19.01.2019 18. Spieltag Bundesliga Hannover 96 - SV Werder Bremen Niedersachsenstadion Endergebnis: 0:1 (0:1) Zuschauer: 44.300 (ca. 8.000 Gäste) Fotoalbum
Nachdem der Trubel um den Jahreswechsel inklusive Umzug und Einarbeitung in den neuen Job recht erfolgreich hinter uns gelassen werden konnte, startete man schon am Neujahrstag mit der Planung des Jahresauftakts. Da größere Touren, dank Probezeit und damit verbundenen Einschnitten in Sachen Urlaub, noch längere Zeit kein Thema sind, setzte man sich zu Beginn Tagestrips als ungefähre Begrenzung. Mit Frankfurt als neuem Standort rückten dabei natürlich auch neue Anreisewege in den Fokus, nicht zuletzt die Schiene mit ihren zahllosen Möglichkeiten nach Deutschland und halb Europa.
Als der Wahl dienlich stellte sich dabei mal wieder die Kinder-Bahnaktion dar, mit der man mal eben einen Zehner pro Person und Strecke einsparen konnte. Zu nem Fuffi für Hin- und Rückfahrt zu zweit konnte man dann nicht nein sagen, sodass lediglich das Ziel der Reise festgelegt werden musste. Und dafür sollte man keine Minute brauchen. Denn die Partie zwischen Hannover und Bremen rückte sofort in den Fokus, nicht zuletzt aufgrund der jüngsten Vorfälle zwischen beiden Fanszenen sowie dem eigenen Schrauben an der Bundesligakomplettierung. Zudem war die Hauptstadt Niedersachsens per ICE auch noch zügig zu erreichen, weshalb der erste Spielbesuch des Jahres recht schnell in trockenen Tüchern war.
Samstagmorgen warf uns der Wecker daher mal nicht um halb sechs, sondern humane anderthalb Stunden später aus den Federn. Zählt fast schon als ausschlafen aktuell. Wenig später gings per Pedes auf die allmorgendliche Route zur S-Bahn, die uns in einer guten halben Stunde durch eine klare und sonnige Eislandschaft zum Frankfurter Hauptbahnhof brachte. Dort stand der gebuchte Intercity auch schon abfahrbereit am Gleis und offerierte eine große Zahl freier Plätze. Wer da noch für die Reservierung draufzahlt ist selber schuld.
Bei bestem Wetter rollten wir wenig später nordwärts gen Niedersachsen… so der Plan, doch ein Defekt am Zug ließ die gute Laune schon in Hanau einer gewissen Anspannung weichen. Klar, man hatte mehr als genug Zeit eingeplant, aber muss das Jahr denn gleich so starten? Zum Glück ging`s schon nach einer Viertelstunde mit der Information, dass es nicht schlimmes sei, weiter. Die zuständigen Bahnmitarbeiter nahmen den Vorfall unterdessen mit Humor und verwiesen auf ein beschädigtes Rad, welches einen Wagen nun mit einer Fußmassageeinrichtung ergänzte und fröhlich vor sich her ratterte. Dazu passte dann auch die Ansage, dass der Zug am morgendlichen Abfahrtbahnhof in Stuttgart wohl notdürftig zusammengestückelt wurde und daher der ein oder andere Wagen fehlte („Heute mal in folgender Reihung: 10-9-8-6-7-11-5. Ah, und 14 und 4 fehlen“). Bisschen wie ein Engländer beim Zahnarzt.
Nach knappen drei Stunden trudelten wir schließlich in Hannover ein, wo sich die Bremer Szene am vorher schon ausgerufenen Bahnhofsvorplatz traf und anscheinend schon abmarschierte. Denn bis auf etliche Normalos war da nicht mehr viel los. Daher nutzten wir die Zeit und genehmigten uns einen Happen, bevor es ein wenig zu Fuß durch die Innenstadt ging.
Ohne große Vorkenntnisse und eigentlich auch ohne Vorstellungen, was uns hier erwarten würde, überraschte insbesondere die Altstadt mit ihren alten Fachwerkhäusern und schön verzierten Fassaden immens. Hier und da luden Pubs zum Verweilen ein und auch der niedersächsische Landtag, der im Übrigen große Ähnlichkeiten zum Berliner Reichstag aufweist, wurde kurz abgecheckt. Schade nur, dass wir lediglich knapp zwei Stunden hier verbrachten, denn mehr zu tun gäbe es allemal.
Doch der eigentliche Fokus lag ja bekanntlich auf dem Bundesligakick, der zeitlich immer näher rückte. Langsam schlossen wir uns daher den Massen an, die über eine breite Straße von Waterloo aus gen Stadion strömten. Eine gute Stunde vor Anpfiff hatte man schließlich das Niedersachsenstadion vor den Augen, eingehüllt in gelbe Sonnenstrahlen und hälftig in einen Hügel gefasst. Durch lasche Taschenkontrollen und gänzlich ohne Ticketkontrollen am Blockeingang gings hinauf auf den Oberrang der Westtribüne.
