Bundesliga: TSG Hoffenheim – Bayer Leverkusen

20.01.2018
19. Spieltag Bundesliga
TSG 1899 Hoffenheim - Bayer Leverkusen
Rhein-Neckar-Arena
Endergebnis: 1:4 (0:1)
Zuschauer: 28.017 (ca. 800 Gäste)
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Die Bundesliga. Eine Zusammenkunft Deutschlands bester Fussballclubs. Große und volle Stadien, für die uns viele andere Länder schlichtweg beneiden. Gigantische Kurven, die Spieltag für Spieltag ihre Mannschaften mit lauten Gesängen nach vorne peitschen. Gelebte Fankultur in ihrem größtmöglichen und auch schönsten Maße. Etwas, von dem man als Kind immer nur träumte. Etwas, was man höchstens einmal in der Woche auf dem heimischen Flimmerkasten sehen konnte.

Umso größer die Augen, umso größer die Freude, als man das Ganze zum ersten Mal in einem Stadion erleben durfte. Bundesliga früher? Das Beste, was Deutschlands Kurven zu bieten hatten. Und heute? Klar, die großen Vereine der Vergangenheit spielen auch heute noch in der höchsten Spielklasse, zumindest die Meisten.

Doch mittlerweile wird die Liga von immer mehr Vereinen durchsetzt, denen es für manche schlicht an Tradition mangelt. Die Diskussion über diesen Begriff an sich ist recht schwierig und ich möchte mich mitnichten darin hineinsteigern, doch neben dieser Tradition ist ein weiterer Faktor für mich absolut entscheidend: Emotion. Von Emotionen lebt eine gute Stadionatmosphäre. Ohne sie ist alles nur Plastik und eher mit einem Kinobesuch vergleichbar.

Mit der aufgebauten Erfahrung der letzten Jahre kommt man in letzter Zeit immer öfter zu dem Punkt, an dem es einen nicht mehr so einfach begeistert, nicht mehr komplett umhaut. Vieles liegt meiner Meinung nach an der Politik der Vereine. Familien rein, die Assi und Pöbel-Fraktionen raus. Die kann man nicht verkaufen. Aber einen Stadionbesuch mit der ganzen Familie natürlich schon. Da gehen Papa und Mama mit den beiden Kleinen schön am Samstag Bundesliga schauen, legen 70€ für die Karten auf den Tisch und geben wenn möglichst nochmal so viel für Essen, Getränke und Souvenirs aus.

Der Alteingesessene Stadionbesucher mit seinem billigen Stehplatz und mitgebrachtem Bier passt da leider nicht mehr in die Ausgabenkalkulationen der Vereine. Da verdient man ja höchstens zwanzig Euro dran, Beschwerden über die hohen Ticketpreise inklusive. Geht ja gar nicht. Man muss ja immerhin die Millionen für neue Spieler verdienen, die nach einem Jahr keinen Bock mehr haben und einen Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber erzwingen. Hat aber auch was Gutes, denn dann kann man ja neue Trikots verkaufen. Mann, der Sport geht langsam vor die Hunde.

Aber nicht alles ist schlecht. Man neigt gerne dazu, die alte Zeit zu glorifizieren und alles Neue schlechtzureden. Doch auch heute noch machen Bundesligabesuche Spaß und manch eine Kurve verleiht mir Gänsehaut. Die Stadien sind voll, Tendenz steigend. Fankultur wird überall und jedes Wochenende gelebt. In der ersten bis zur untersten Liga. Mal mehr, mal weniger.

Auch heute noch wird man auf der Suche nach lauten und starken Kurven in der Bundesliga überall fündig… außer in Hoffenheim. Ehrlich, was uns da geritten hat, als wir uns für den Besuch entschieden… ich weiß es nicht. Dennoch, nach dem Motto „Was muss, das muss“ wollte auch dieser weiße Fleck irgendwann einmal von der Landkarte gestrichen werden. Wenn man heutzutage die Bundesliga voll machen will, muss man eben öfters in den sauren Apfel beißen.

Ein typischer Neubau steht natürlich mindestens an einer Autobahnausfahrt, was die Anreise mit dem eigenen Gefährt am attraktivsten macht. Passte auch wunderbar zum trüben und regnerischen Wetter und ersparte eine langwierige Zugfahrt. Da man übers Wochenende sowieso im Saarland war, betrug die Fahrtzeit lediglich 90 Minuten. Über Kaiserslautern und den Pfälzer Wald erreichte man ohne Verzögerungen das Stadion in Sinsheim.

