänger des etwas älteren Kalibers zu dolle und rauschten Arm in Arm die Treppe hinunter. Sah schmerzhaft aus, ein paar Bier halfen den beiden aber wieder auf die Beine.
Derweil stimmte der Stimmungsblock zum Wechselgesang an, dem alle Fans auf der Gegentribüne folgten. Für Oberliga außergewöhnlich und einfach nur geil. Auf dem Feld drängte Chemie weiter nach vorne, schaffte aber bis zum Ende nichts Zählbares. So blieb es beim Unentschieden, was immerhin die Spitzenposition der Leipziger nicht gefährdete.
Direkt nach dem Abpfiff gings zum Auto, da wenige Minuten später das nächste Spiel anstand.