Dort enterte man den Block am oberen Rand, sodass sich das Ausmaß der Schüssel schon in der ersten Sekunde offenbarte. Beim zweiten Blick wirkte es jedoch deutlich kleiner als die tatsächliche Kapazität von 49.200, was durch den extrem flachen Unterrang aber auch täuschen kann. Viel zu sagen gibt’s zu dem Bau sicherlich nicht, außer dass die Sitze in Blau und Rot gehalten wurden, jeweils ein großes Vereinslogo auf Nord- und Südkurve prangt und der Unterrang der Nord gewisse Ähnlichkeiten mit der Nordwestkurve in Frankfurt hat. Ein moderner Bundesligabau eben, der aber, auch wenns vielleicht nicht unbedingt so klingt, dennoch gefiel. Manch Stadionnostalgiker wird’s vielleicht nicht mögen, doch ich kann auch den neuen Bauten hier und da was abgewinnen.
Ein ungewöhnliches Detail dürfte dabei aber die nur geringe Zahl an Mundlöchern sein, die nur an den Stellen eingelassen wurden, an denen man den Oberrang nicht über den Stadionhügel erreichen kann. Außerdem gestaltete sich die Sicht dank der runden Bauweise von nahezu überall phänomenal, sowohl auf beide Kurven als auch auf den Rasen. Die eigentlich schon guten Plätze im W18 wurden, mit freundlicher Unterstützung der unaufmerksamen Ordner, dennoch recht schnell durch einen Platz in Höhe der Mittellinie aufgewertet, während die geile Songauswahl mit einer Mischung aus Rock und Metal die Zeit bis zum Anpfiff verkürzte.
Derweilen ließ der Anblick einer recht dünn besetzten Hannoveraner Heimkurve an der eigenen Erwartungshaltung zweifeln, die sich, zugegebenermaßen, aus lediglich zwei bisher erlebten Auswärtsauftritten der 96er zusammensetzte: Einmal vor knapp zehn Jahren im DFB-Pokal und einmal zum Zweitligaauftakt in Lautern 2016. Was nicht ist kann ja noch werden, und so erfreute man sich schon früh am schicken Zaunfahnenbild, bestehend aus vielen großen und noch mehr kleineren Lappen.
Kurz vor Anpfiff wurde die Nordkurve dann auch endlich recht voll, wenn auch einige der Lücken nicht geschlossen werden konnten. Ist aber auch Januar, recht kalt und der ein oder andere dürfte wohl unter Martin Kind kein Spiel mehr sehen, so der Tenor, den man zwischendurch mal aufschnappte. Die Szene rund um den Zusammenschluss Ultras Hannover sammelte sich unterdessen im Oberrang zu einem schwarzen Mob, der ebenfalls mit einigen Gruppenschwenkern optisch auf sich aufmerksam machte. Zahlenmäßig füllte der Haufen fast genau einen Block, auf welchen sich dann auch die spätere Mitmachquote größtenteils beschränkte. Die Gruppe Unterrang am Standort der mittlerweile aufgelösten Brigade Nord schien derweilen mit einem Kern von gut 50 Aktiven etwas verloren, trug die vom Oberrang angestimmten Gesänge jedoch stets mit.
Schade nur, dass ein Großteil der Kurvengänger zu viel Sitzfleisch mitbrachte. Demnach schepperten lediglich die Gassenhauer, an denen sich weite Teile der Kurve oder auch andere Bereiche des Stadions beteiligten, mal so richtig laut, während sich der Spielsupport fast ausschließlich auf die beiden erwähnten Bereiche fokussierte. Doch auch die konnten mal was reißen wenn sie wollten, sodass man ab und an verdutzt rüberschaute, wenn der zahlenmäßig nicht ganz zu den Großen gehörende Haufen mal mit einem Brett um die Ecke kam.
Zu Beginn gabs noch eine kleine Schalparade im gesamten Stadion, viele kleine Fähnchen im Familienblock sowie zwei Mini-Blockfahnen, wobei eine davon im in der Nähe des VIP-Bereichs präsentiert wurde. Gesanglich eher Standard, war es aber der ungewöhnliche Armeinsatz zu einem Marschlied, bei dem, in schneller Abfolge, abwechselnd die rechte und die linke Faust gen Himmel gestreckt wurden, der im Kopf hängen blieb. Noch nie gesehen sowas und am ehesten in Japan oder so erwartet, wenn man mir ein Video davon zeigen würde. Allgemein aber eine ordentliche Leistung, ohne jetzt die großen Ausreißer nach oben oder unten gehabt zu haben.