Dank früher Anreise gabs einen Parkplatz quasi direkt am Sitzplatz in erster Reihe. Also fast. Mit fünf Euro im Ligavergleich gar nicht mal so teuer, aber auf Geld dürfte hier sowieso keiner angewiesen sein. Eine einfache Straßenüberquerung später stand man auch schon vorm Eingang Nordwest. Besser geht’s wohl nicht. Eine kleine ereignislose Umrundung des Umfelds war noch drin, dann ging es auch schon rein.

Die Körperkontrollen waren ungewohnt lasch, Polizei im Übrigen gar nicht anwesend. Auch Ordner gab es keine, noch nicht einmal an den Mundlöchern zu den Blöcken. Noch nie erlebt, noch nicht mal in der Regionalliga. Hatte alles was von einem Ausflug in einem Familienpark. Natürlich auch das Publikum. Entweder Rentner oder Familien mit Kindern. Und natürlich die Ü50-Frauengruppen mit Frisurenstil „frech“, die sich erstmal am Getränkestand in höchstmöglicher Lautstärke einen Weißwein in den Kopf knallten.

Bei Anreise mit dem eigenen Gefährt genießt man immerhin den Vorteil, sich schon vorher mit Essen und Getränken eindecken zu können, weshalb wir um die teuren Fastfood-Buden einen großen Bogen machten und direkt ins Innere der Arena abdrehten. Unsere Plätze waren auf der Nord, lagen aber, aufgrund der ungewöhnlich schwierigen Kartensituation, nicht zusammen. Ein Witz, wenn man sich die Anzahl leerer Plätze vor Augen führte. Wird aber den meisten sowieso zu kalt oder zu nass gewesen sein. Für uns natürlich durchaus positiv, denn im Endeffekt hatte man, dank Abwesenheit von Ordnern, die freie Platzwahl.

Am Ende landeten wir im Eckblock neben der Vip-Tribüne, wo das Hintertornetz nicht störte. Apropos Vip-Tribüne… selten so einen großen und hässlichen Bau gesehen. Das Teil bestand aus einem größeren Unterrang für die weniger Betuchten, sowie aus zwei oder drei weiteren Etagen mit Logen und jeweils vorgebauten Sitzreihen. Unerklärlich war der Knick in der Mitte der Tribüne, der das Stadion fünfeckig wirken ließ.

Der Rest des weiten Runds lieferte nichts Besonderes, machte an sich aber nicht den schlechtesten Eindruck. Hier und da vielleicht etwas weniger Grau und es wäre ganz schick. Die neuen Betonklötze strotzen eben seltener mit Individualität und sehen überall gleich aus, erfüllen jedoch durch enge Bauarten ihren Zweck. Einzig die Südtribüne, Stehplatz für Heimfans, hätte nicht kleiner ausfallen können. Lediglich zwei Blöcke hinter dem Tor wurden als Stehblöcke errichtet, der gesamte Rest besteht aus blauen Sitzen. Insgesamt fasst der Bau 30.150 Zuschauer, für die gegebenen Bedürfnisse absolut ausreichend, wenn auch immer hoch ausgelastet. Zumindest, was die offizielle Zuschauerzahl angeht.

Das Warten auf den Anpfiff glich einer niemals enden wollenden Dauerwerbesendung, die zu lediglich zwei Zeitpunkten durch die beiden Vereinslieder unterbrochen wurden. Dazu gabs noch peinliches Allerlei inklusive Kisscam, sechs nervende Luftpuppen an jeder Ecke sowie ein tiefes Bass-Herzklopfen kurz vor Anpfiff. Quasi als Zeichen an die Volksfestbesucher, dass es bald losgeht. „Jetzt müsst ihr nervös werden und euch auf den Anpfiff freuen“, oder so. Auch nach Anpfiff waren viele Plätze auf den Tribünen nicht belegt und sogar im Heimblock klafften große Lücken in den Stehrängen.

Dort, im Herzen der Südtribüne, ließ sich der harte Kern Hoffenheim-Fans nieder. Solls ja auch geben und ist noch nicht mal verwerflich. Immerhin handelt es sich hierbei um einen seit weit mehr als hundert Jahren bestehenden Verein und nicht um ein neu gegründetes Marketingkonstrukt. Doch die Anzahl sangeswilliger hielt sich um einiges stärker in Grenzen, als man zu Beginn erwartete.

Natürlich hatte man im Vorfeld schon einige Berichte über Stadionbesuche in Sinsheim gelesen, hätte aber gleichzeitig niemals geglaubt, dass alle Recht behalten sollten. Heute sollte man es mit eigenen Augen und Ohren erleben.