Bis auf ein, zwei Hassgesängen kam auch absolut gar nichts in Richtung Gäste, was etwas Konträr zu der hochgepushten Spannungslage zwischen den beiden Lagern war. Die Gegenseite tat es ihnen gleich, wobei man die Gesänge gegen den jeweils anderen gut und gerne als eines der heutigen akustischen Highlights bezeichnen kann.
Auf Bremer Seite sah’s derweilen, von meinem Kenntnisstand her, noch düsterer aus, war es an diesem Tag doch der erste Kontaktpunkt mit den Grün-Weißen bisher. Das einzige, was man erwartete, war ein großer Haufen Leute. Und die kamen auch. 8000 an der Zahl, wobei die Angaben am Ende hier und da gewaltig auseinanderdrifteten. Letztlich war das halbe Stadion durchsetzt mit den Farben Grün und Weiß, wobei sich vereinzelte Normalos auch hier und da mal mit eingestimmten Gesängen outeten.
Der eigentliche Gästeblock war optisch in Sachen Tifo mehr als ordentlich, wobei insbesondere der ständige Fahneneinsatz überzeugte. Lediglich bei der Zaunbeflaggung gab es Abstriche, da der ohnehin nur begrenzte Platz auch noch unter den unendlich vielen Bremer Gruppen aufgeteilt werden musste. Da würde mir ne einheitliche Fahne in der entsprechenden Größe deutlich besser gefallen, was jedoch auf der anderen Seite mal wieder Geschmacksache ist. Im Gepäck außerdem das Spruchband „Werder ist grün-weiß!“.
Akustisch zeigten die Bremer schon ab Minute eins, wo es heute hingeht. Mit einer immensen Mitmachquote, und daraus resultierenden oftmals brachialen Lautstärke, fegten die Gesänge ins weite Rund und übertönten die Heimkurve mehr als einmal. Die Gesänge an sich wiederum massenkompatibel, was bei der Zahl an Mitfahrern auch nicht anders zu erwarten war. Dennoch geiler Auftritt, der die schon oft gelesene Vermutung bestätigte, dass sich Bremen auswärts eigentlich immer lohnt.
Sportlich war der Kick, wie schon auf den Rängen, nicht wirklich uninteressant. Hannover musste, um unten rauszukommen, Bremen sollte, um weiter vom internationalen Geschäft träumen zu dürfen. Doch auf dem Feld spielte in Halbzeit eins quasi nur Werder, sodass das 0:1 nach einer guten halben Stunde fast schon schmeichelhaft wirkte. Aus dem flotten Spiel in eine Richtung wurde im zweiten Durchgang ein etwas offenerer Schlagabtausch, bei dem auch 96 ein ums andere Mal zum Abschluss kam. Doch passieren sollte in Sachen Toren nichts mehr, zumal beide Teams ihre jeweiligen Chancen fast schon lächerlich versiebten. Am Ende reichte es für die aufopferungsvoll kämpfenden, aber spielerisch limitierten Hausherren nicht mehr zum Ausgleich, während die mitgereisten Bremer ihren verdienten Auswärtstriumph noch einmal mit lauten Gesängen feierten.
Ein paar Minuten noch verfolgten wir das Schauspiel, ehe sich die Grundlautstärke allmählich legte und die meisten Zuschauer das weite Rund bereits verlassen haben. Zu Fuß gings wieder den Hügel hinab und die Straße entlang zurück nach Waterloo, wo die Stadtbahn gen Hauptbahnhof bestiegen wurde. Dort blieb noch genügend Zeit für ein paar Nudeln auf die Hand, die man im Wirrwarr zwischen all den abreisenden Anhängern und den Heerschaaren Cops, die Letztere zu trennen versuchten, verspeiste. Bis auf ein paar hörbare Rennereien ein sehr friedliches Spiel, das in den letzten Wochen wohl etwas zu sehr von diversen Seiten aufgebauscht wurde.
Nachdem auch die letzten Minuten erfolgreich überbrückt werden konnten, gings in den ICE pünktlich zurück nach Frankfurt… aber Moment! Wir fahren ja mit der deutschen Bahn! Und die machte ihrem Namen mal wieder alle Ehre, als in Höhe Kassel plötzlich die Ansage kam, dass man aufgrund einer Baustelle die Bummelstrecke bis Fulda nehmen müsse. Daher gabs einen Aufschlag von 40 Minuten und die Sicherheit, dass man zur späteren S-Bahn die Beine in die Hand nehmen muss. Doch auch das sollte glücklicherweise klappen, sodass wir um kurz vor Mitternacht, geschafft und zufrieden, wieder die heimischen Gefilde erreichten. Endlich wieder Fussball!