Doch erstmal was zur Optik: Die Ultraszene im oberen Bereich stand hinter einer Vielzahl von kleinen Gruppenbannern und zeigte zu Spielbeginn einige Schwenker und Doppelhalter. Zudem gabs noch ein Spruchband für einen an Weihnachten verstorbenen Südkurvengänger. Im unteren Bereich erspähte man weitere Gruppenfahnen sowie einen weiteren kleinen Kern inklusive eigenem Capo. Insgesamt blieben jedoch viele Stellen der Zäune leer, von einer schicken Beflaggung kann man also nicht reden.

Und die Akustik? Nun, nach einem kurzen Schalintro legte die Süd mit zwei Gassenhauern los, bei denen sich die Mitmachquote überraschend hoch zeigte. Doch schon nach zwei Runden gings bergab. Alles außer ein „Ole ole“ war viel zu leise, Texte absolut nicht zu verstehen. Nach gut zehn Minuten beschränkte sich die Mitmachquote auf die beiden Kerne der Kurve, wobei obiger durch ihre Freunde aus Homburg unterstützt wurde. Kein Kommentar dazu.

Der gesangliche Support war in der Folge in großen Teilen unkoordiniert und verlor sich des Öfteren in einem Kanon, während sich bei Sprung- oder Klatscheinlagen vielleicht 200 Mann beteiligten. Nach etwa 20 Minuten kam absolut gar nichts mehr an. Unterm Strich die mit Abstand schlechteste Bundesliga-Kurve. Mehr Worte bedarf es nicht und mehr will ich darüber auch nicht verlieren.

Während die Süd vor sich hin trällerte, wurde der Rest des Stadions durch eine Flut an Statistiken über die beiden großen Bildschirmen unterhalten. Wie schnell war der letzte Schuss? Welche drei Spieler liefen bisher am weitesten? Wer ist eigentlich der Hauptsponsor für die Präsentation des Eckballverhältnisses? Diese und andere unwichtigen Informationen flackerten ununterbrochen über die großen Leinwände und wurden natürlich jedes Mal von Melodien und Tönen begleitet. Den Leuten um uns herum gefiels. „Hab doch gesagt, dass das Jungchen da außen die ganze Zeit am meisten rennt“, knurrte Heribert selbstherrlich zu seinem Stadionkumpel Manfred.

Die Krönung der Heimatmosphäre war jedoch das „Steht auf für die TSG“, bei dem sich immerhin ein Viertel des Publikums von seinen bequemen Sitzen erhob. Ein kurzer Wechselgesang mit der Südkurve später und alle setzten sich wieder hin. Auch Fouls vor der Tribüne waren ein einziges Trauerspiel. Keiner sprang mal auf und zeigte Emotionen. Nichts. Das Eventpublikum blieb brav auf seinen Stühlen sitzen und mampfte ne Tüte Popcorn.

Hier zeigt sich der Unterschied zu den Clubs, die sich das Wort „Tradition“ auf den Wimpel schreiben dürfen: Emotionen. Davon lebt Fussball und deshalb geht man ins Stadion. Während in Gladbach selbst von der Vip-Tribüne aus die Bierbecher flogen, reagierte der durchschnittliche Hoffenheim-Fan auch bei der dritten offensichtlichen Fehlentscheidung des Schiedsrichters nur mit einem müden Lächeln.

Und genau hier liegt das Problem. Denn es sind die Typen, die bei Vereinen wie Hoffenheim einfach fehlen. Dennoch muss man vorsichtig sein und darf nicht alle Anhänger der TSG über einen Kamm scheren. Das Problem ist, wie schon erwähnt, das Alter des Clubs. Der ein oder andere dürfte wirklich schon seit etlichen Jahren dabei sein, auch wenn ich deren Anzahl auf unter ein Prozent schätze. Und seien wir mal ehrlich. Wer würde seinem geliebten Verein den Rücken kehren, wenn dieser gerade in Richtung Bundesliga marschiert? Dennoch sind die restlichen 99% des Stadions ein mahnendes Beispiel davor, was uns erwartet, wenn Ticketpreiserhöhungen und Eventisierung der Spieltage weiter voranschreiten.

Immerhin in einer Ecke des Stadions war was los, nämlich im Gästeblock. Dort war heute Bayer Leverkusen zu Gast, die bedingt für gigantische Auswärtsfahrerzahlen bekannt sind. Der Mob, insgesamt geschätzt 800 Leute, wusste aber überaus zu gefallen. Obwohl man mittlerweile schon zum vierten Mal Leverkusen schaut, konnte man die Gesänge der Anhänger zum ersten Mal so wirklich wahrnehmen. Boykotte und schlechte Positionen im Stadion verhinderten dies in vorherigen Partien.

Hinter einer schicken Zaunbeflaggung und mit Freunden aus Offenbach und Zürich legte der Block ordentlich los und machte das Spiel zu einem Heimspiel. Die Lieder auf durchweg bekannte Melodien wurden oftmals lange gehalten und laut vorgetragen, auch wenn sich hier und da mal eine Schwächephase einschlich. Spielbedingt erhöhten sich Quote und Lautstärke im zweiten Durchlauf immer weiter, sodass man Leverkusen einen starken Auftritt attestieren darf. Meine Erwartungen in Sachen Gäste wurden an diesem Tag übertroffen.

Den Lacher des Tages strich dabei jedoch das dritte Stimmungszentrum im Stadion ein. Dies waren etwa 20 Rostocker, die sich zum ersten Mal kurz vor der Pause bemerkbar machten. Hintergrund: Das Drittligaspiel der Hanseaten im nahen Großaspach wurde nur wenige Stunden vor Anpfiff witterungsbedingt abgeblasen. Bei einer Strecke von über 600 Kilometern waren viele jedoch schon vor Ort oder zumindest kurz vorm Ziel, was ein Umdrehen natürlich extrem schwer macht. Ohne Fussball wollten die Jungs von der Ostsee dann aber auch nicht nach Hause, weshalb sich kleine Abordnungen auf die wenigen stattfindenden Spiele im Umkreis verteilten.

Eines davon war die Partie zwischen Hoffenheim und Leverkusen. Nach den kurzen Hansa-Rufen hatte es der kleine Mob sofort geschafft, die Aufmerksamkeit des Gästeblocks zu erlangen. Danach pöbelten die Rostocker unaufhörlich in Richtung Leverkusener, die darauf jedoch nicht eingingen. Auch in der zweiten Hälfte ging das Schauspiel weiter. Immer wieder sangen die Rostocker für ihren Verein und sprangen vor sich hin, während Leverkusen jedes Mal seine Gesänge unterbrach um dem Treiben im Nachbarblock zu lauschen. Die Hanseaten machten sich einen Spaß daraus und sangen „Ohne Hansa, wär hier gar nichts los“. Darüber hinaus passierte jedoch nichts.

Selbiges galt auch für das Spiel, welches im ersten Durchgang ein durchschnittliches Niveau nicht überschritt. Hier und da mal eine Chance auf beiden Seiten, aber an sich nicht viel Zwingendes. Kurz vor der Pause fiel dann aber doch noch der Führungstreffer für die Gäste, welcher die mitgereisten Leverkusener Jubeln ließ.

Der zweite Durchgang lieferte dann deutlich besseren Fussball, wenn auch einseitiger. Denn ab dem Seitenwechsel drehten die Gäste auf und zauberten sich ein ums andere Mal in den gegnerischen Strafraum. Die Tore zwei und drei folgten auf dem Fuß, eins schöner als das andere. Das zwischenzeitliche 0:3 war für einen Großteil des Stadionpublikums der Anlass, die frühere Heimfahrt anzutreten. Warum auch bis zum Ende warten, um dann im Stau zu stehen? Man kann ja später auf dem Sofa in der Sportschau sehen, wie es ausgegangen ist.

Kurz vor Ende fiel dann plötzlich das 1:3 für die Gastgeber, was aber fast keiner mehr mitbekam, da das halbe Stadion mittlerweile schon verweist war. Traurig sowas. Kurze Zeit später stellte Bayer mit dem 1:4 den alten Abstand wieder her und beendete das Spiel mit einem Paukenschlag.

Durch die gleichzeitige Niederlage des Getränkedosenherstellers aus Österreich grüßt Bayer, zumindest über Nacht, vom zweiten Tabellenplatz. Selbiges wollte der Gästeblock ausgiebig feiern, doch die Spieler sehnten sich nach ihrer warmen Kabine. Einige Akteure ließen sich dennoch überreden und sprangen kurz mit den Fans, liefen dann aber nach nur fünf Sekunden wieder Richtung Ausgang. Mehr waren ihnen die mitgereisten Anhänger wohl nicht Wert. Geiles Zeichen an die Fans. Könnte ich kotzen, wenn ich sowas sehe.

Fünf Minuten nach Abpfiff war die Arena vollkommen leer. Auch wir hatten genug gesehen und begaben uns auf den kurzen Rückweg zum Auto. Vom Parkplatz aus brauchten wir gut zwanzig Minuten, ehe man die nahe Autobahn wieder erreichte. Hat man aber auch schon Schlimmeres erlebt. Trotz starken Schneefalls erreichten wir das heimische Saarland im selbstgesteckten Zeitrahmen.

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Fazit: Hoffenheim abgehakt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und Leverkusen wusste einmal mehr zu gefallen. Stark, was die Jungs mit verhältnismäßig kleiner Truppenstärke Woche für Woche abreißen.